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Die Paläontologin und Friedensaktivistin Margarethe Lenore Selenka

Margarethe Lenore Selenka (1860–1922), die eine große Rolle in der Friedensbewegung spielte, war die ältere Schwester Felix Heinemanns, der zeitweise Verleger des ‹Magazins für Literatur› war, später als Diplomat wirkte und in Rudolf Steiners letzten Jahren intensiven Kontakt zu ihm pflegte.(1)


Sie verehelichte sich zunächst mit dem Schriftsteller Ferdinand Neubürger (1836–1895), von dem sie sich jedoch bereits 1891 wieder scheiden ließ. 1893 heiratete sie erneut: den Zoologen, Forschungsreisenden und Hochschulprofessor an der Universität Erlangen, Emil Selenka (1842–1902)(2). Durch ihren Ehemann angeregt, studierte sie für sich Zoologie, Anthropologie und Paläontologie – und wurde seine Assistentin und Begleiterin auf seinen Forschungsreisen nach China, Japan, Ceylon, Indonesien. Als ihr Mann krankheitsbedingt nach Deutschland zurückkehren musste, blieb sie noch eine Weile allein auf Borneo, um ihre Forschungen über Affen abzuschließen. Sie verfasste darüber die Studie ‹Sonnige Welten – Ostasiatische Reiseskizzen› (Wiesbaden 1896). 1896 schrieb sie sich in München, wo das Ehepaar inzwischen lebte, an der Universität für ein Sanskrit-Studium ein. Angeregt durch die Entdeckung des Java-Menschen durch den niederländischen Anthropologen Eugène Dubois (1858–1940), wollte das Ehepaar wieder nach Indonesien reisen, um weitere Fossilien zu suchen. Doch starb Emil Selenka 1902 plötzlich, und so konnte Margarethe Selenka die geplante Reise erst 1907/08 unternehmen – auf Veranlassung der niederländischen Regierung von zwei ‹Genier›-Sergeanten begleitet. Sie fand zwar keine weiteren menschlichen Fossilien, aber machte doch so interessante Entdeckungen, dass sie darüber zusammen mit dem Paläontologen Max Blanckenhorn (1861–1947) einen Forschungsbericht verfasste.(3)

Die Kulturidee des Friedens

Neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit war Margarethe Lenore Selenka als Mitglied des Verbandes Fortschrittlicher Frauenvereine auch auf dem Gebiet der Frauenrechts- und Friedensbewegung aktiv. Sie war zeitweise befreundet mit den Frauenrechtlerinnen Anita Augspurg, Lida Gustava Heymann und Helene Stöcker und stand in Korrespondenz mit Bertha Suttner, aber auch mit Wissenschaftlern wie Ernst Haeckel und Svante Arrhenius. Auf ihren Antrag hin beschlossen die Frauen beim Londoner Frauenkongress im Juni 1899, alljährlich für «die grossen Culturideen des Friedens und des internationalen Rechtes» (4) zu demonstrieren. Margarethe Selenka verfasste ein ‹Memorandum, gerichtet an die Friedens-Konferenz› in Den Haag. Dies hatte zur Folge, dass in 19 Ländern insgesamt 565 Friedenskundgebungen stattfanden. 1904 nahm sie als Vertreterin des Verbandes Fortschrittlicher Frauenvereine an der internationalen Friedenskonferenz in Boston teil, 1915 auch an der Friedenskonferenz in Den Haag. Daraufhin wurde sie in Deutschland für den Rest des Weltkrieges unter Hausarrest gestellt.

In Verbindung mit der Theosophie

Weniger bekannt ist, dass Margarethe Lenore Selenka am 22. Januar 1912 bei einem Aufenthalt in Berlin auch in die Theosophische Gesellschaft eingetreten ist. Sie schreibt am 4. August 1912 an Rudolf Steiner: «Es ist möglich, dass ich um die Zeit Ihre[r] Anwesenheit im August in München sein kann. Bestimmtes kann ich darüber noch nicht sagen. Ich habe nun zwar […] mein Eintrittsgesuch an die theosophische Gesellschaft (Geschäftsstelle Berlin) eingesandt und war ja auch im Voraus meiner Aufnahme durch Sie gütigst versichert. Ich habe aber noch immer nicht die offizielle Bestätigung meiner Aufnahme in Händen und möchte doch nicht, dass mir das im Wege wäre in München. Ich wähle den direkten Weg durch Sie, da vielleicht die amtierenden Persönlichkeiten in Berlin nicht genügend darüber Bescheid wissen.» Offensichtlich war Margarethe Selenka Rudolf Steiner begegnet und war von ihm direkt als Mitglied aufgenommen worden. Ob sie dann an den Festspielen in München teilgenommen hat, ist nicht bekannt. Sie schrieb weiter in dem besagten Brief, dass sie gern bereit sei, «hervorragende[n] Persönlichkeit[en], die zu den theosophischen Tagen nach München komme[n]», Quartier zu geben, am liebsten Indern.

Es ist nicht sicher, ob sie bei der Abspaltung der Anthroposophischen von der Theosophischen Gesellschaft in der Anthroposophischen Gesellschaft verblieben ist; möglicherweise ist sie, mit ihrer Neigung zu Ostasien, in der Theosophischen Gesellschaft verblieben. Sie verstarb 1922 – ihr Nachlass wurde von ihrem Bruder, Hofrat Felix Heinemann, geregelt. Teile davon befinden sich heute in der Universitätsbibliothek Basel.


Titelbild: Margarethe Lenore Selenka

(1) Siehe dazu den Artikel im ‹Goetheanum›, Nr. 25-26/2019
(2) Rudolf Steiner weist öfters auf die Forschungen von Emil Selenka hin, so im Vortrag vom 18. Januar 1912, GA 61, wo es heißt: «Es wird keine Bestätigung für die Affenabstammung des Menschen sein, wenn der Naturforscher Emil Selenka gefunden hat, dass die Affennatur in ihrem embryonalen Zustande der Menschengestalt viel näher ist als die spätere Affengestalt, woraus man annehmen kann, dass der Mensch viel früher gestaltet ist als die Affengestalt, nur dass der Mensch sich seine Gestalt erst erwirbt, wenn er in die Welt selber eintritt.» Siehe auch die Vorträge vom 12. und 13. Januar 1921, GA 323.
(3) M. L. Selenka und M. L. P. Blanckenhorn, Die Pithecanthropus-Schichten auf Java. Geologische und paläontologische Ergebnisse der Trinil-Expedition (1907 und 1908), ausgeführt mit Unterstützung der Akademischen Jubiläumsstiftung der Stadt Berlin und der Königlich bayerischen Akademie der Wissenschaften. Leipzig 1911.
(4) In der Zeitschrift ‹Neues Frauenleben›, Mai 1902, S. 22.

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