Mit dem Dokumentarfilm ‹Mein Lehrer, der Krake› zeigt der Filmemacher Craig Foster nicht nur intim den Lebenszyklus eines Tintenfischs, sondern lädt auch dazu ein, der Natur als Mitgeschöpf begegnen zu lernen.
Seine Liebe zum Meer sei schon in frühen Jahren erwacht, denn er verbrachte seine Kindheit in einem Bungalow direkt an der Küste des Südatlantiks in Südafrika. Später wurde Craig Foster Filmemacher und folgte mit der Kamera den sinnlich-übersinnlich arbeitenden Fährtensuchern in der Kalahari-Wüste. Stundenlang sei er den Buschmännern gefolgt, um zu beobachten, «wie sie in das komplexe System der Natur eintauchten und Dinge sahen, die mir verborgen blieben». Dort sei in ihm die Sehnsucht entstanden, wie diese Fährtensucher nicht außerhalb, sondern in der Natur zu sein, ein innerliches Verhältnis zur Natur zu gewinnen. Das erzählt er nun, wenn er auf eine ganz andere Expedition geht, in die Algenwälder seiner südafrikanischen Heimat. Als er 18 Jahre war, geriet er in eine Lebenskrise. Der Film inszeniert das natürlich und doch werden viele wohl zustimmen, dass häufig in der Natur der Schlüssel zur Bewältigung seelischer Fragen und Schwierigkeiten liegt. Bei knapp 10 Grad kaltem Wasser schnorchelte und tauchte er, begleitet von der Filmerin Pippa Ehrlich und ihrem Team, in diese Welt. Als Zuschauender nimmt man Anteil, wie diese Fremde zu einer zweiten Heimat für ihn wird. Das ist das Neue an diesem Tierfilm, dass der Regisseur weniger auf das Besondere und Erstaunliche aus ist, nicht fesseln oder beängstigen will, sondern vielmehr auf der Suche nach seinem eigenen Selbst ist, ohne dabei das Forscherethos zu verlieren. So hat er auf dieser Unterwasserreise in den Höhlen der Tintenfische auch neue Tierarten entdeckt. Eine Garnelenart trägt jetzt seinen Namen.
Fast ein ganzes Jahr, was der Lebensspanne eines Kraken entspricht, schnorchelte er täglich im Dickicht eines Tangwaldes am Kap der Guten Hoffnung. Der Netflix-Dokumentation hat er den Titel ‹My Octopus Teacher› (Mein Lehrer, der Krake) gegeben, weil dieses scheinbar so niedere Tier ihm Würde und Menschlichkeit vermittelt habe. Pippa Ehrlich und James Reed zeigen, wie der Taucher nach und nach das Vertrauen des wild lebenden Tiers gewinnt. Tag für Tag wartet der Taucher für die wenigen Minuten, die ihm ohne Luft bleiben, am Eingang dessen Höhle. Schließlich kommt das scheue Tier hervor und später fährt es mit seinen Tentakeln über seine Hand und schmiegt sich an seinen Brustkorb. Der Film führt in einzigartiger Nähe zur Intelligenz dieses Tieres, das sich mal seinen ganzen Körper mit Muscheln bedeckt, um sich zu tarnen, dann im Kampf mit einem Hai auf die einzig sichere Stelle springt, auf den Kopf des Hais, um bei dem Ritt im Kelpwald sich dann unerkannt abzustoßen.
Der Film zeigt, dass jede Naturbetrachtung eine Einladung ist, in die eigene Seele zu steigen. So beschreibt die Filmerin Ehrlich, dass man, wenn man so viel Zeit in solch einer natürlichen Umgebung verbringt, beginne, sich mit dieser und zugleich mit sich selbst zu verbinden, wie man es sich niemals vorstellen könne. Weil man sich dabei als Teil der Natur erfahre, könne man sie auch auf einer tiefen Ebene verstehen. Dazu mag beigetragen haben, dass sowohl Foster als auch das Filmteam meistens ohne Taucheranzug und ohne Flaschen tauchten. Foster: «Man fühlt, dass man Teil und nicht Besucher dieses Ortes ist.» Der Film ‹Mein Lehrer, der Krake› zeigt nun die fast ein Jahr dauernde Beziehung und Annäherung des Tauchers an den Tintenfisch. Natürlich sieht man als Zuschauer eine dramaturgisch verdichtete Geschichte des Lebenszyklus dieses Tintenfisches und bleibt selbst außerhalb, wenn die Saugarme des Tintenfisches über die Hand des Tauchers streichen oder der Fisch schließlich Foster bei seinen Tauchgängen folgt. Auch mag es sentimental erscheinen, wenn mit der Eiablage der Tintenfisch nichts mehr frisst und ans Ende seines Lebenszyklus kommt und bald zur Beute der Pyjiamahaie wird. Was dem Film aber seine Tiefe verleiht, ist, dass man nicht nur in die Algenwälder taucht, sondern auch in die Seele von Craig Foster, wie er mit diesem Weichtier in Beziehung und vielleicht sogar Freundschaft tritt und dabei sich als ein Schüler empfindet, ein Schüler zu mehr Empathie, Demut und Menschlichkeit. Wenn Schülerinnen und Schüler die Aufgabe bekommen, sich einen Baum oder Strauch auszusuchen und ihn Tag für Tag zu besuchen, sein Leben zu beschreiben, seine Pflanzen- und Tierwelt zu beobachten und zu zeichnen, dann kann das genauso in die eigene Innenwelt führen wie die Reise von Craig Foster.
Was dem Film seine Tiefe verleiht, ist, dass man nicht nur in die Algenwälder taucht, sondern auch in die Seele von Craig Foster.
Die Klima- und Umweltkrise ist Folge eines Denkens, das alle Tiere und Pflanzen als Außenwelt begreift und beherrscht. Wer wie Craig Foster die Welt als Mitwelt zu erfahren lernt, dem wird sie zum Lehrer. Umwelt- und Naturschutz haben demnach nicht das Ziel, eine Natur zu erhalten, damit sie uns als Erfahrungskosmos dienen kann, es ist vielmehr umgekehrt. Zu erfahren, dass man Teil und nicht Besuchender der Natur ist, führt zu einem partnerschaftlichen Umgang mit der Natur. Drei Preise hat der Film beim Naturfilmfestival Green Screen in Eckernförde gewonnen: Bester Film 2020, Beste Story 2020 und Bester Meeresfilm 2020.