Ich wollte nur schnell per Fahrrad beim Bahnhof ein paar Einkäufe erledigen. Kaum aber war ich dort angelangt, traf ich auch schon auf C., die Malerin aus dem Nachbardorf.
«Hey, du bist ja flott unterwegs!», sagte sie und erzählte mir anschaulich und gemütlich von ihren Ausstellungen, Projekten, von der Tagung, die sie gerade besucht. Nur mithilfe des Versprechens, uns gegenseitig zu ‹mailen›, konnten wir uns gegenseitig wieder aus diesem plaudernden Gespräch ausklinken.
Mit dem Schwung des E-Bikes ging es weiter und schon im nächsten Moment fuhr ich an J. A. vorbei, einem goetheanistischen Naturwissenschaftler aus Österreich. Wäre ich nicht direkt auf ihn zugegangen, um ihn zu begrüßen, so wäre er genauso freundlich lächelnd an mir vorübergegangen, wie ich zuvor an ihm vorübergeeilt war. Mit einem kurzen Handschlag begrüßten und verabschiedeten wir uns nüchtern und freudig zugleich bis zum Wiedersehen am nächsten Tag. Wir hatten uns nämlich am Tag zuvor schon für dieses Treffen verabredet.
Schlag auf Schlag ging es weiter: In der Bäckerei nebenan traf ich Chr. aus Hamburg, die alte und moderne Kultusformen praktiziert. Ihre Umarmung war überraschend heftig – und kurz; denn ich musste nun wirklich dringend meine Einkäufe erledigen.
Wieder zu Hause angekommen, berichtete ich von dieser ‹Alltäglichkeit›: «Man kann keine paar Schritte vor die Tür setzen, ohne allenthalben irgendwelchen Leuten zu begegnen!» Doch noch während ich das so dahersagte, tat mir dieser leicht despektierliche Ton leid, denn mit einem Mal ging mir – mit einigem Staunen und Schmunzeln – die innere Komposition dieser Begegnungen, der höhere Gehalt dieser wundersamen Trilogie auf. Ich bin Kunst, Wissenschaft und Religion begegnet – in dieser Reihenfolge; und: in personam; und: unten beim Bahnhof. Die Mysterien finden eben doch am Bahnhof statt. (1)
(1) Wörtlich wohl: Die Mysterien finden im Hauptbahnhof statt.
Foto: Stoo Mathiesen