Die Sammlung von Aufsätzen Eckart Försters ist die Frucht eines der Philosophie gewidmeten Lebens.
Reife Frucht
Eckart Förster – man kann es dem Band leider nicht entnehmen – hat eine glänzende akademische Karriere in der Philosophie hinter sich. Von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main führte ihn sein Weg an renommierte Universitäten: Oxford, Harvard, Stanford, Princeton, die Ludwig-Maximilian-Universität München, dann die Johns Hopkins University in Baltimore USA und jetzt die Humboldt-Universität in Berlin. In München war Förster als Nachfolger Dieter Henrichs berufen worden. Als Mitglied wissenschaftlicher Gesellschaften war er an der Herausgabe der Schriften von Kant, Schelling und Jacobi beteiligt. Sein Buch ‹Die 25 Jahre der Philosophie› (2011) wurde mit dem Kuno-Fischer-Preis der Universität Heidelberg gewürdigt. Es führt mit Meisterhand die Lesenden ins Herz des deutschen Idealismus ein und lässt erleben, worum es damals eigentlich ging und wie sich dabei ‹Geschichte› vollzog. Dass Förster seine Reputation und sein Urteilsvermögen für die akademische Rezeption des philosophischen Werkes von Rudolf Steiner in der kritischen Ausgabe von Christian Clement (Verlag Frommann-Holzboog, Band 2 und 4) einsetzte, kann in unseren Kreisen deshalb nicht hoch genug geschätzt werden. Diese Schriften Steiners sind ja nicht, jedenfalls nicht nur, für den privaten ‹Hausgebrauch› da, sondern gehören in den Bereich der öffentlichen Philosophie.
Nun sind in dem vorliegenden Buch sieben Aufsätze aus 20 Jahren Sinnen und Schreiben versammelt. Man sieht ihnen an, wie sehr hier aus vollem Engagement für die Philosophie verschiedene Themen und Fragen behandelt werden. Denn es heißt nicht umsonst im Titel ‹… und Kunst›. Diese kommt nicht auch noch dazu, sondern vielmehr gehören im Grunde Philosophie und Kunst bereits zusammen.
Die Kunst der Methode
Eine Betrachtung zu Platons Dialog ‹Phaidros›, in dem er erstmals die Methode der ‹diairesis›, der Begriffsbildung, d. h. der Unterscheidung und Zusammenfassung von Merkmalen einführt, bildet den Anfang. Förster zeigt, wie diese Methode als Denkübung zu verstehen sei, jedoch nicht nur im nüchtern-trockenen Sinn, denn in der künstlerischen Gestaltung von zwei angeführten Reden von Sokrates im genannten Dialog von Platon kommt schon ein höheres Prinzip zur Erscheinung: die Gestaltung jeder Rede zu einem tragenden Ganzen mit einer inneren Gliederung in sieben um ihre Mitte sich spiegelnden inneren Schritten. Diese aus dem Dialog herausheben zu können, wie Förster es zuerst tut, fordert einen über die einzelnen Begriffe hinausgehenden geübten Blick. Man sieht da zum Beispiel, wie die doch offensichtlich durch die sieben Redner sich steigernde Eulogie (Segensspruch) der Liebe in Platons ‹Symposion› – wo sich ein einsichtiger anthroposophischer Blick schon zu orientieren wüsste – noch den gründlichen Akademiker streiten lassen. Gedankenkunst, Gedanken gestalten können, ist der besseren Philosophie zueigen, jedenfalls der Art und Weise, Philosophie zu treiben in der Nachfolge Platons. Dass jeder der sieben Aufsätze Försters in sieben nummerierte Teile gegliedert ist, weist leise auf diese Kunst hin.
Nun geht es im zweiten Aufsatz über ‹Goethe und die Idee einer Naturphilosophie› mit einem historisch großen Schritt von Platon weiter zu Goethe, der ein ‹gegenständliches Denken› anstrebte, das seine Ideengestaltung den Phänomenen selbst entnimmt und nicht nur hypothetisch-logisch vorgeht. Gestalten wird zum Nachbilden der Fülle der Erscheinungen in ihren wesentlichen Bezügen. Förster weist nach, wo die Philosophie an die Stelle kommt, wo Goethes wissenschaftliches Denken aus der inneren Übung der Philosophie in die Wirklichkeit hinüberführt. Die ausführliche Darstellung dieses Themas einer ‹scientia intuitiva› (Spinoza) findet man in Försters ‹Die 25 Jahre der Philosophie›, doch der entscheidende Punkt wird hier im Aufsatz in sieben Schritten entwickelt. Mit Goethe blickt man auf die Natur.
Im nächsten Aufsatz ‹Da geht der Mann, dem wir alles verdanken!› blickt Förster dann mit Goethe auf Fichte, der diesem – laut der im Titel zitierten Aussage Goethes – so wichtig gewesen ist. Ihr Verhältnis wird neu gefasst. Obwohl Goethe sich denkend den Phänomenen aussetzt, fordert das Nachschaffen im Denken doch ein Bewusstsein der Begriffe, das Fichte bei ihm methodisch anregte, nämlich Gegensätze vereint oder verbunden zu denken. Das ganze Erbe der Philosophie lebt durch die Gedankenkunst der Dialektik Fichtes im Goetheanismus fort, scheint Förster hier anzudeuten, da zum Beispiel eine Erörterung des Wertes von Goethes Farbenlehre nach Försters Ansicht der Tatsache Rechnung zu tragen hätte, dass sie «eine völlige Umdeutung dessen, was Wissenschaft sei», voraussetzt. Eine Umdeutung, die wohl zuerst philosophisch aufzuhellen wäre.
Das Schaffen des Geistes in der Philosophie
Der in der Mitte stehende Aufsatz, ja vielleicht der geheime Punkt, um welchen sich die Reflexionen spiegeln, ist eine wunderlich schöne Betrachtung über «das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus» (‹Hölderlin und das Ende der Philosophie›). Hier schlichtet Förster den Streit, wer Autor dieses berühmten Fragments aus den Jugendjahren der großen Idealistenfreunde sei, ob der geniale Schelling, ob Hölderlin, der sich bald für die Philosophie zu interessieren anfing, oder ob es doch Hegel war, in dessen Handschrift das Systemprogramm überliefert worden ist. Vielleicht eine Zusammenarbeit? So der Gelehrtenstreit. Der Rezensent sollte dem Buch nicht vorher durch ein Enthüllen den Reiz nehmen. Ich verzichte also hier darauf, die Forschungsspur Försters zusammenzufassen. Sein Ergebnis scheint mir jedenfalls sehr überzeugend. Es handelt zuletzt auch von nichts weniger als dem richtigen Verhältnis von Philosophie und Kunst und deswegen ist – wenn auch Goethe und Hölderlin einander damals nicht nahegetreten sind – das Verhältnis von Philosophie und Kunst mehr als eine Beigabe dazu, die Geschichte der Philosophie zu verstehen.
Weiter geht der Weg entlang Hegels ‹Wissenschaft der Logik› zu Einsteins Relativitätstheorie. Im fünften Aufsatz über Rudolf Steiners ‹Vom Menschenrätsel› (GA 20) erörtert Förster nämlich das Thema des wirklichkeitsgemäßen Denkens, des nicht nur logisch richtigen Denkens. Steiners Buch hat als Untertitel ‹Ausgesprochenes und Unausgesprochenes im Denken, Schauen, Sinnen einer Reihe deutscher und österreichischer Persönlichkeiten›. Und um Unausgesprochenes in diesem Buch ist es nun auch Förster zu tun. Der Hintergrund dieses Werkes sind nach Förster Rudolf Steiners Vorträge zu den europäischen Volksseelen. Die schaffenden Kräfte in den philosophischen Seelen sind nach Zeit und Ort, nach Volk und Land differenziert. In der Neuzeit sehen wir die Empfindungsseele, die schaffende Fantasie in den italienischen Renaissancephilosophen wirken, die Verstandesseele im französischen Rationalismus eines Descartes und den Aufklärungsphilosophen und die Bewusstseinsseele zuletzt bei den britischen Empirikern sich durchsetzen. Im deutschen Idealismus stellt sich als Viertes das Ich diesen drei verschiedenen Seelengliedern gegenüber. Und es hieße allerdings die geistigen Quellen dieser Entwicklung misszuverstehen, wenn man im Nachschaffen von Schellingianismus, Hegelianismus oder Fichtianismus bleiben wollte. Ein weiterer geistiger Schritt zum Verständnis der Philosophie ist deswegen notwendig, weil jetzt nicht mehr philosophische Positionen dargestellt werden, sondern auf die noch immerfort schaffenden Kräfte für ein wirklichkeitsgemäßes Denken aus dem Ich heraus hingewiesen wird. Die Philosophie führt ihrem Wesen nach sodann in die Anthroposophie ein.
Das Thema steigert sich noch im sechsten Aufsatz ‹Die Wissenschaftlichkeit der Anthroposophie› über Rudolf Steiners Vortrag auf dem Vierten Internationalen Kongress für Philosophie 1911 in Bologna. Zehn Jahre später erklärte er noch, keiner habe diesen Vortrag seitdem verstanden. Förster fügt hinzu, dass sich daran bis heute wenig geändert zu haben scheint. Das Misslingen dieses möglichen Wendepunktes hatte dramatische Folgen, denn so blieb die Anthroposophie (Theosophie) dem führenden Gelehrtenkreis und der philosophischen Welt damals durchaus fern. Försters Betrachtung gipfelt in der Problemstellung Steiners, wie die Brücke von der üblichen Philosophie zu einer geisteswissenschaftlichen Erkenntnisweise zu bauen wäre. Ein richtungweisender Gedanke wäre dafür die Einsicht gewesen, dass die Bewusstseinsinhalte im gewöhnlichen Bewusstsein sich zu dem Geistiges erkennenden Wesenskern verhalten wie das Spiegelbild zu dem spiegelnden Wesen. Diesen Gedanken zu ergreifen und ausreifen zu lassen, darin sieht Förster heute, ebenso wie es vor 100 Jahren war, immer noch eine Aufgabe.
Ergebnis
Den Schluss bildet ein langer Beitrag über Joseph Beuys’ Kunstwerk ‹Das Ende des 20. Jahrhunderts›. Hier findet Vorheriges seine Anwendung im Durchdringen des anthroposophischen Schaffens von Beuys. Es spiegelt sich das erste Thema der Gestaltungskraft des Denkens.
Die Ausgabe ist sehr schön herausgegeben. Die Kunst spricht über die Philosophie auf dem Cover mit dem Bild der ‹Philosophie› aus dem Deckenfresko Raphaels in der Stanza della Segnatura im Vatikan. Der Sammelband ist wohl eine Geschenkausgabe für alle, die ein Herz für Philosophie haben. Mehr aber noch scheint es mir, dass Eckhart Förster mit seinen Betrachtungen der Philosophie selbst ein Geschenk gemacht hat.
Buch Eckhart Förster: Reflexionen des Geistes in Philosophie und Kunst. Verlag am Goetheanum, Dornach 2021.