Wir brauchen neue Bilder für die Überwindung von sozialer und ökologischer Atemnot. Ein Dialog zwischen Landwirtschaft und Jugend.
Das Landwirtschaften fordert den Blick nach unten, auf den Boden. Brennt die Sonne im April, wenn die Kühe auf die Weide gehen, schon so heiß, dass der Boden staubt, dann ist das ein Kennzeichen der Klimakrise. Wenn von oben kein Regen mehr kommt oder er zu heftig kommt, müssen wir den Blick heben. Die Pflanze wächst auch von oben nach unten. Sie ist eine Himmelsgeborene, die den Himmel auf die Erde bringen kann. Sie nimmt Licht, Wärme, Luft auf und bildet daraus Stoffe, die den Boden beleben und verwandeln. Damit wird deutlich, Landwirtschaft ist auch Klimawirtschaft. Und die Kühe? Aus ihrem Wiederkäuen steigt eine Methanwolke auf, worauf mich Greenpeace hinweist. Diese schweren, irdischen Tiere tragen die am Himmel gebildete Futtersubstanz in ihrem Riesenbauch. Damit sie nicht davonfliegen, müssen sie Methan ablassen, nur so gewinnt ihr Mist die richtige Konzentration, um den Boden nachhaltig zu beleben. Die Kuh ist die Schöpferin des großen Kreislaufes auf unseren Höfen. Ohne sie könnten wir gar nicht dauerhaft an einem Ort sesshaft sein. Wenn man Wurzeln schlagen will, braucht man eine Kraft, die die ganze Welt an einem Platz zusammenzieht und dort eine Hülle bildet. Klimawirtschaft heißt, das große Erdenklima am einzelnen Ort einströmen zu lassen, es aufzunehmen in die Lebensprozesse, sie nicht zu verbrauchen und mit neu impulsierten Lebenskräften wieder ausatmen zu können. Als Klimawirt bewirtschafte ich einen Regenerationsort für das Klima.
Die Erde wollen – gewollt sein
Auch die Geburt eines Menschen geschieht so. In die Erde einzutreten, das ist nur möglich durch die Fürsorge der Umgebung. Und es ist ein ökologischer Akt, weil er mit der Umgebung verbunden ist. Findet die Kraft des Kommenden, des Werdenden die Bedingungen, die erlauben, das Neue mit in die Wirklichkeit der Welt hineinzuweben? Kommt es zu einer Handreichung für das noch nicht Dagewesene des Neugeborenen? Hülle ist immer Wärme und Bejahung der Existenz des anderen und immer konkret. Sehr vielen Menschen, sehr vielen Kindern ist das heute nicht gegeben. Es ist eine Frage an die Gegenwart der Zeit und an uns in unserem Handeln, ob ein Kind hier willkommen ist. Fühlt sich ein Kind wirklich wahrgenommen, gesehen, gehört, und zwar so, dass es wissen kann, dass es hier ist? In den existenziellen Entbehrungen von Millionen Menschen heutzutage lebt ein Nicht-wahrgenommen-Werden. Erziehung ist eine Frage an die Gesellschaft. Rudolf Steiner nahm das als Ansatz für seinen Pädagogischen Kurs. Das Hineinkommen-Können in die Vielfalt der Welt ist eine Frage an die Gesellschaft. Die Gesellschaft muss sie verantworten, muss verantworten, dass ein jeder sich gesehen weiß. Findet das nicht statt, dann stockt der Atem.
Ich will auf der Erde gehen und meinen Beitrag leisten für unsere gemeinsame Zukunft.
Die Erde braucht meinen Fußabdruck
Der Atem stockt im Klima und im Sozialen. «Es gibt eine ultimative Notwendigkeit für Notmaßnahmen gegen den Klimakollaps. Die Wissenschaft hat das bewiesen», sagt Greta Thunberg. Rennen wir aber so nicht gerade in den sozialen Kollaps, wenn sich der Aufschrei der Klimajugend in eine Verabsolutierung und eine Wissenschaftshörigkeit begibt? Sollen wir das soziale Klima vergewaltigen, um das ökologische Klima zu retten? Das soziale Klima ist sehr fragil. Jeder ist eine Welt für sich. Im Sozialen muss man immer atmen können. Wie können wir diese Vielfalt schützen und trotzdem gemeinsam wollen, weil die Zeit es uns fürs Klima abfordert, ohne dass der Atem stockt? Wir brauchen eine soziale Willenskraft von allen für alle, einen neuen Sozialvertrag. Gegenüber dem Klima sind wir gleich, gegenüber dem Boden nicht. Was ich esse, kann ein anderer nicht noch mal essen. Aber alle Äpfel wachsen und reifen unter demselben Klima. Wenn der junge Mensch erkannt wird, lernt er auch zu erkennen, wer er ist und für wen er ist. Können wir zusammen leben, gleich und in unserem individuellen Wirklichkeitssein? Kann ich den anderen mit sein lassen in dem, was ich tue? Ich lerne, mein Verhältnis zu mir zu gestalten mit und durch die Wirklichkeit, dass andere es auch tun. Dass wir hier mit anderen leben, verdanken wir der Wirklichkeit der Erde. In der Annahme meiner Verantwortung wird die Erde zur Substanz meines Schicksals. Unsere Kultur ist auf das Ich gebaut. Das sichere Ich-Gefühl bildet sich an ‹meinem› Stück Boden. Wenn sich mein Blick vom Boden in die Horizontale hebt, trifft er auf das Soziale. Es kommt zum Dialog von Ich und Du. Wenn er sich noch weiter hebt, verliere ich dann mein Ich in der Atmosphäre? Kann ich dort überhaupt ich sein? Kann sich der sphärische Bewusstseinsblick wenden und in der Mitte die Erde finden? Sie ist in diesem Blick aus der Sphäre nicht mehr nur Umwelt, sondern gehört zu mir. Kann der sphärische Blick, wo wir der Vergangenheit in Form der Schöpfungsmythen, aber auch den Verstorbenen begegnen, ergänzt werden durch einen Blick in die Zukunft, wo wir zusammen sind mit allen Ungeborenen, die erst noch Erdenkinder werden wollen? Die Erde sagt nicht, dass sie unseren Fußabdruck nicht haben will. Sie ruft gerade aus der Sphäre, aus der Klimasphäre nach ihm, für unsere gemeinsame Zukunft. Und meine Antwort kann sein: «Ich will auf der Erde gehen und meinen Beitrag leisten für unsere gemeinsame Zukunft.» Die Erde ist die Substanz unseres Schicksals.