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Die Coronakrise auf den Philippinen

Auch auf den Philippinen breitet sich das Coronavirus aus. Dessen Folgen wurden zunächst von der Regierung Duterte heruntergespielt. Ein NNA-Sonder­korrespondent beschreibt die schwierige Lage für große Teile der Bevölkerung.


Tag und Nacht hört man die Motoren, die Hupen und Bremsen von Mopeds, Autos und Bussen, dazu die Sirenen von Krankentransporten. Schon früh erklingt der Ruf von Hunderten von Kampfhähnen aus allen Richtungen, die nervös auf kleinste Geräusche reagieren. In der Woche von Palmsonntag bis Ostern ist dies jedoch anders. In dem Land, das sich rühmt, die weltweit längste Weihnachtszeit zu haben – von August bis Januar, und manche Leute hängen den Weihnachtsschmuck das ganze Jahr nicht ab –, hat jedoch auch die stille Zeit in diesem Jahr eine Rekordlänge von vier Wochen. Sie hat dieses Jahr für den größten Teil der Bevölkerung mit der Einführung einer Quarantäne schon am 16. März begonnen.

Die Quarantäne beinhaltet die Einstellung des öffentlichen Verkehrs, die Regulierung von Nahrungsmitteln und Gesundheitsdiensten sowie eine Ausgangssperre von 18 bis 5 Uhr. Präsident Duterte hat in diesem Zusammenhang in eiligen Beschlüssen von Senat und Repräsentantenhaus umfassende Entscheidungsbefugnisse erhalten. Oppositionelle warnen, das Virus helfe Duterte nun zu dem lange erwarteten Coup. Der gerne als ‹starker Mann› auftretende 73-Jährige erscheint dort kränklich und mit zaghafter, schwacher Stimme. Oft fällt er in mitleiderregenden Singsang, verliert sich und kann doch plötzlich – wie einer Anwandlung folgend – Dinge mit großer Wirkung sagen. So drohte er nach einer unerlaubten Demonstration von Hungernden am 2. April mit Erschießungen, sollten sich die Menschen während der Quarantäne nicht an die Anweisungen halten. Umgehend behauptete die Polizei, der Präsident wollte nur den Ernst der Lage betonen, niemand werde erschossen. Doch noch in derselben Nacht wurde ein Mann auf dieser Grundlage in Quezon City erschossen.

Duterte spielte die Virusgefahr herunter, ließ Rufe nach Schließung der Grenzen für Reisende aus China verklingen. Mitarbeitende im Gesundheitswesen sehen sich oft Diskriminierungen ausgesetzt, da sie als mögliche Überträger angesehen werden. Vor allem den 18 Millionen armen Familien wird das Leben fast unmöglich gemacht. «Eher werden wir am Hunger sterben als an einem Virus», heißt es an vielen Orten. Wenigstens ein Fünftel der Bevölkerung ist von Gelegenheitsarbeit abhängig. All diese Menschen dürfen jetzt ihren Stadtbezirk (Barangay) nicht verlassen.

Zu den 18 Millionen Familien gehören auch all diejenigen, die momentan ihrem regulären Job nicht nachgehen können: etwa im Transportwesen, wo es in einer Stadt wie Puerto Princesa mit 230 000 Einwohnern mehr als 5000 Mopedtaxis und 1500 Kleinbusse gibt. Und die vielen Millionen, die einen Job haben, denen aber der Lohn nicht weiter bezahlt wird. Da keine Verkehrsmittel zur Verfügung stehen, müssen Kassiererinnen oft viele Kilometer zur Arbeit laufen und sitzen manchmal ohne Frühstück an der Kasse.

Gerade für die Ärmsten, die oft zu 5, 10 oder gar 15 Personen auf engstem Raum in kleinsten Hütten wohnen, ist es unmöglich, Distanz zu halten. Ganz abgesehen von den Hunderttausenden, die tatsächlich auf der Straße leben – das sind oft alleinerziehende Mütter von zwei oder drei Kindern.

Es gibt die unterschiedlichsten individuellen Schicksale und es gibt viele Initiativen, die Not zu lindern. Einmal kocht ein Nachbar für die umliegenden Haushalte. Einmal sind es Mitarbeitende der Kirche, die Essenspakete austragen, einmal gibt es eine Familie, wo noch zwei, drei Mitglieder eine gut bezahlte Arbeit haben – dann wird Essen in der Nachbarschaft verteilt. Die Caritas Manila etwa verteilt Hygiene-Packs mit einem Liter Ethylalkohol, Gesichtsmasken, antibakterieller Seife, Vitamintabletten und mehr. Anderswo lässt der Tante-Emma-Laden (sari sari store) auf Pump kaufen.

Verzweiflung und Mangel

Doch es gibt auch Verzweiflung, Hunger und Depressionen. In manchen Landesteilen wie in Romblon hat auch das illegale Fällen von Urwaldbäumen wieder zugenommen. Fälltrupps wurden auf frischer Tat ertappt. Aber auch das Stehlen von Früchten aus Gärten kann schon eine Festnahme oder Bestrafung nach sich ziehen.

Manche sind zu solchen Taten nicht mehr fähig. So ist vorige Woche in der Nähe von Angeles City eine Leiche in einem aus Kartons zusammengeschusterten Verbau gefunden worden – der Mann starb an Hunger. Ein anderer unweit davon stürzte sich in den Fluss, da er seine Familie nicht mehr ernähren konnte. All dies geschieht auf Basis von Furcht, die von der Regierung und Teilen der Presse geschürt wird – ohne dass die Allermeisten verstehen, was eigentlich los ist.

Diese Furcht führt auch zu Panikkäufen, wie man sie aus reichen Ländern kennt – aber das gilt natürlich nur für Menschen, die auch Geld haben. Im Allgemeinen sind die Läden und Märkte voll, eher übervoll, da den Menschen einfach das Geld fehlt, einzukaufen. Ein Mangel herrscht in den Großstädten an Gemüse und Früchten, da das Transportwesen teilweise zusammengebrochen ist und die Ernten auf den Feldern oder in den Ladehallen verfaulen.

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Bewohner eines Slums in San Roque in Quezon City gingen letzte Woche auf die Straße, um gegen die langsame Verteilung von Hilfsgütern zu protestieren.

Die schon zu Beginn der Ausgangssperre versprochenen Lebensmittelverteilungen und finanziellen Hilfen sind erst spärlich in wenigen Orten angelaufen. Die Lebensmittel werden im Regelfall zu den Familien gebracht, die sich zu Hause aufhalten sollen. Meist handelt es sich dabei um Pakete, die durchaus die tägliche Ernährung vieler Menschen widerspiegeln: 3, 4 oder 5 Kilo Reis, einige Pakete Nudeln und dazu verschiedene Dosen, fast immer mit Sardinen. Nur an ganz wenigen Orten gibt es gesundheitsbewusste Entscheider. So ließ der Bürgermeister der weit abseits gelegenen Insel Cuyo ein zum Kochen vorbereitetes Gemüsegericht (Pinakbet) sowie Tomaten und weiteres Frischgemüse verteilen. An einigen anderen Orten gab es frischen Fisch.

Bewohner eines Slums in San Roque in Quezon City gingen letzte Woche auf die Straße, um gegen die langsame Verteilung von Hilfsgütern zu protestieren. 21 Menschen wurden dabei verhaftet. Präsident Dutertes Reaktion darauf: «Schießt sie tot.» Inzwischen hat sich eine wohlhabende Familie gemeldet, die bereit ist, die Kaution für die Freilassung der Inhaftierten zu bezahlen. Die Stadt Quezon City lieferte inzwischen 5 Kilo Reis und 13 Dosen Ölsardinen als Soforthilfe an alle Familien in San Roque. Am Donnerstag letzter Woche meldete nun auch das Departement für Wohlfahrt und Entwicklung den Erhalt der ersten 100 (1,8 Milliarden Euro) von 200 versprochenen Milliarden Pesos an Notfallhilfe für die 18 Millionen armen Familien.

Positive Effekte für schutzwürdige Arten

Währenddessen breitet sich das Virus im Lande aus. Beängstigend ist die hohe Zahl an verstorbenen Frontline-Ärzten (ca. 10 Prozent aller an Covid-19 Verstorbenen). Für gemeinnützige Gruppen haben die von den Politikern ausgelösten Veränderungen oft positive Effekte. Was man sich in den kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können, hat China nach unseren Informationen getan, nämlich Handel und Verzehr von Wildtieren verboten. Das bedeutet eine unvorstellbare Verbesserung für die vielen endemischen Arten, die oft auf der Roten Liste stehen und doch in den vergangenen Jahren zu Tausenden aufs chinesische Festland gelangt sind, wie die zwei Arten der Palawan-Süßwasserschildkröten oder der einheimische Pangolin. Die Arbeit von vielen engagierten Menschen vor Ort und auf der ganzen Welt wäre damit mit einem Schlag erledigt.

Am Palmsonntag meldete sich nun auch die frühere Justizministerin Leila de Lima zu Wort. Ihre Erfahrungen aus 1140 Tagen Gefängnis beginnt die kluge Juristin mit der Korrektur des irreführenden Begriffs Social Distancing zu Physical Distancing. Strenge Routine wie frühes Aufstehen, gesunde Ernährung gehören dazu und: Beten, Beten, Beten.


Bild: Quezon City, Philippinen

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