Constanza Kaliks und Peter Selg, Leitende der Allgemeinen Anthroposophischen Sektion, erschließen in Werkporträts den jüdischen Humanismus.
«Zum Humanismus gibt es im 20. Jahrhundert viele Stimmen», sagt Constanza Kaliks, Co-Leiterin der Allgemeinen Anthroposophischen Sektion am Goetheanum. Sie und ihr Kollege Peter Selg sehen in der Auseinandersetzung mit den Beiträgen des jüdischen Humanismus angesichts akuter Konflikte und zivilisatorischer Herausforderungen eine existenzielle Aufgabe.
Peter Selg zeichnet im Buch ‹Anthroposophie, Judentum und Antisemitismus› die Beziehung Rudolf Steiners zum Judentum, zum Zionismus und zum Antisemitismus nach. Diese erweist sich als differenziert: voller Hochachtung gegenüber den kulturellen und wissenschaftlichen Leistungen von Menschen, die mit der jüdischen Kultur verbunden sind; kritisch gegenüber nationalem Zionismus, den Rudolf Steiner – wie jede andere nationalstaatliche Bewegung – für überholt und gefährlich hielt; zudem wählte er in den 1880er-Jahren Formulierungen, die zu Irritationen bei jüdischen Freunden führten. Peter Selg bettet sie in den Kontext des damaligen Diskurses ein und zeigt, dass Rudolf Steiner auch weiter Anteil an den Entwicklungen in Palästina nahm, das Werk Martin Bubers schätzte und mit Zionisten wie Ernst Müller und Hugo Bergman verbunden war. Peter Selg und Constanza Kaliks arbeiten die Beiträge jüdischer Philosophinnen und Philosophen des 20. Jahrhunderts «zum tieferen Verständnis der Gegenwart» heraus und sehen in ihnen eine Nähe zur Anthroposophie. Kaliks: «Die im jüdischen Humanismus beschriebenen Perspektiven nehmen den Menschen in seiner geistigen Dimension wahr. In der Zuwendung zum Anderen ist die Menschlichkeit des Menschen begründet. Dies eröffnet einen Dialog mit sich, mit den Anderen und mit der Welt, der auf einen erweiterten Horizont des zu Erkennenden weist. Hierin liegt auch die Möglichkeit eines Dialogs zwischen dem Hochschulimpuls Rudolf Steiners und den Philosophen des jüdischen Humanismus.»
Peter Selg und Constanza Kaliks ist wichtig, dass der bisher weitgehend unterbliebene Dialog zwischen Anthroposophie und jüdischem Humanismus heute geführt wird. Dafür widmeten sie sich bereits Schriften und Leben von Martin Buber, Franz Rosenzweig, Primo Levi, Hans Jonas, Hannah Arendt, Simone Weil, Gustav Landauer und Maria Krehbiel-Darmstädter; Veranstaltungen zu Emmanuel Levinas und Paul Celan folgen. Mit Ernst Müller, Hugo Bergmann, Gershom Scholem und Margarete Susman setzen sie 2024/25 die Reihe fort.
Bilder von links im Uhrzeigersinn
Gustav Landauer in 1892, Foto: Oscar Suck/Wikimedia Commons CC SY 3.0
Primo Levi in 1983, Foto: Monozigote/Wikimedia Commons CC SY 4.0
Hannah Arendt in 1958. Foto: Barbara Niggl Radloff, Münchner Stadtmuseum.
Martin Buber in 1963, Foto: Bilsen, Joop van for Anefo/Wikimedia Commons CC SY 3.0
Emmanuel Levinas. Foto: Bracha L. Ettinger, CC BY-SA 2.5
In «Anthroposophie weltweit» (Heft Oktober 23, Seite 9) war dazu ein Riesenartikel, mit Gratis-Link für die gesamte Vorlesungsreihe. So toll und interessant! Kann ich hier leider nicht sharen, nur für Etepetete.
Herzlichen Dank an die Leitenden der Allgemeinen Anthroposophischen Sektion für die Mühe, die sie sich gemacht haben. Ich persönlich halte auch die tief empfundene jüdische Spiritualität von Allen Ginsberg für wesentlich. Und die geistigen Impulse von Saul Bellow. Die Tragik des Lebens und Werks von Rudolf Borchardt. Und Georges-Arthur Goldschmidt! Es sind nicht nur die Philosophen und Gelehrten, die den jüdischen Humanismus befördern, es sind die Dichter und Künstler, auch dort, wo sie irren und scheitern.
Es kommen noch mehr Veranstaltungen, darunter ist im November auch eine für Paul Celan.