Deshalb brauchen wir Schauspiel

Der Schauspieler spielt. Er spielt mit Feuer. Er spielt mit etwas, das uns sehr nahe und sehr intim ist: mit der menschlichen Handlung – also unseren Handlungen. Deshalb nennen wir ihn auch ‹Akteur›, denn er gestaltet Aktionen, Handlungen.

Jede Kunst, jedes Spiel setzt voraus, dass man sich von der sogenannten ‹realen Welt› distanziert. Sie setzt voraus, dass man sich aus ihr herauslöst, um sie als Beobachter zweiter Ordnung zu betrachten und – indem man sich dieser sogenannten ‹realen Welt› bemächtigt – eine neue Wirklichkeit entstehen zu lassen. So aktualisiert jede Kunst die Wirksamkeit der menschlichen Freiheit und macht sie sichtbar.

Das Material des Schauspielers, der Schauspielerin ist aber gerade das menschliche Handeln. Hier sehen wir einen Menschen, der in der Lage ist, sich über sich selbst zu stellen und auf sich selbst einzuwirken. Er zeigt, dass es möglich ist, die menschliche Handlung frei zu ergreifen und ihr Gestalt zu verleihen. Er beweist sozusagen in Echtzeit und hautnah das Potenzial der menschlichen Freiheit. Er weckt im Betrachter ein höheres Selbst, regt in ihm die Fähigkeit an, sich selbst in den Handlungen seines Lebens zu beobachten und die mechanische Kette von Ursache und Wirkung menschlicher Handlungen zu durchbrechen, jene Kausalkette, die wir manchmal ‹Karma› nennen. Deshalb brauchen wir Schauspiel.

Die Schauspielkunst wird so zu einem alchemistischen Erwecker dieser Fähigkeit, sich selbst zu transzendieren, um die Kette der Kausalität, des Determinismus zu überwinden, um innerhalb des Schicksals, innerhalb des Karmas selbst, Neues zu schaffen.


Bild ‹Prüfung der Seele›, 1971, Mysteriendrama von Rudolf Steiner, 5. Bild. Lucifer: Cäcilia de Benedetti, Johannes: Klaus Brenzel, Doppelgänger: Ernst Thomann, Ahriman: Wolfgang Greiner. Foto: Werner Kehlert.

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