Der Trauzeuge Otto Bock und seine Frau Mila

Marginalien zu Rudolf Steiners Leben und Werk 27


Rudolf Steiner pflegte in Weimar engen freundschaftlichen Verkehr mit der Familie Bock. Vermutlich war die Bekanntschaft durch den dänischen Schriftsteller Rudolf Schmidt im Oktober 1890 zustande gekommen. Denn wie Rudolf Schmidt stammte der Ingenieur und Ziegeleibesitzer Otto Bock (1850–1913) aus Kopenhagen. Rudolf Steiner half ihm beim Verfassen seines Buches ‹Die Ziegelei als landwirtschaftliches und selbständiges Gewerbe› (Berlin 1893), das dementsprechend die Widmung trägt: «Seinem lieben Freunde, Herrn Dr. Steiner mit Dank für freundliche Hülfe / d. Verf. / Weimar 24 April 1893.»

So eng war die Verbindung mit der Familie, dass Rudolf Steiner sogar eingeladen wurde, als im Mai 1894 die Schwester von Emilie ‹Mila› Bock (1865 – nach 1917) heiratete. Er sagte zunächst seine Teilnahme ab, da die Hochzeit direkt vor dem jährlichen Goethefest lag – «für uns Weimarische Goetheleute der angestrengteste des ganzen Jahres»1. Auf dem Absagebrief findet sich jedoch als Notiz von der Hand Mila Bocks: «Kam doch zur Hochzeit und hielt eine schöne Rede. M. B.» Rudolf Steiner selbst erzählt über seine Hochzeitsrede: «[…] ich suchte mich der Rednerpflicht, die mir oblag, weil ich oft in dem befreundeten Hause verkehrte, dem die Braut entstammte, dadurch zu entledigen, dass ich von den entzückenden Erlebnissen sprach, die die Gäste dieses Hauses haben konnten. Ich redete, weil man erwartete, dass ich rede. Und man erwartete von mir eine Hochzeitstischrede, wie ‹sich’s gehört›. Und so hatte ich an ‹meiner Rolle› wenig Freude.»2

Familie Bock übersiedelte 1896 nach Berlin, wie wenig später auch Rudolf Steiner und Anna Eunike. Die Familien blieben im engen Kontakt und feierten Feste wie Weihnachten und Silvester miteinander. Aus dieser Zeit hat sich ein ‹Punschlied› in Rudolf Steiners Handschrift erhalten:

«Wir sind in Milas und Ottos Haus / Niemals schmeisset man uns aus ihm hinaus. / Schliesslich find ich nimmer heim / Solchen schönen netten Leim / Sagt das gute nette Elsulein 3  / Das ist wieder mal ein Keim / Zum einem künftigen Stell’ Dich ein / Solches sei euch zur Bowle gesagt / Auf dass kein Groll Euch plagt. / Kein beträchtlicher Dichter hat das Gedicht / Aber ein oller ehrlicher Anarchist: / Steiner Anna Eunike Minni Eunike». 4

Als Anna Eunike und Rudolf Steiner am 31. Oktober 1899 heirateten, war Otto Bock neben John Henry Mackay Trauzeuge. Auch nahm das Ehepaar Bock in den nächsten Jahren gelegentlich am Literatenkreis der ‹Kommenden› teil. Vermutlich verlor sich aber dann mit Rudolf Steiners zunehmendem Engagement für die Theosophie der Kontakt mit Familie Bock.

Albumblatt für Mila und Otto Bock. Berlin 14.5.1899, Bildquelle: Rudolf Steiner. 1861–1925. Eine Bildbiografie, herausgegeben von David Marc Hoffmann, Albert Vinzens, Nana Badenberg, Stephan Widmer.

Erst viel später, im Februar 1917, wandte sich Mila Bock wieder brieflich an den alten Freund. Dieser Brief ist ein besonderes Zeugnis dafür, wie frühere Freunde den weiteren Weg Rudolf Steiners verfolgten: «Sehr geehrter Herr Dr. Steiner! Wie ein Gruß aus einer anderen Welt wird es Sie anmuten, wenn Sie meine Unterschrift lesen, und hätte ich nicht, vor nun 3 Jahren, nach einem Ihrer Vortragsabende, Sie begrüßen dürfen, Sie müßten vielleicht noch tiefer in Ihrer Erinnerung nachsuchen: ja, wer ist denn dies eigentlich? […] Ja, lieber Herr Doktor, ich komme mit der großen Bitte, mir in richtiger materieller Not zu helfen. Sie werden vielleicht verwundert sein darüber, denn Sie haben uns als eine Familie in guten Verhältnissen gekannt.»5

Im Folgenden schildert sie, wie die Familie nach dem Tod ihres Mannes 1913 in bedrängte Verhältnisse kam. Sie bittet Rudolf Steiner um einen Kredit von 2000 Mark, damit sie eine kleine Wohnung für sich und zwei ihrer vier Töchter mieten könne: «Soll ich Sie nun, lieber Herr Doktor, an unsere alte langjährige Freundschaft erinnern? Daran, […] daß wir oft, oft fröhlich und oft auch ernsthaft miteinander waren? Ich glaube, es wird nicht nötig sein, ich habe das bestimmte Gefühl, daß, wenn Sie uns helfen können, Sie es auch tun werden. Um der Kinder willen, die Sie alle auf Ihren Knien geschaukelt haben, werden Sie es tun! […] So weit sind unsere Wege auseinander gegangen. Sie sind ein berühmter Mann geworden! Ich weiß viele, und nicht unter den Schlechtesten, denen Sie das Ereignis ihres Lebens geworden sind. Auch ich habe ein wenig Ihren Weg verfolgt, das, was Sie einmal an mir zu schätzen schienen, als ich noch ‹das junge Ding› war, wie Rudolf Schmidt sagte: die Sehnsucht über den Alltag hinaus, das Interesse am Feineren, Geistigen, das habe ich mir noch immer bewahrt. Und so habe ich auch von Ihnen und über Sie gern gelesen […]. Und ist Ihr Weg auch ein ganz anderer geworden als ich damals dachte, daß er werden sollte, da auch ich von Ihnen manches empfing, das mir für’s Leben bleiben sollte, an vielem, vielem erkenne ich doch, daß Sie im Grund sich selber treu geblieben sind.»

Rudolf Steiner half der Familie. Er empfing die zweitälteste Tochter Eva in der Motzstraße und überreichte ihr das Geld, wie aus Mila Bocks Dankesbrief vom 5. März 1917 hervorgeht: «Heute will ich Ihnen auch dafür danken, daß Sie so freundlich zu Eva gewesen sind und daß Sie ihr, oder uns, ein so großes Geldgeschenk gemacht haben! Zwar war es ja, als ich mir erlaubte, an Sie zu schreiben, nicht meine Absicht gewesen, Sie um ein Geschenk zu bitten, ich gedachte, mir eine größere Summe zu leihen, die ich, wenn unser Geschäft wieder arbeitet, wieder zu geben hoffte, aber Sie haben vielleicht recht, daß ein Geschenk schöner als geliehenes Geld ist, und darum nehme ich es gern an, mit ebenso freiem Herzen, wie es gegeben worden ist. […] Lieber Herr Doktor, es war mir auch eine solche große Freude, daß Evchen Sie kennenlernen durfte, denn in den vielen Jahren habe ich so oft von Ihnen erzählt und was ich Ihnen zu verdanken habe, daß Sie meinen Kindern eine Art mystischer Persönlichkeit wurden; und als sie anfingen, Ihre Vorträge zu besuchen und gar Ihre Schriften zu lesen, wurden sie nicht müde, mich immer wieder nach Ihnen, selbst nach dem kleinsten Ihrer Aussprüche auszufragen, und Ihre Philosophie der Freiheit gar muß ich noch heute unter Schloß und Riegel legen, denn alles, was Jugend um mich herum ist, möchte mir dieses Buch am liebsten ausführen. – Und nun sind Sie so freundlich, so gütig zu Eva gewesen, und die Art, wie Sie ihr das Geld gaben, fand sie so herrlich, daß, wie sie schreibt, sie Sie am liebsten hätte umarmen mögen.»

Es war eine besondere, freiheitgebende Geste Rudolf Steiners, das benötigte Geld nicht als Kredit, sondern als Geschenk zu geben, wie Mila Bock auch fein empfand. Seine Handlungsweise legt nahe, dass er sich der Familie noch besonders verbunden fühlte. – Ob die Verbindung anhielt, ob sich eine der vier Töchter Bock tiefer für die Anthroposophie interessierte, darüber liegen keine Dokumente vor.

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Footnotes

  1. Brief vom 7. Mai 1894, Rudolf Steiner, Sämtliche Briefe 2, Dornach 2023, S. 565 f.
  2. Mein Lebensgang [1923–1925], GA 28, 9. Aufl. Dornach 2000, S. 271 f.
  3. Möglicherweise ist hier die fast dreijährige jüngste Bock-Tochter Hilde Else gemeint.
  4. Mai 1899. Faksimile in: Rudolf Steiner, Eine Bildbiografie. Hrsg. von D. M. Hoffmann, A. Vinzenz, N. Badenberg, St. Widmer, Basel 2021, S. 131.
  5. Rudolf-Steiner-Archiv

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