Der neue Schmutz

Wenn nicht in naher Zukunft angemessene Vorkehrungen und Kontrollen eingeführt werden, die auf einem grundsätzlichen Verständnis der biologischen Wirkungen elektromagnetischer Strahlen basieren, wird die Menschheit in den kommenden Jahren in ein Zeitalter der Umweltverschmutzung durch Energie eintreten, die mit der chemischen von heute vergleichbar ist. So konstatierte die US-Regierung schon 1971. Müssen wir die Nachhaltigkeitsdebatte um eine Dimension erweitern?


Die Ursache des Vogelsterbens war schon von Weitem zu sehen: Das Naturreservat in den Wanderdünen war zum konzentrierten Standort von 318 aktiv in Betrieb befindlichen 4G-Antennen geworden. Sie transportieren ihre potenzreiche Frequenzlast von hier in die Welt, das Back-up-System des Internets hat hier eines seiner Basislager. Diese Antennensäulen stehen 0,5 bis 8 Kilometer auseinander und emittieren zwischen 1000 und 2000 Watt Strahlungsleistung. Gerade zwischen April und Juni 2022 wurden 46 neue Strahlungsriesen errichtet.

Bislang interessierte diese Frage wohl nur die Fachleute. Hauptsache, es funktioniert, ein Knopfdruck reicht, der ‹Saft› fließt. Stromlosigkeit ist mit dem Ende des Kerzenlichtes um 1860 Geschichte. Es waren Alessandro Volta, Michael Faraday und Heinrich Hertz, die die physikalischen Grundlagen der Elektrizität entdeckten. Heute lässt sich unser elektrischer Alltag sehr gut bestimmen: Die elektrische Spannung wird in Volt, die Stromstärke in Ampere gemessen. Der Wechselstrom, seine Frequenz, wird in Hertz angegeben. Es sind diese unsichtbaren elektrischen Größen, die die Wachstumsgesellschaft am Laufen halten – denn ohne Elektrizität (und deren stetigem Zuwachs) kein Wachstum.

Unsichtbarer Schmutz

Wir leben in einem elektromagnetischen Ozean, in einer Magnetosphäre: Das Magnetfeld der Erde befindet sich 45 000 Kilometer (= 7 Erdradien) von der Erde entfernt und bietet uns einen Schutzschild gegen die elektromagnetischen Stürme der Sonne, die diese von Zeit zu Zeit eruptiv in den Weltraum schleudert. Eine Folge ist zum Beispiel die in uns messbare Bioelektrizität, Grundlage zahlreicher diagnostischer Verfahren, etwa EEG (Hirnströme), EMG (Muskelströme), EKG (Herzströme). Typische Forschungsfragen in der Bioelektrizität sind: Wirkmechanismen von Mobilfunkstrahlung auf Organismen und Zellen; Berufskrankheiten durch ionisierende Strahlen; biologische Wirkungen elektromagnetischer Felder auf Insekten.

In der Elektrobiologie steht seit mehreren Jahren die Messung der Körperstromdichte im Mittelpunkt – ein Schlüsselbegriff aus der neuen Klasse der elektromagnetischen Verletzlichkeiten. Worum geht es? Da alle Lebewesen elektrisch geladene Moleküle enthalten, wird durch Einwirkung äußerer elektrischer und magnetischer Wechselfelder auf die Bewegung der inner-elektrischen Körperströme Einfluss genommen. Die Berechnung oder Messung der Körperstromdichte ist die einzige Möglichkeit, die tatsächliche Körperbelastung zu erfassen. Faktisch ist überall eine Feldbelastung festzustellen. Jeder von uns hat elektrische Felder um sich und unser Organismus arbeitet selbst mit elektrischen Impulsen zur Steuerung jeglicher Lebensfunktion.

Neue Nachhaltigkeit

Es wurde nachgewiesen, dass mobil zu telefonieren keine Hirntumore verursacht. Aber bedacht werden sollte, was im Hintergrund wirkt, um die ‹Handywelt› zum Funktionieren zu bringen: Es ist der Elektromagnetismus, den die ‹Knopfdrucktechnologiewelt› braucht, um elektrisches Leben als unseren Diener zu wecken. Der physikalisch-technische Elektromagnetismus, künstlich erzeugt, hat nichts Natürliches, und doch ist er auf dem Wege, zum Träger einer elektromagnetisch sich aufladenden Zivilisation zu werden. Er gilt als Retter, als Perspektive und ist hochpolitisch. Für die Farben hat der Mensch seine Augen, für die Töne seine Ohren, im Falle des Magnetismus sieht der Mensch zwar, dass der Magnet das Eisen anzieht, aber was Magnetismus selber ist, sieht er nicht. Bei der Elektrizität nehmen wir Licht- und Wärmewirkungen wahr, nicht aber die Elektrizität selber. Wie würde die Welt aussehen, wenn wir Elektrizität und Magnetismus unmittelbar wahrnehmen könnten, aber dafür nicht Licht, Farben, Töne und so weiter? Es gibt eine elektromagnetische Welt neben uns, aber auch in uns: Wir treiben sie voran, jedoch auf die nicht beabsichtigten Folgen sind wir nicht vorbereitet.

Warum gibt es im Deutschen Bundestag keine Enquetekommission zur Aufklärung über die Folgen und Nebenfolgen des forciert eingeschlagenen Weges in eine elektrische Zukunft? ‹Magnetismus-Verschmutzung› wird zur Signatur dieser neuen Zeit gehören, auch wenn heute im umweltpolitischen Dialog noch nichts zu finden ist. Weder im Bundesumweltministerium noch im Wuppertal-Institut noch im Öko-Institut in Freiburg wird bislang über diese neuen Herausforderungen geforscht – das ‹klassische› Klimathema beherrscht den Diskurs. Dies sollte sich ändern. Die Nachhaltigkeitsdebatte muss um eine neue Dimension ergänzt werden: die sich elektromagnetisch aufladende Gegenwart.

Energiewende?

Die elektrischer werdende Zivilisation kann als Epoche betrachtet werden, was uns auffordert, nach neuen Leitbildern zu suchen: Könnten gar Zartheit und Schönheit zu neuen Sternen des naturwissenschaftlichen Weltbilds werden? Genau diese schlägt Christiane Haid, Leiterin der Sektion für Schöne Wissenschaften am Goetheanum, vor. Sie entwickelt eine Zukunftsutopie, spricht vom ‹Morgentor des Schönen› – und führt aus: «In der gegenwärtigen Weltsituation über das Schöne nachzudenken, bedeutet, Perspektiven für einen möglichen Weg ins Licht in den Blick zu nehmen. Die Weltsituation hängt in einer tieferen Schicht mit der Frage der Schönheit zusammen. Es ist die eigentümliche Natur des Schönen, sie nicht als eine zu erlangende Eigenschaft im materiellen Sinne zu verstehen, sondern in ihr eine Kraft des Menschen zu sehen, die Welt zu verwandeln, sich also selbst schöpferisch zur Schönheit hin zu entwickeln.» Damit ist der transhumanistischen Illusion eine Absage erteilt, wonach der Mensch prinzipiell der nunmehr intelligenter werdenden Maschinenwelt unterlegen sein wird. «Denn wo Gefahr droht, da entsteht sogleich auch die andere Möglichkeit, dass wir gerade in einer Sackgasse, die wir uns selbst gemauert haben, aufwachen und uns selbst als Mensch begreifen und radikal neu zu bestimmen beginnen.» So Jens Göken in seinem Buch: ‹Die Maschinenkultur und die Anthroposophie als ihre Gegenbewegung›. Das Denken in Utopien scheint wieder angesagt. Es geht um Erneuerungsimpulse, die fundiert eine nachhaltige, humane und spirituelle Kultur erkennen lassen – weltweit.


Foto Marti Sami, Unsplash

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