Der musikalische Ton als Weg zum Menschen

Nachdem Michael Kurtz 2015 mit seiner Veröffentlichung von ‹Rudolf Steiner und die Musik› eine Zusammenstellung biografischer und geisteswissenschaftlicher Motive geliefert hat, ermöglicht die Neuerscheinung ‹Wege zum Ton›, herausgegeben von Matthias Bölts, einen phänomenologisch-qualitativen Einstieg in das Feld anthroposophischer Musikpraxis.


Das Buch geht von der kleinsten musikalischen Einheit, dem musikalischen Ton, aus. Das Erleben desselben einzig als physikalisch-akustisches Ereignis deckt sich nicht mit einer qualitativen Hörerfahrung, denn sie schließt den hörenden Menschen aus. Der Ton als «ästhetisch-menschenkundliches, geistig-wesenhaftes Phänomen» (S. 6) bedarf des hörenden Menschen, der sich erlebend dem Ton zur Verfügung stellt und diesen somit aus innerer Aktivität mit-schöpft. Entsprechend wie sich der Ton nicht einfach zur Verfügung stellt, sind auch die Wege zum Ton individuell und werden innerhalb der gleichnamigen Veröffentlichung aus der Perspektive von Komponisten, Instrumentenbauerinnen, Instrumentalisten und Sängern, Musiktherapeutinnen und -pädagoginnen sowie Eurythmistinnen dargestellt.

Die insgesamt 23 Beiträge von 19 Autorinnen und Autoren fußen dabei auf der jeweiligen Auseinandersetzung mit Rudolf Steiners Vortragszyklus ‹Das Wesen des Musikalischen und das Tonerlebnis im Menschen› (GA 283) und sind in Kolloquienarbeit im Rahmen eines Forschungsprojekts an der anthroposophischen Musikausbildungsstätte MenschMusik in Hamburg entstanden. Dabei setzt sich der erste von insgesamt fünf Abschnitten des Buchs mit dem Verhältnis von Hören und Stille auseinander, der zweite Abschnitt skizziert verschiedene Seinsebenen sowie Wesensglieder des Tons. Im dritten Abschnitt werden mit der Tonentstehung und Tonbildung einzelne Facetten des lebendigen Tonerlebnisses dargelegt, woran der vierte Abschnitt mit einigen Motiven einer Musik- und Bewusstseinsgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, die auf dem Ton als Keimzelle von Tonalität und Tonsystemen fußt, anknüpft. Der letzte und fünfte Abschnitt setzt sich mit dem Untertitel der Publikation auseinander und fasst mit der Beziehung des Tons zum Menschen und zum Kosmos Vorangegangenes zusammen.

Aus der großen Fülle der inhaltlichen Beiträge und methodischen Ansätze sei exemplarisch die Darstellung der Wesensglieder des musikalischen Tons im zweiten Abschnitt herausgegriffen, die folgende Dreigliedrigkeit des Tons vorschlägt: Was sich beim Menschen als Leib, Seele und Geist zeigt, findet sich beim musikalischen Ton in Schallhülle, Seelenhülle und Tongeist wieder.1 Dabei ist die Schallhülle – an anderer Stelle auch als Schallkleid und Schallgewand bezeichnet – das akustisch vernehmbare Kleid, innerhalb dessen der musikalische Ton erscheint und in eine Hörbarkeit gebracht wird. Parameter dieses Schallkleids sind Tonhöhe, Tondauer und Dynamik respektive Tonstärke. Ein reines Schallkleid ohne Klanghülle und Tongeist ist ein Geräusch. Wenn zur Schallhülle noch die Seelenhülle des Tons hinzukommt, wird durch diese eine seelische Klanghülle gebildet, die beispielsweise durch die seelische Aktivität der interpretierenden In-strumentalisten oder Sänger hervorgebracht wird. In der Seelenhülle des Tons findet sich der seelische Ausdruck desselben, der sich auch im Laut zeigt. Es ist dabei der Tongeist, der seine Klang- und Schallhülle herausbildet und das Wesen des Tons in sich trägt.

Der hörende Mensch und innerhalb dessen die menschliche Seele zeigt sich als zentraler Ort der Tonbildung: «Die Seele lebt als Mittler zwischen Leib und Geist, im Musikalischen webt sie als Gestalterin des Klanges ein Schallkleid der Außenwelt aus der Innenwelt des Tonwesens heraus.»2 Es ist eine Tätigkeit der menschlichen Seele, als Mittler zwischen Leib und Geist aufzutreten und somit stetig zwischen Hörbarem und Unhörbarem hin- und herzugehen.

Wenn man dabei das Devachan als die gemeinsame geistige Heimat von Ton und Mensch ansieht,3 ist der musikalische Ton ein Weg zum Menschen, der als geistig-seelisches Wesen auf der Erde tätig ist.

Die Neuerscheinung ist mit der Intention angetreten, als Grundlagenwerk zukünftiger Tonforschung und Musikausbildung zu dienen. Sie richtet sich dabei gleichermaßen an Musizierende, Übende, Lehrende in musikalischen und künstlerischen Einrichtungen wie auch an interessierte Laien. Ein aus der musikalischen Praxis zusammengestelltes Handbuch, das Interessierten wertvolle Impulse und Anregungen bereithält.


Buch Matthias Bölts (Hrsg.): Wege zum Ton. Der Ton in seiner Bedeutung für die Musik, den Menschen und den Kosmos. Edition Widar, Hamburg 2024.
Für Frühbesteller ein Rabatt von 30 Prozent: 23.- € statt regulär 33.- € zzgl. Versandkosten bei Bestellungen bis 1.10.2024 unter info@menschmusik.de

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Footnotes

  1. Johannes Greiner, Die Wesensglieder des musikalischen Tones, in: Matthias Bölts, Wege zum Ton, Edition Widar Hamburg 2024, S. 78 ff.
  2. Manfred Bleffert, Die Klangseele als Mittlerin zwischen Tonwesen und Schallgewand, in: Matthias Bölts, Wege zum Ton. Edition Widar, Hamburg 2024, S. 74.
  3. Matthias Bölts, Ich bin du, und du bist von meiner Art. Von der Wesensverwandtschaft des musikalischen Tones mit Mensch und Logos, in: Matthias Bölts, Wege zum Ton. Edition Widar, Hamburg 2024, S. 308.

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