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‹Dein Reich komme›

Robotik und Automatisierung könnten fast die Hälfte der Arbeitsplätze in der Welt bedrohen, so neue Schätzungen. (1) Diese soziale Herausforderung, die sehr früh von Rudolf Steiner in der Dreigliederungsidee thematisiert wurde, ist auch Thema der zwischen 1937 und 1942 entstandenen Oper ‹Dein Reich komme› von Alois Hába. Die Welturaufführung des von der Anthroposophie inspirierten Stücks fand im Juni 2018 in Tschechien statt.


Die zwei ersten Aufführungen der Oper von Alois Hába (1893–1973) fanden am 24. und 25. Juni während der New Opera Days 2018 in der schlesisch-mährischen Provinzhauptstadt Ostrava (Tschechien) statt. Dass sie überhaupt zustande kamen, grenzt an ein kleines Wunder. Das Werk stellt eine musikalische Herausforderung dar und ist inhaltlich anspruchsvoll. Es ist in Sechsteltönen (36-fach unterteilte Oktave) komponiert und thematisiert das Problem der Arbeitslosigkeit durch das Auftreten der Maschinenwelt und Roboter. Im Stück lässt Hába seinen anthroposophischen Hintergrund sprechen, wenn er auf Rudolf Steiners Dreigliederung des sozialen Organismus deutet und Christus, Luzifer und Ahriman als geistige Wesen auf die Bühne bringt.

Nachdem Mitte 2017 die Entscheidung gefallen war, das etwa 100- minütige Werk auf die Bühne zu bringen, führten schließlich die fünf Gesamtproben zu einer vorbildlichen, den gegebenen Möglichkeiten entsprechenden Aufführung, obwohl einige Instrumente zur vollen Entfaltung der Welt der Sechsteltöne fehlten. Die Bühnengestaltung und die Kostüme für Hábas Werk wurden stilvoll angepasst; das Geschehen spielte sich auf drei übereinanderliegenden Ebenen ab. Die Szenerie wechselte zwischen dem Fabrikgelände, dem Direktionsbüro, einem Feld draußen vor der Stadt sowie dem geistigen Bereich: Christus erscheint vor einem Kreuz, als Hintergrundsbild eine strahlende Sonne. Luzifer links und Ahriman rechts in der Auseinandersetzung mit ihm.

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Auf ein mit der Musik des 20. Jahrhunderts vertrautes Ohr wirkt Hábas mikrotonale Oper als eigener, origineller Griff in der Entwicklung der modernen Musik.

Auf ein mit der Musik des 20. Jahrhunderts vertrautes Ohr wirkt Hábas mikrotonale Oper als eigener, origineller Griff in der Entwicklung der modernen Musik. Hába theoretisiert nicht, er experimentiert. Schon als Kind, mit absolutem Gehör begabt, spielte er in der Folklore-Kapelle seines Vaters Violine in der mikrotonalen Welt der mährisch-walachischen Volksmusik.

Die vokalen und instrumentalen Partien sind in einem weiten Spektrum aufgefächert. Im Vokalen wechseln kraftvolle mit lyrischen und rezitativen Partien. Im Orchester wechseln verschiedene Gruppen mit Tutti, im Crescendo ansteigend zu reichem Farbigem; vielfältiges Schlagwerk ist im Einsatz. Doch gibt es in dieser Oper kein Motiv oder Thema, das wiederkehrt oder bearbeitet wird – denn Hába komponierte bewusst eine athematische Musik, in der sich nichts wiederholt, sondern der schöpferische Impuls fortwährend neu gegriffen weiterfließt.


‹Dein Reich komme›, II. Akt, Bild 1 © Alois Hába Zentrum Prag

‹Dein Reich komme›, II. Akt, Bild 1 © Alois Hába Zentrum Prag

Die drei Akte sind in sieben Szenen, im Bild eines siebenarmigen Leuchters, bewusst konzipiert. Neben den Arbeitern und ihrer völlig unsicheren Lebenssituation sowie den Fabrikeignern, die auf ihre Interessen bedacht sind, führt Hába in der vierten Szene, genau in der Mitte der Oper, ein drittes Element ein. In, man könnte sagen, böhmisch-hussitischer Tradition tritt ein religiöser Laie, Bibelbruder genannt, unter die Arbeiter und weist sie auf die Bedeutung der gegenseitigen Liebe, nach Johannes dem Epheser, hin.

Nachdem die Arbeiter auf die Straße gesetzt worden sind und ihnen wegen Überfüllung auch keine Schlafquartiere gegeben werden, lässt Hába in der letzten, theatrum mundi genannten Szene den Autor selbst auftreten. Er stellt sich den Fragen der Arbeiter und es ergibt sich eine vielschichtige, scharfe Auseinandersetzung; doch hat der Autor letztendlich keine Lösungen zu bieten. Es ist der Bibelbruder, der schließlich die Handlung in eine Apotheose mit Worten aus dem Evangelium führt, und ganz am Ende erklingt im vielstimmigen Chor der Mitwirkenden: «Dein Reich komme.»

Die tschechische Musikwissenschaftlerin und Hába-Spezialistin Vlasta Reittererová nennt die Oper ‹Dein Reich komme› eine Mischung von kritischem epischem Theater im Sinne Brechts und einem Mysterienspiel. Das trifft zu, und gleichzeitig ist sie mehr. Denn sie blickt in die Zukunft und lässt eine offene, eine noch zu lösende Frage zurück.


(1) Klaus Schwab, Gründer und Executive Chairman des World Economic Forum in der ‹nzz› vom 14. Januar 2017: «Folgen der vierten industriellen Revolution». Siehe auch: Klaus Schwab, ‹Die Vierte Industrielle Revolution›, Pantheon Verlag München 2016

Foto oben: Chor und Orchester Finale um den Bibelbruder, III. Akt, © Martin Popelář/ocnm­archive

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