Dass gut werde …

100 Jahre Weihnachtstagung am Goetheanum – Ein perspektivischer Bericht.


Vorbemerkung

Das Goetheanum lud zur Jubiläumstagung ein, und 1000 Menschen kamen aus vierzig Ländern. Mir fällt die Aufgabe zu, hier über Vorträge, Gespräche und Impulse zu berichten, sodass Tagungsgäste etwas wiedererkennen und andere einen Eindruck gewinnen. Dass ich aus meiner Perspektive schreibe und meine Gedanken neben die der Vortragenden stelle, ist nicht üblich, aber wie ich meine authentischer. Objektivität ist hier weder möglich noch erstrebenswert. An Beuys anschließend zeige ich ‹meine Wunde›: Als eigentlich eher exoterisch orientierter Mensch und doch Hochschulmitglied setze ich mich über Tage einer tief esoterisch geprägten Atmosphäre aus und versuche zu lernen: Was verstehe ich, was irritiert mich, wo sehe ich Ansätze und weiterführende Impulse? Was begeistert und inspiriert mich? Das Folgende ist bewusst keine Zusammenfassung der Vorträge, sondern Spiegelung und Rückmeldung.

Ich war über fünf Tage Zeuge konzentrierter gemeinsamer Arbeit in bester Hochschultradition: ein spürbar geistig-seelisches Ringen. Immer wieder bezogen sich Beitragende auf das Kernstück der Tagung: die Grundsteinmeditation. Der dort enthaltene Dreischritt ‹Geist erinnern – Geist besinnen – Geist erschauen› impulsiert uns, in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nach Wahrheit und Weisheit zu suchen. Dieser Anspruch wurde in großer Vielfalt energisch, enthusiastisch und auch selbstkritisch umgesetzt. Dutzende von vielversprechenden Fragen wurden gestellt – und die für mich entscheidende und explosive Frage kam dann doch von jemandem außerhalb der Vortragenden, fünf Minuten vor Ende der Tagung. Aber davon später mehr!

Geist erinnern: eine Feierstunde

Zu Beginn steht eine Feierstunde: am 26. Dezember die Aufführung des ersten Teils von Bachs ‹Weihnachtsoratorium›. Und so passt es, dass Justus Wittichs erste Worte am folgenden Morgen «frohlockend und jubilierend» sind. Die Anthroposophische Gesellschaft in der Schweiz hatte neben der Goetheanumleitung entscheidenden Anteil an der Organisation dieser Tagung, auf durchaus ganzheitliche Weise: Nicht nur ist der Schweizer Akzent häufiger auf der Bühne vertreten als bei anderen internationalen Veranstaltungen, Clara Steinemann macht sich auch die Mühe, alle Teilnahmebescheinigungen von Hand auszufüllen. Marc Desaules erklärt dem Publikum in einem mutigen Beitrag zur Umsetzung anthroposophischer Ideen im Wirtschaftsleben: Im Vorfeld wurde der zur Kostendeckung nötige Betrag veröffentlicht. Daraufhin durften Teilnehmende selbst entscheiden, was ihren finanziellen Möglichkeiten entsprach. Die Schweizer Gesellschaft verpflichtete sich, mögliche Defizite zu tragen. So kam es dann auch: Es fehlen etwa 100 CHF pro Gast. Ein gescheitertes Experiment oder eine aussagekräftige Demonstration über die Herausforderungen, denen wir uns stellen, wenn wir es mit Steiners Ideen ernst nehmen wollen? Es ist eindrucksvoll, wie bodenständige Idealistinnen und Idealisten hier freilassend und humorvoll mit gutem Beispiel vorangehen.

Jeder Vormittag beginnt mit einer Demonstration der Grundsteinmeditation: Ensembles aus verschiedenen Ländern greifen Motive und sprachlich-lautliche Elemente aus den vier Strophen des Spruches auf und machen inhaltliche Gemeinsamkeit und sprachliche Differenz in Übungen erlebbar. Dann wird der Spruch in seiner Gesamtheit aufgeführt, auf Deutsch, Russisch, Englisch und Italienisch. Ich spüre, dass mir diese Art der Vermittlung die Eurythmie auf ganzheitlichere Weise zugänglich macht: Das sonst mehr intuitive Raum-Miterleben wird auch kognitiv. Ich werde eingeladen, mitzufühlen, mich mitzubewegen und mitzudenken. Bei jeder Wiederholung einzelner Stellen werden neue Aspekte sichtbar, eine auffordernde Art von Resonanz. Alle Gruppen sind ausgezeichnet vorbereitet: Durch die von ihnen getroffene Auswahl von symptomatischen Bewegungs- und Lautelementen öffnen sich Fenster, die mehr offenbaren als nur einen ‹anderen› Zugang zum Inhalt. Eurythmie als sichtbare Sprache offenbart zarte, respektvolle Einblicke in die ‹objektive Geistseele› der eurythmisierenden Menschen. Eingeladen, das deutsche ‹Menschenseele› (viermal e) neben dem englischen ‹human soul› oder dem italienischen ‹anima del’uomo› schwingen zu lassen, wächst und weitet sich meine Seele.

Wie es bei mir ankommt

Vielmals schon wurde in dieser Zeitschrift und in Vorträgen darauf hingewiesen, dass das zweite Jahrhundert der Anthroposophie neue Ansprüche an uns stellen wird. Hier wird oft Martin Bubers Ansatz zitiert, das eigene Ich zu verstehen, indem man sich dem Du des anderen nähert. Ich verstehe das so, dass ich mich nicht an meiner ‹Absicht› orientiere, sondern an der ‹Wirkung› meiner Impulse. Wenn ein Mensch nur spricht, weil er etwas zu sagen hat, bleibt er bei sich. Fragt er: «Was würde meinem Gegenüber jetzt nützen?», spricht er anders und lernt Wertvolles über sich selbst. Rik ten Cate, Generalsekretär der niederländischen Gesellschaft, von dessen Beiträgen zu dieser Tagung noch genauer zu berichten sein wird, betont dazu: ‹Wie kann ich dir helfen?› ist eine völlig andere Gebärde als ‹Ich kann dir helfen!›. Teile ich einem anderen Menschen mit ‹So kam das bei mir an›, ist weder ihm noch mir geholfen, wenn er mit ‹So habe ich das aber nicht gemeint› reagiert. Diese Antwort beendet einen Prozess, bevor er begonnen hat und von dem wir beide lernen könnten. So bitte ich es auch zu verstehen, wenn ich auf den folgenden Seiten das ein oder andere Erlebnis fragend oder kritisch beurteile: So kam es bei mir an.

Am ersten Vormittag, folgend auf die Eurythmie, verliest Brigitte Kowarik die Gründungsansprache Rudolf Steiners im Wortlaut von 1923. Steiner hatte in der eiskalten, zugigen Schreinerei gesprochen, vor Hunderten von Menschen – viele standen oder balancierten auf Fenstersims und Gerüst. Wir sitzen hier bequem im Warmen, getragen von der technisch verstärkten Stimme einer geschulten Sprecherin. Ich komme mir bürgerlich vor und kann mich nicht mit den Worten verbinden. Was fehlt? Es ist doch Steiner im O-Ton! Aber ich träume, obwohl hellwach, wie ein siebenjähriges Kind, dem wohlklingend ein Märchen vorgelesen wird. Erst beim nächsten Sprecher wird es deutlich: Joan Melé, Generalsekretär aus Spanien, zitiert aus der gleichen Ansprache. Hier wirken die Worte kraftvoll, leidenschaftlich, obwohl ich Spanisch nicht gut verstehe. Mir wird klar: Es liegt an seiner Intention! Steiner hatte aus tiefstem Herzen gesprochen. Die Zuhörenden spürten das, und für eine Weile waren die unbequemen Bedingungen vergessen. Ohne diese Leidenschaft, ohne persönliches Anliegen fehlt auch Steiners Worten Entscheidendes. Das Erlebnis macht mir klar, wie wichtig es ist, anthroposophische Inhalte nicht nur zu rezipieren, sondern sie mit- und weiterzudenken. So kann ich sie zu meinem Anliegen machen und ihnen zu Authentizität verhelfen.

Joan Melé beschreibt, wie er bei seinen Goetheanumvisiten das Grab Rudolf Steiners zu besuchen pflegte und dort um Verzeihung bat, dass er seiner Aufgabe nicht gewachsen sei. «Wir waren wohl berufen, aber nicht auserwählt. Die weitere Entwicklung hat es gezeigt», zitiert er Marie Steiner. Ergibt sich daraus ein Anspruch für das zweite Jahrhundert der Anthroposophie, oder sollten wir uns unsere Unvollkommenheit vergeben? Wieder muss ich an die Wunde denken … Melé spricht (gedolmetscht von Constanza Kaliks) über das Schicksal, das in der Anthroposophie tätige Menschen miteinander verbindet: Es kann uns motivieren und unsere Gemeinschaftsfähigkeit fördern. Nicht als einziger Redner in diesen Tagen sieht er den Prozess nicht nur in innerer Arbeit und einsamem Studium, sondern plädiert für äußeres Engagement – ein Leitgedanke der Tagung.

Links und oben, Fotos: Ariel Turner; rechts: Xue Li

Geist besinnen: So wurden wir – wie geht es uns?

In seinem Artikel für die Wochenschrift vom 15. Dezember identifiziert Espen Tharaldsen drei Wirkungsweisen der Anthroposophie in ihrer ersten Inkarnation: Die ‹Theosophische Zeit› richtete sich vor allem an das Denken, durch Schriften und Vorträge. Das menschliche Fühlen wurde durch die Entwicklung der Künste stimuliert: die Eurythmie, die Dramen, die Architektur. Schließlich stelle sich das erste Goetheanum als Willensausdruck der Bewegung in die Welt, als ‹Wegweiser zur inneren Schulung›. Das zweite Goetheanum ist weltgewandter, als Zentrum für Forschung, für praktische und soziale Anwendung der Anthroposophie. Im ideellen ‹dritten Goetheanum›, von dem Tharaldsen träumt, verbinden sich Schulung, Forschung und Weltwirkung zu etwas Neuem.1 An manchen Stellen gibt mir die Jubiläumstagung Ansätze, wie das geschehen könnte. Der anfangs erwähnte überraschende Schlussgedanke wird es auf den Punkt bringen.

Zunächst schauen wir weit zurück: Peter Selg spricht über Ephesus, die älteste und östlichste Mysterienstätte Griechenlands. Er beschreibt im Detail, sich dabei auf Ita Wegman berufend, wie damalige Tempelbesuche stattgefunden haben könnten, wie Menschen, die sich auf dunklen Waldpfaden in Richtung des Weltwunders bewegten, dort «unbeschreibliche Freude», «eine Weihestätte für das Lebendige» vorfanden. Immer wieder leuchten während Selgs Vortrag Bezüge zur anthroposophischen Bewegung auf: die Zerstörung des Tempels durch Brandstiftung, die Gespräche zwischen Schülern und Lehrern bei «abendlichen Gängen», die Tempeldienerin «Mysa».

Legendenhaft brannte Ephesus in jener Nacht 356 v. u. Z., als in Mazedonien Alexander das Licht der Sonne erblickte. Hier verbinden und lösen sich karmische Fäden und geben uns Rätsel auf: Kann man das erste Goetheanum als eine Neuinkarnation des Artemistempels sehen? Zwar ist hier spürbare Entwicklung: dort die hölzerne Statue der Artemis, im Goetheanum der ebenso nach Westen schauende Menschheitsrepräsentant, Steiners frühes Motto verkörpernd: «An Gottes Stelle den freien Menschen». Und doch: Waren die ersten mit Anthroposophie Verbundenen nicht noch nach innen gewandt, pflegten wie ihre griechischen Vorfahren eine Art geistigen Elitarismus? Steiner rang lange um wirkliche Einsicht in die Bedeutung des Goetheanumbrandes, versuchte, den «Logos im sengenden Feuer» zu sehen. War dieses Opfer nötig, damit die Anthroposophie frei werden konnte von den griechischen Mysterientraditionen, deren Geist in Steiners Dramen noch stark zu spüren ist? War die Gebärde im Holzbau die innere Schulung, ist das gegenwärtige Goetheanum Heim der Hochschule: eine andere Geste, der sich Selg in seinem zweiten Tagungsbeitrag widmet, in dem er die Schule von Chartres beschreibt.

Nachdem die Kirche den Christusimpuls zunächst aufgegriffen hatte, so führt er aus, entfernt sie sich ab 333 wieder, indem sie die Feier der Geburt ‹Jesu› priorisiert: Die Anbetung des Sonnengeistes weicht der des Gefäßes, in dem er sich inkarnieren soll. Ein Rückschlag für die christliche Esoterik, von dem sie sich über Jahrhunderte nicht erholen wird. Erst um die Jahrtausendwende finden sich in Westeuropa platonisch gestimmte Seelen, die «träumerisch das All untersucht» haben und nun beginnen, zu lehren und sich auszutauschen. Die wenigsten waren überhaupt in Chartres, dem Ort, sondern überall in Westeuropa tätig: Er war, ungleich dem Tempel von Ephesus, ein ideelles Zentrum, in dem Platoniker zusammenkamen, um die Grundlagen moderner Wissenschaft zu schaffen. Als «Hochschule des Denkens» bezeichnet sie Peter Selg, und beschreibt, wie über das arabisch geprägte Spanien aristotelische Züge auftauchen und Einzug finden. Der Chartres-Gelehrte Alanus ab Insulis charakterisiert das Menschsein durch unsere Fähigkeit, eine Metaperspektive einzunehmen: «Mensch ist, wer in sich selbst sucht – wer sein Leben liest.»

Dabei muss ich an Christian Morgensterns schöne Worte denken: «Von sich zurücktreten wie ein Maler von seinem Bild – wer das vermöchte!» Hier wie dort ist es ja nicht nur der analytische Blick, sondern die Liebe zum Erschauten, die zukunftsfähig macht. Chartres war also eine Schule, ein Impuls der Erkenntnis – aber, so Selg, einer «Erkenntnis, die zu Herzen geht». Er beschreibt, Rudolf Steiner zitierend, wie zwischen dem Tod von Alanus (1203) und der Geburt von Thomas Aquin (1225) eine Art himmlisches Konzil stattfand, eine harmonische Übergabe zwischen Platonismus und Aristotelismus. Alanus: «Die Zeit des Glaubens endet. Was kommt, ist die hohe Zeit der Wissenschaft als Weg zu einer zukünftigen Geisterkenntnis.» Nun sei es Aufgabe der Anthroposophie, die Lehre wieder zur Kunst zu machen: Selg fordert einen platonischen Aristotelismus im Zeitalter Michaels.

Links: Foto: Ariel Turner; rechts oben: Benno Otter, Foto: Xue Li; Unten: Vierte Strophe des Grundsteinspruchs auf Japanisch, Foto: Ariel Turner

Die Wärmesäule

Einige Stunden zuvor setzen die niederländischen Anthroposophen Rik ten Cate und Pim Blomaard einen die Tagung prägenden Akzent. Die Bühne von zwei Seiten im Stil der Oberuferer Hirten betretend, vergleichen sie die Grundsteinlegung durch Rudolf Steiner im Jahr 1913 mit dem Installieren einer Lichtsäule, die auch im zweiten Goetheanumbau noch präsent ist – schließlich steht er auf dem Fundament des ersten. Jetzt aber braucht es, so argumentieren sie, eine ‹Wärmesäule›, um das Licht in seiner Wirksamkeit zu unterstützen. Sie erinnern an Willem Zeylmans van Emmichoven, der die Weihnachtstagung von 1923 als seine geistige Neugeburt empfand und fünf Qualitäten feststellte, die die Anthroposophie entscheidend beeinflussten: Sophia wird unterstützt von Michael und Zarathustra auf der einen, von Buddha und Nathan auf der anderen Seite.

Wie später Peter Selg weisen beide Redner darauf hin, dass die Geisteswissenschaft die linke Seite betont: das aristotelische Licht des ‹richtigen Denkens›. Zu ihm muss sich die rechte Seite gesellen und zu Beginn des zweiten Jahrhunderts etwas mehr Gewicht erhalten: das ‹heilsame Fühlen›. Rik ten Cate erwähnt 40 000 Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft: Sind sie eigentlich im Zentrum spürbar? Wie bewusst sind mir, im Großen Saal sitzend, die Menschen in Island, Peru und Tansania? Er sieht viel Licht in der Gesellschaft: «Alte weiße Männer halten kluge Vorträge und schreiben gelehrte Bücher!» – die Michael/Zarathustra-Seite des Diagramms. Wie kommt hier die Wärmeseite zum Zug, wie gewinnt sie Gewicht? Ten Cate fragt: Wo berührt mich die Anthroposophie? Kann ich sie körperlich spüren? Was wäre aus mir ohne diese Berührung geworden? Wenn ich mir ein Leben ‹ohne› vorstelle, entwickle ich eine andere Perspektive auf alles, was ich kognitiv eher kritisch sehen würde: Jetzt sieht mein Herz mit!

Nun enthüllen die beiden Vortragenden das Jubiläumsgeschenk der niederländischen Gesellschaft an das Geburtstagskind: zwei wunderschöne, von ten Cate in Kupfer geschaffene Doppeldodekaeder, dem Grundstein des Goetheanum nachempfunden. Einer für das bestehende Gebäude, als Erinnerung an den Gründungsimpuls. Der andere, kleinere, geht in die Peripherie: Anthroposophische Gruppen können ihn für Ereignisse, Feiern, Tagungen ausleihen und verpflichten sich, ihn an den nächsten Ausleiher zu schicken, egal wo in der Welt sich dieser befindet. Rik ten Cate wird seine Reisen organisieren. Die zwei Teile dieser Gebilde stehen im Verhältnis 1 : 1,61 zueinander (dem Goldenen Schnitt) und erinnern so an die asymmetrischen Seiten des menschlichen Herzens und an die Kuppeln des ersten Baus. So empfängt das Goetheanum zwei Herzen: Das eine schlägt ‹daheim› in Dornach, wo wir uns begegnen und voneinander lernen. Das andere ist dort, wo die Mitglieder sind: in der Welt, ständig unterwegs in einem ‹Außenzuhause›. Wo ist das Zentrum, wo die Peripherie der Bewegung und ihrer Gesellschaft? Muss diese Frage wirklich entschieden beantwortet werden? In diesem schönen, zukunftweisenden Geschenk ergänzen sich studierte und gelebte Anthroposophie, existieren Punkt und Umkreis, Lehre und Lebensfeld in dynamischem Nebeneinander.

Die Lichtsäule

Ein apollinisches Licht scheint an jedem Morgen, wenn Matthias Girke die Rhythmen der Grundsteinmeditation untersucht. Immer wieder zurückkehrend zur Aufforderung zum Erinnern, Besinnen, Erschauen und die Elemente der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft betonend, sieht er hier auch «Leitsterne für biografische Arbeit»: Was bringen wir selbst mit an Lebensimpulsen? Lassen wir sie in unsere Arbeit einfließen? Geist-Erinnern ist auch Ich-Erinnern, mahnt Girke. Haben wir ein Bewusstsein für das Schicksal, dass sich in unseren täglichen Aktivitäten entfaltet? Führen unsere Fragen willenshaft in die Zukunft? Laut Rudolf Steiner sind moralische Werte mit Werdekräften verbunden. Nicht zufällig beginnt der letzte Teilsatz der Grundsteinmeditation mit den Worten: «Dass gut werde …»

Ideale sind Werdetaten, ‹Menschenwerdetaten›. Da diese Ideale von der Außenwelt ersehnt werden, sind sie sogar ‹Weltwerdetaten›. Sind wir offen zu erkennen, was die Welt von uns braucht? Hören wir ihre Fragen? Mich beeindruckt, wie Matthias Girke die Bühne betritt. Er beginnt nicht gleich, sondern steht ruhig, sein Blick schweifend, die Teilnehmenden wie einatmend, bevor er uns begrüßt. Manchmal sagt er «Liebe Anwesende!», meist aber «Liebe Freunde!» Viele der Vorträge in dieser Woche beginnen so. Das fällt mir auf, seit ich durch meine Arbeit für diese Dinge sensibel wurde, denn es schließt sprachlich diejenigen Menschen im Saal aus, die nicht männlich sind. Man kann natürlich einwenden (und viele Vortragende verteidigen so ihre Sprachwahl), dass in ‹Freunde› die nicht männlichen Menschen mit gemeint seien. Wie wäre es, wenn eine redende Person einen Vortrag im voll besetzten Saal mit «Sehr geehrte Herren» begänne, obwohl dort zu drei Vierteln Frauen sitzen? Würde sich jemand beklagen? Und wäre das Argument, die Damen seien ja mit gemeint, akzeptabel? Ich sehe eigentlich kaum Unterschiede zwischen ‹Herren› und ‹Freunde› und denke, wir haben durchaus noch viel zu lernen. Auf der Bühne spricht ein anthroposophischer Professor über «ein Mädchen, das bei mir den Magister macht», und bemerkt vermutlich nicht, dass er die Studentin zum Kind herabsetzt. Wie lange wird es dauern, bis auch am Goetheanum Zuhörende aufstehen und eine gleichberechtigte, nicht herabwürdigende oder ausschließende Sprache einfordern? Solch mutigen Menschen wären wir «alten weißen Männer» (danke Rik ten Cate, ich bin auch so einer!) zu Dank verpflichtet, denn an ihnen können wir Zukunft lernen. So (unter anderem) sehe ich das Geist-Erschauen, als Auftrag zur Achtsamkeit und als Willensausdruck.

Constanza Kaliks feiert in ihrem Beitrag die Errungenschaften der Freien Hochschule: Wie viel hat sie in ihren einhundert Jahren erreicht! Gemessen an Entwicklungsrhythmen anderer kultureller Impulse ist die Anthroposophie noch jung – aber «so kraftvoll ist die anthroposophische Wissenschaft, dass sie schon in ihrem Entstehungsmoment wirksam ist!». Tausende von Waldorfeinrichtungen, biodynamischen Höfen, Krankenhäusern verdanken ihr Ent- und Bestehen der Forschungsarbeit und Impulskraft der Hochschulsektionen. Nachhaltig klingt hier das von Kaliks gewählte Cusanus -Zitat: «Ohne Sehnsucht erkennt der Geist nicht, und ohne Erkenntnis hat er keine Sehnsucht.» Der Geist sehnt sich nach der Welt. Diese Aufforderung der Moderne hat Rudolf Steiner und durch ihn die Anthroposophische Gesellschaft gehört. Menschen forschen aus Sehnsucht, nicht wegen Ruhm oder Gewinn. Eine beeindruckende Heldin der Pionierzeit dieses Impulses war Lili Kolisko, die als Witwe kärglich lebend und von der von ihr geliebten Gesellschaft ausgeschlossen, durch die Steigbildmethode die Wirksamkeit potenzierter Substanzen erforschte.

Constanza Kaliks zitiert auch Aristoteles: «Alle Menschen streben von Natur nach Wissen!», und verbindet diesen Satz mit Cusanus’ Konzept der Geistessehnsucht. Auch Steiner sieht «in jedem Menschen Fähigkeiten, durch die er sich Erkenntnisse über höhere Welten erwerben kann». Kaliks erinnert daran, dass Steiner die kartesischen vier Regeln zur Wahrheitsfindung zwar als ungenügend empfand, sie aber für verwandelbar hielt. Sie schließt ihren Vortrag mit Rudolf Steiner: «Es geht um das Schauen des embryonalen Lebens einer neuen Geistigkeit in der Hülle naturwissenschaftlicher Vorstellungsart. Meine Meinung muss sein, aus der sachlichen Betrachtung heraus, dass der naturwissenschaftliche Weg, den die neue Menschheit gegangen ist, wenn er richtig verstanden ist, kein irrtümlicher ist, sondern ein richtiger, dass er aber, wenn er richtig angesehen wird, den Keim einer neuen Geisterkenntnis und einer neuen geistigen Willenstätigkeit in sich trägt. Und für diesen Keim […] steht diese Freie Hochschule für Geisteswissenschaft in großer Dankbarkeit auch heute, dass es eine Gesellschaft gibt, die sie ermöglicht.»

Neben den ‹großen Vorträgen› und den Beiträgen der im Goetheanum federführenden Persönlichkeiten gibt die Tagung auch anderen Gelegenheit, Fragen und Meinungen zum Ausdruck zu bringen. Wenn das aus dem Publikum geschieht, ist es immer wieder unbefriedigend: Selten gelingt es den oft nervösen Sprechenden, mit ihrem Anliegen die Stimmung oder sogar Zustimmung von 1000 Menschen zu treffen – das verlangt von den Zuhörenden Geduld und inneres Interesse. Für mich ist der Große Saal nicht zu diesem Austausch geeignet: Statt Menschen ein übergroßes Forum zur Selbstdarstellung zu liefern, sollten vom Podium Impulsfragen kommen, über die man sich dann mit den Nebensitzenden austauschen kann. So hätten alle Teilnehmenden die Möglichkeit, durch andere neue Perspektiven zu entdecken und auch selbst gehört zu werden.

Links: Arzu Duran, Foto: Ariel Turner; Rechts oben und unten: Fotos: Ariel Turner

Geist erschauen: Was will verwirklicht werden?

Von den ‹kleinen Podiumsbeiträgen› sind mir die Worte des britischen Arztes James Dyson in Erinnerung geblieben. Er beschreibt sich als «lange suchend» nach etwas, das er in der anthroposophischen Kultur nicht finden konnte. Schließlich entdeckt er es in den Ansätzen von Karl König und Bernard Lievegoed: die Buddha/Nathan-Seite des Fünfsterns. Der medizinischen Bewegung wurde der Auftrag in die Wiege gelegt, «Gutes zu tun». Gilt das für alle Lebensfelder, oder verhaften wir noch immer im Aristotelischen? Dyson zitiert Lievegoed: «Das Richtige zu wissen ist anders, als Gutes zu tun!» Er schließt mit der für ihn offenen Frage, wie es uns gelingen mag, die platonisch-aristotelische Spaltung zu überwinden, dem Licht und der Wärme gleichen Raum zu geben.

Mir fällt ein, dass eine Antwort von Steiner selbst kam: Im Herbst 1922 gab er einer Gruppe junger Anthroposophen in Deutschland eine tägliche Meditation, mit deren Hilfe sie sich untereinander und mit der geistigen Welt verbunden fühlen sollten. Das war der Beginn des ‹esoterischen Jugendkreises›, dem viele anthroposophisch tätige Menschen angehören. In dieser Meditation schlägt Steiner vor, ‹Wärme in das Denken und Licht ins Herz zu bringen› – also entgegen der Hirten/Könige-Polarität der Grundsteinmeditation.

Am dritten Abend der Tagung beschreibt Christine Gruwez den Rosenkreuzerimpuls. Sie beginnt mit Dankesworten an die Dolmetscherinnen und bittet am Ende ihres Vortrags auch, mit dem Applaus zu warten, bis diese ihre Worte in andere Sprachen übertragen hatten. Auf diese bescheidene und eindrucksvolle Weise betont sie ein wesentliches Element des Rosenkreuzertums: seine Welt-Wirksamkeit. «Wenn etwas übersetzt ist, ist es nicht mehr aus der Welt zu schaffen», zitiert auch Constanza Kaliks den deutschen Philosophen Franz Rosenzweig. Das ist im Sinn meiner Eingangsüberlegungen: Ein moderner Impuls richtet sich nicht mehr nach dem Sendungsbedürfnis der Sprechenden, sondern nach der Wirkung, die ihre Worte auslösen.

Gruwez beschreibt die Loslösung geistiger Impulse von der Lokalität: Erkenntnis war Tempelerlebnis in Ephesus, orientierte sich um ein Zentrum in Chartres und löst sich von der Ortsgebundenheit im Rosenkreuzerimpuls des 13. und 14. Jahrhunderts. Sie spricht wie Kaliks über die Wissenssehnsucht der Seele und identifiziert auch ihr Bestreben: das Erkennen der an der Grenze zwischen physischer und ätherischer Substanz liegenden ‹Essenz›. Diese zeigt sich nie in ihrer Stofflichkeit, sondern nur in ihrer Wirkung und ist daher nicht mit irdischen Organen zu erkennen – und doch ist sie in aller Substanz enthalten. Durch die Einweihung der rosenkreuzerischen ‹Brüderschaft› entsteht, was Gruwez als «neue Körperlichkeit» bezeichnet: die Grundlage für die Fähigkeit, Grenzerfahrungen zu machen. In mir entsteht während ihres Vortrags die Frage, wie ‹global› dieser Impuls in Mittelalter und Neuzeit empfunden wird: Sicher ist das europäische Geistesleben entscheidend von ihm geprägt. Wie aber wirkt er sich im intuitiven Geistempfinden der ‹Dreamings› der australischen Ureinwohner aus, welchen Einfluss hatte er auf die zu genau gleicher Zeit florierende Inkakultur in Südamerika? Wenn Rudolf Steiner und die ihm Nachfolgenden von ‹Menschheit› sprechen, sind dabei alle Kulturimpulse der Erde eingeschlossen oder wird noch immer eine europäische ‹Leitkultur› vorausgesetzt?

Der Rosenkreuzerimpuls strebt die gemeinsame Verwandlung von Erde und Mensch an, die Entwicklung von wirksamen moralischen Kräften. Wo lebt er heute, und ist er als innerer Auftrag zu verstehen? Ist die Schwellennähe des modernen Menschen dafür verantwortlich, dass die Grenze zwischen dem Physischen und dem Ätherischen zu verschwinden droht? Christine Gruwez fragt nach den Hirten, die die gefährdeten Kräfte zu schützen verstehen. Können wir das Hüten, diese älteste Aufgabe der Menschheit, übernehmen?

Links: Foto: Ariel Turner; rechts: Barbara Schnetzler, Foto: Xue Li

Am folgenden Abend steigt Marc Desaules an dieser Stelle ein und fragt: «Wo ist denn die Schwelle? Und wer ist der Hüter? Wer spricht, wenn in der Grundsteinmeditation das Wort ‹Menschenseele› erklingt?» Er beschreibt den Hüter der Schwelle als ein «äußeres Selbst», und die Schwelle als jenen Ort, «wo Sinneswissen endet». Heißt das, ich begegne im Hüter eigentlich mir selbst in meinen Befürchtungen und Unsicherheiten? Und welche Art von Wissen liegt jenseits der Sinneserfahrungen? Spricht Desaules hier von fünf Sinnen, oder mit Steiner von zehn oder zwölf? Und ist die geistige Welt nicht auch in der reinen Sinneswelt erlebbar, etwa im frei-geometrischen Flug von Starenschwärmen? Sind solche Phänomene nicht schon recht nah an dem, was Christine Gruwez mit ‹Essenz› bezeichnet, oder denke ich hier zu exoterisch?

Marc Desaules erklärt, wie Menschen hinter der Materie eine Gedankenwelt aufbauen, mit der wir uns Phänomene erklären. So werden Farben zu Schwingungen, wird Materie zu Atomen – von uns geschaffene Modelle, die allerdings Realitätscharakter annehmen können. Dort, wo wir Modelle brauchen, liegt nach Desaules die geistige Welt. Hier heiße es achtgeben, das Haus nicht mit dem es umgebenden Gerüst zu verwechseln, denn «wenn ich mit unzutreffenden Realitätsvorstellungen die geistige Welt betrete, ist meine gesunde Rückkehr gefährdet.» Ein möglicher Weg liege darin, Anthroposophie nicht nur zu studieren, sondern sie zu leben, ihr zu Wirksamkeit zu verhelfen. Das hat Marc Desaules durch seinen Vorschlag getan, die Finanzierung der Tagung der Selbsteinschätzung der Teilnehmenden zu überlassen. Die Anthroposophische Gesellschaft in der Schweiz fand sich während der Tagung vor einem Finanzierungsloch von 100’ 000 CHF, was durch freiwillige Spenden hoffentlich noch gefüllt oder gemindert werden kann. An solchen Gesten zeigt sich, wie man Anthroposophie konkret inkarniert: mit Erkenntnis, Mut und Risikobereitschaft. «Die Götter warten auf den Menschen», sagt Desaules. «Unser Wille kann nichts für die große Welt tun, der Wille der Götter schon. Wenn wir aber gar nichts tun, können auch die Götter nicht wirksam werden! Wir öffnen das Tor, durch das die guten Geister auf die Erde treten. Weltweit kann mit ihnen gearbeitet werden – wir halten den Schlüssel in der Hand.»

Der fast schwindelerregende Gedankenreichtum, der mir während der Tagung präsentiert wird, hat tatsächlich einen weihnachtlichen Geschenkcharakter. Fast geht es mir wie jenen Hirten, die auf dem dunklen Feld nicht wussten, ob sie sich fürchten oder jubilieren sollten. Ganz leicht fällt mir die Entscheidung bei den abendlichen Kurzvorstellungen der Eurythmiebühne am Goetheanum. Betrachte ich die Spuren, die diese in mir hinterließen, will auch meine Sprache tanzen.

Ein Stück von Anton Webern, eigentlich sind es drei, doch sind sie durch tastende Bewegung verbunden. Wie choreografiert man Achtsamkeit? Die Atmosphäre im Saal knistert mit Erwartung – wann setzen die Töne wieder ein? Die Eurythmistinnen und Eurythmisten bewegen sich suchend, zögernd, ahnend, beinahe furchtsam. Die Stille atmet, zieht sich, wird dünner, zieht auch an mir – dann der erste Ton! Der Künstler greift ihn geradezu aus der Luft, um dann auf ihm zu schweben. Aus dem Saal heraus folge ich dem scheinbaren Chaos auf der Bühne, den dissonanten und doch einladenden Klanggebärden und vergesse, dass ich, angeregt von der Fragegebärde der stillen Formen, den Atem angehalten hatte.

Am Tag zuvor ein wildes Stück von Lera Auerbach, die Bühne zittert vor Energie, ich möchte aufspringen. Wie bürgerlich fühle ich mich hier im Sessel sitzend, während zehn Meter vor mir Dramatik geschieht! Höchste Präzision ist notwendig bei diesem Tempo. Die Konzentration der Vorführenden ermöglicht der Musik, sich in meiner Seele zu entfalten: Augen, Ohren, mein Eigenbewegungssinn sind alle viel aktiver engagiert, als man es von außen sehen könnte. Geht es im Publikum allen so? Welch ein Ozean innerer Bewegung im Großen Saal: Was auf der Bühne tost, wogt bei uns unter der Haut. Was für ein Ehrengast in meinem Seelenleben ist die Musik! Und welch ein Festgewand für sie die Eurythmie!

Links: Foto: Xue Li; Rechts: Foto: Ariel Turner

Die dreizehnte Fee

Am letzten Tag gibt es viele Abschlussworte und Gesamteindrücke. Man spürt, die Beitragenden haben einander aufmerksam zugehört und tragen jetzt nach. Jeder Mensch, so Peter Selg, bringt etwas Neues hierher und nimmt etwas Neues mit in seinen Wirkungsbereich. Einer seiner Sätze trifft mich ins Herz: «1923 dachten die damaligen Zuhörenden, der Weltkrieg läge hinter ihnen!» Er führt aber weiter aus, dass, als Steiner starb, eigentlich kaum etwas existierte, das Hoffnung geben konnte: «Eine Ruine in Dornach, eine gefährdete Schule in Stuttgart … eigentlich könnte hier alles aufgehört haben. Aber drei Jahre später stand das Goetheanum, aus einer Schule sind 1200 geworden. Der Impuls wurde – bei allen internen und externen Schwierigkeiten – effizient aufgegriffen, verwirklicht und getragen, so gut es eben ging. […] Rudolf Steiner war ein Arbeiter: in einem Bahnhof geboren, in einer Holzwerkstatt gestorben. Er hat Menschen zum Arbeiten inspiriert und angehalten.»

Clara Steinemann fragt, ob es ein karmisches Geschenk sei, mit Anthroposophie verbunden zu sein. Legt es mir die Verantwortung auf, in der Welt heilend tätig zu sein, mich im sozial-professionellen Miteinander so zu verhalten, dass ich meine Arbeit effektiv und effizient verrichten kann? Der niederländische Ruf nach einer ‹Wärmesäule› scheint ein tiefes Echo gefunden zu haben. Viele der Sprechenden, obwohl biografisch verwurzelt in der ‹Sehnsucht nach Erkenntnis›, geben der Empfindung Ausdruck, dass die Zukunft einer ‹Herzensorientierung› bedarf. So findet noch einmal ein Austausch mit den Nebensitzenden statt: Was kann ich im kommenden Jahr dazu beitragen, «dass es gut wird»?

Noch ein Geschenk wird angekündigt: Beim Hinausgehen wird allen Teilnehmenden je ein Exemplar des neu verlegten Buches übergeben, in dem die Grundsteinmeditation in 40 Sprachen übersetzt wurde. Auch dies eine Initiative von Rik ten Cate: das gedankliche Pendant zum künstlerischen Grundstein. Und dann betritt die dreizehnte Fee die Bühne: als unangekündigter Kurzredner der Erzoberlenker der Christengemeinschaft João Torunsky. Er erinnert daran, dass die Weihnachtstagung an die christliche Tradition anknüpfe, die Geburt ‹Jesu› zu feiern. Die Geburt ‹Christi› sei aber die Jordantaufe, als sich der Geist mit seinem Gefäß verband. In Rudolf Steiners Weihnachtstagung von 1923/24 wurde das Gefäß ‹Anthroposophische Gesellschaft› geformt – eine Geburt vollzog sich in aller Feierlichkeit. Torunskys schlichte Frage: «Wann feiern wir die Taufe?» inspiriert spontanen Applaus. Wann und wie verbindet sich das Wesen Anthroposophia mit dem für sie gebildeten Gefäß? Wem käme die Rolle des Täufers zu? Die Tugend des Johannes war seine Bescheidenheit – und doch war sein Beitrag essenziell. Kann jede und jeder Einzelne von uns zum Täufer werden?

Spontan und aus dem Bewusstsein der ‹Wärmesäule› heraus stehen die Teilnehmenden nach dem Schlussapplaus noch einmal auf und sprechen miteinander die vierte Strophe des Grundsteinspruches – ungeplant, unordentlich, authentisch, herzenswahr.


Anmerkung Vieles der Weihnachtstagung lässt sich in einem Artikel nicht darstellen. Das gehört zum Wert solch einer Zusammenkunft. Das betrifft Ausstellungen und Fachkurse, das Mitgliederforum und die Vorstellung der Forschungsarbeiten der Goetheanumleitung. Letzteres greifen wir in späteren Ausgaben des ‹Goetheanum› auf.

Titelbild Der aus zwei kupfernen Dodekaedern gebildete Grundstein des ersten Goetheanum, eingeführt während der Weihnachtstagung. Foto: Ariel Turner

Print Friendly, PDF & Email

Letzte Kommentare