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Das Werden der Jugend

Eine Rezension des biografischen Buches von Benjamin Schmidt: Wilhelm Rath – Ein Wegbereiter der Jugend.


Als ich im April 1972 Wilhelm Rath (1897–1973) bei einem Vortrag erlebte und am Tag darauf ein längeres Gespräch mit ihm führte, ahnte ich nicht, dass er in wenigen Monaten seiner Frau folgen würde, die kurz davor verstorben war. Er war der Verfasser der Geschichte des ‹Gottesfreunds vom Oberland›, eines großen Eingeweihten an der Schwelle zur Neuzeit, und hatte unter anderem Werke aus der platonisch orientierten mittelalterlichen Domschule zu Chartres aus dem mittelalterlichen Latein ins Deutsche übersetzt. Werke, die viele Menschen zu einem Verständnis der Impulse anregten, die auch die Individualitäten von Bernardus Silvestris und Alanus ab Insulis beseelt hatten und deren erneuertes Wirken für das Ende des 20. Jahrhunderts erwartet wurde. So hatte Rudolf Steiner im Rahmen der Karma-Vorträge aus dem Jahre 1924 von einer möglichen Kulmination der Anthroposophie durch ein vereintes Wirken der geistigen Strömungen der Platoniker und der Aristoteliker gesprochen. Er bezeichnete damals die Anthroposophie geradezu als spiritualisierten Aristotelismus, «seine weitere Spiritualisierung erwartend» (am 18.7.1924, GA 240).

Rath las bei diesem Vortrag aus seiner, wie er sie nannte, ‹Evangelien-Harmonie› vor, einer Zusammenfügung von einander ergänzenden Stellen zum Ostergeschehen. Nicht groß von Gestalt, beeindruckte er durch die Innigkeit seiner Darstellung, die eine tief im Christentum wurzelnde Seele offenbarte. Ein Zug, der auch in Schmidts Erzählung deutlich zum Ausdruck kommt. Diese gründlich recherchierte Biografie geht von Raths Kindheit aus, berichtet über sein einschneidendes übersinnliches Erlebnis während seiner Gefangenschaft in England am Ende des Ersten Weltkriegs, das ihn zur Anthroposophie führte, und erzählt von seinem Bildungsweg und vor allem von der intensiven Arbeit mit Rudolf Steiner im Rahmen der Freien Anthroposophischen Gesellschaft, die damals wegen allzu großer Spannungen mit der älteren Generation für die Jugend gegründet werden musste.

Wir hören dann von seinem Wirken in Berlin, im Ruhrgebiet und an anderen Orten und werden Zeugen einer ungewöhnlichen Biografie, welche Rath als unermüdlich strebenden, forschenden und arbeitenden Freund der Jugend zeigt. Wir begleiten ihn durch seine Krisen, Irrtümer und seine ununterbrochene Arbeit an den Zielen unserer Michaelsepoche. Rath wusste, dass jede neue Generation, die aus der geistigen Welt neue Impulse mitbringt, sie auch ins Bewusstsein heben muss, damit ihr Bestreben in die rechten Bahnen kommt. Die junge Gruppe, die in Rudolf Steiner den großen Impulsator ganz neuer Möglichkeiten zivilisatorischer Wirksamkeit erlebte, bekam durch den ‹Pädagogischen Jugendkurs› (GA 217) eine entscheidende Hilfe. Mit diesen Impulsen blieb Rath zeit seines Lebens verbunden und er sah auch eine Aufgabe darin, solche Ideale jungen Generationen zu vermitteln.

Im Zuge von Schmidts detaillierten Darstellungen aus jener Zeit lesen wir auch viele Namen von Pionieren der anthroposophischen Bewegung. Sie schließen auch manche Lücke im Gefüge der Geschichte der anthroposophischen Gesellschaft, auch was die Entwicklung in Österreich anbelangt, das in späteren Jahren Raths zentraler Wirkungsort wurde. Wilhelm Rath wirkte nicht nur als vielgefragter Redner, sondern später auch als Bewirtschafter eines ausgedehnten Landgutes in Kärnten, auf dem durch Jahre hindurch anthroposophische Tagungen stattfinden konnten.

Es ist für Raths spätere Wirksamkeit bezeichnend, wie Steiner den in Bezug auf Landbau ziemlich ahnungslosen Germanistik-Studenten zu diesem Kurs zuließ – und mit welchem Humor! Rath sollte einen Brief an Steiner direkt überbringen, als er erfuhr, dass ein Kurs stattfinden würde. Da er schon da war, dachte er natürlich daran, teilzunehmen, aber ihm wurde klar gemacht, dass diese Vorträge nur für Landwirte gedacht seien. Daraufhin wandte er sich an Steiner. Rath selbst berichtet darüber: «So fasste ich den Mut zu fragen: Ich sei nun mal hierher gekommen und obwohl mir Dr. Wachsmuth schon gesagt hätte, dass dieser Vortrag nur für Landwirte sei, wollte ich doch fragen, ob ich, auch ohne Landwirt zu sein, teilnehmen dürfte. Da blitzte es lustig in den Augen Rudolf Steiners und er sagte: ‹Nun, wenn auch kein Landwirt, so sagen wir mal ein Landstreicher!› Und er legte die Hände auf meine Schultern und schob mich an Dr. Wachsmuth vorbei in den Raum.» (S. 260)

Am Ende dieser bewegenden Biografie möchte man Wilhelm Rath in Anlehnung an das von Steiner benützte Wort ‹Land…› einen ähnlichen Beinamen geben, wie ihn sich Friedrich von Hardenberg als Dichter gegeben hatte: Novalis, der ‹Neuland Rodende›. Denn ein solcher ist auch Wilhelm Rath gewesen, geistig und im Dienst der Erde. Dankbar legt man dieses Buch aus der Hand und wünscht ihm recht viele Leser, nicht zuletzt solche, die für das Werden der Jugend in der heutigen Zeit ein Herz haben.


Buch: 518 Seiten, geb. mit SU, € 29, Verlag Freies Geistesleben 2018

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