1869 hat Dmitri Mendeleew den Erfahrungsschatz aus 60 Jahren experimenteller Arbeit zweier Chemikergenerationen in einem visionären System geordnet. Dieses bildet die Basis für das heute zum weit verbreiteten Kulturgut avancierten Periodensystem. Dieses Jubiläum hat die Naturwissenschaftliche Sektion Anfang Oktober mit einem Kolloquium gefeiert und beleuchtet.
Obwohl wir selten einem Element in Reinform begegnen, scheint es uns selbstverständlich, dass Elemente die Bausteine sind, aus denen die materielle Welt besteht. Dies ist eine Tat-Sache im wahrsten Sinne des Wortes, insofern dieses Wissen auf das unermüdliche experimentelle Tun von Generationen von Chemikern zurückgeht. Der Aspekt des Festen, Gewordenen berücksichtigt jedoch nicht, dass Stoffe, Welt und Menschen in einem Transformationsprozess stehen, der unentwegt schöpferisch Neues hervorbringt.
Vorhersagbarkeit von Verwandlungen?
Wer im 18. Jahrhundert Chemie betrieb, wollte verstehen, was bei alltäglichen Phänomenen wie Verbrennung oder Atmung geschieht. Mithilfe vieler Experimente wurde ein Begriff entwickelt, der ein Element als eine Substanz definierte, die unter bestimmten Bedingungen andere Substanzen in einer spezifischen Weise transformiert. Erst mit der chemischen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts trat erstmals das Konzept der nicht mehr zerlegbaren ‹Bausteine› auf, welches unser Laienverständnis bis heute prägt.
Im Versuch, die Fülle der Phänomene durch gedankliche Durchdringung zu verstehen, waren Mendeleews Vorgänger aufgrund des chemischen Verhaltens auf Verwandtschaften zwischen den Elementen gestoßen, ordneten sie in Triaden, Familien oder Oktaven an. Mendeleew suchte nach einer übersichtlichen Darstellung der damals bekannten 63 Elemente für seine Studenten. Seine Anordnung sollte anhand der Position der Elemente das Panorama der Phänomene chemischer Verwandlungen nach einem periodischen Gesetz abbilden. Die Reihenfolge der Elemente wählte er aufgrund vergleichender quantitativer Untersuchungen des Gewichts – das Atom, als das gleiche Grundelement aller Elemente, war lediglich eine Hypothese. Der Grund für die periodische Wiederkehr bestimmter Eigenschaften war unbekannt.
Als visionär darf Mendeleews Systematik nur schon deswegen bezeichnet werden, weil er daraus Existenz und Charakteristika von mindestens drei damals unbekannten Elementen ableitete, die dann erst 6, 10 und 17 Jahre später entdeckt wurden, wobei die von ihm vorhergesagten Eigenschaften mit hoher Genauigkeit bestätigt wurden. Aber auch, weil durch das Konzept der Periodizität das Forschungsprogramm impulsiert wurde, das das heute tradierte Wissen über die Natur der Materie prägt.
Auch in modernen Darstellungen des Periodensystems werden in den Spalten die qualitativen chemischen Verwandtschaften der Elemente, ihre Substanzialität, gespiegelt. Im Mess-, Zähl- und Wägbaren, vor allem in den Atommassen hingegen tritt ihr Formaspekt in den Vordergrund, der das chemische System für physikalische Modellbildungen geöffnet hat. Die Reihenfolge der Elemente wird heute vom Schalenmodell des Atoms nach der charakteristischen Anzahl der Protonen im Atomkern bestimmt. Was vorher eine Hypothese im Versuch war, die Phänomene zu verstehen, ist in der Vorstellung zu einem Dinghaften geworden, das die Phänomene erklärt. Die Chemie, die Wissenschaft von den Transformationen, ist zu einem Kind der Physik, des Festen und Vorhersagbaren, geworden, weit weg von den Lebensprozessen.
Elemente des Prozesses
Wie kann sie wieder näher an diese herangebracht werden? Eine spanische Chemikerin zeigte im Curriculum für den Waldorf-Unterricht in Spanien eindrucksvoll, wie über Experimente das Erleben von der Chemie der Pflanzenprozesse, dann von festen organischen Substanzen, anorganischen Salzen und Basen bis hin zur Elektrolyse von Wasser zu einem gesättigten Bild vom Kreislauf der Substanzen führen kann, in dem die Elemente als Teile eines prozessualen Ganzen aufgefasst werden.
Auch das Periodensystem kann in einer erweiterten Sicht auf die Stoffe als Inbegriff eines umfassenderen Naturbetrachtens dargestellt werden, indem Bezüge zu Mathematik, Farben, Evolution und Astronomie hergestellt werden. Ein Bild des Periodensystems als Sternenkarte leuchtete auf. Eine Übung zur Umsetzung des Geschmacks verschiedener Salze in farbige Bilder zeigte, dass wir Eindrücke von der ‹Innenseite› der Stoffe in unserem Ätherleib als Qualitäten erleben können, die auch im Pflanzenwachstum in Erscheinung treten.
Im Wechsel von Theorie und Experiment luden zwei Referenten die Teilnehmenden zu Denkexperimenten ein. Einmal wurde die Verflüssigung der Vorstellungskraft an geometrischen Körpern geschult, zum andern ließen Übungen zur Stärkung der Denkkraft den Unterschied erleben zwischen der blassen Festigkeit abstrakten Vorstellens und der inneren Wärme, die bei einem angestrengten Denkakt entsteht – ein Pendeln zwischen Stoff und Prozess, wie es auch für die Chemie charakteristisch ist.
Foto: Dmitri Mendeleew