Das Herz verstehen

Das Dogma, dass das Herz eine Druckpumpe ist, die das Blut vorantreibt, wird langsam infrage gestellt – mit neuen Erkenntnissen.


In einer renommierten Fachzeitschrift für Physiologie1wurden bahnbrechende Beweise vorgelegt, dass die Bewegung des Blutes primär, das heißt ‹autonom›, ist, während das Herz die Verteilung des Blutes an die Organe ‹wahrnimmt› und steuert und so nur eine sekundäre Rolle spielt. Wie Rudolf Steiner darlegte, kann das Blut als ‹materialisierte› Wärme betrachtet werden, als physischer Ausdruck des Willens, dessen Wesen die Bewegung ist. Bestätigt wird dies durch Beobachtungen am embryonalen Kreislauf, in dem das Blut zirkuliert, bevor das Herz vollständig entwickelt ist. Das Blut strömt nicht nur autonom als Antwort auf die Stoffwechselbedürfnisse des Gewebes, sondern besitzt eine größere Vitalität als jedes andere Organ: Blutkonserven können bis zu sechs Wochen lang transfundiert werden, während eine Niere oder ein Herz innerhalb von 48 bzw. fünf Stunden nach der Entnahme implantiert werden muss. So wie das Blut warmblütiger Tiere Ausdruck der Gruppenseele einer Spezies ist, ist das menschliche Blut, das in vertikaler, aufrechter Richtung zirkuliert, Ausdruck des individuellen menschlichen Geistes.

Der Wasserkreislauf der Natur ist ein Beispiel für einen ‹autonomen› Kreislauf. Wasser steigt als Dampf auf, kondensiert zu Tropfen und regnet auf den Boden. Dieser Übergang des Wassers zwischen den Aggregatzuständen wird durch Aufnahme und Abgabe von Wärme verursacht. Dies ist ein grundlegender Prozess, der eine Schlüsselrolle bei der Aufrechterhaltung und Erneuerung des Lebenskörpers der Erde spielt. In ähnlicher Weise ist die Summe des Körperwassers (Blut, Lymphe, interstitielle und intrazelluläre Flüssigkeit) ständigen Bewegungen unterworfen, die durch den Wärmestoffwechsel beeinflusst werden. Insgesamt ist der ‹Wasserorganismus›, der 75 Prozent des Körpergewichts ausmacht, der Träger des Ätherleibes.2 Das Blut hingegen ist ein ‹ganz besonderer Saft›3, der aus eiweißreichem Plasma und roten Blutkörperchen besteht, die 35 bis 45 Prozent des Volumens ausmachen. Mit vier bis sechs Millionen Erythrozyten pro Kubikmillimeter sind diese zahlreicher vertreten als alle anderen Zelltypen im Körper! Erythrozyten sind mit Hämoglobin gefüllt, einem eisenhaltigen Molekül, das den lebensspendenden Sauerstoff in der Lunge bindet und ihn zur Unterstützung der Zellatmung an das Gewebe abgibt. Ähnlich wie das Wasser in der äußeren Natur wechselt das Blut zwischen dem belebten ‹leichten› Zustand, der zur Peripherie strebt, und dem mit Kohlendioxid beladenen ‹schweren› Zustand, der das Zentrum sucht. Die konventionelle Physiologie schreibt Flüssigkeitsbewegungen unter anderem konvektiven Strömungen zu und beruft sich auf Antriebsmechanismen, die von molekularen Pumpen bis zu Antriebsorganen wie Herz- und Skelettmuskelpumpen reichen. Die Zirkulation von Gallensalzen wie auch die Bewegung von Lymphe, Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit und zahlreicher anderer Substanzen geschieht jedoch scheinbar ‹von allein›.

Dieser blinde Fleck in der Physiologie stammt aus der Physik und geht auf Galilei, Newton und Descartes zurück, die mit dem Aufkommen eines intellektuellen Weltbildes das Gefühl für die kosmischen Dimensionen der irdischen Phänomene verloren haben. Mithilfe experimenteller Methoden reduzierten sie die aristotelische Vier-Elemente-Physik4, nämlich fest, flüssig und gasförmig. Die Wärme, der vierte Zustand, der sie alle durchdringt und umwandelt und die Brücke zwischen dem Physischen und dem Ätherischen bildet, wurde einfach der atomaren Bewegung zugeschrieben.

Alle Naturreiche, einschließlich des Menschen, sind zentrischen Kräften und Kräften der Peripherie unterworfen, nämlich den Wärme-, Licht-, Chemischen oder Ton- und Lebensäthern. Die Äther erreichen uns über Haut und Sinne sowie über den Atem. Dabei aktivieren sie unsere eigenen Lebens- oder Ätherkräfte. Die geisteswissenschaftliche Forschung zeigt, dass sich die Summe der ätherischen Kräfte in unserem Organismus als Sog5 manifestiert. Das Vorhandensein von Sog in der Pleurahöhle, im Zentrum der Blutwirbel im Herzen und in den Geweberäumen, ist in der Physiologie wohlbekannt; nicht aber die Tatsache, dass negativer Druck in seiner Gesamtheit ein ‹Kraftfeld› darstellt. Die Existenz dieses Feldes wurde nun als die eigentliche Ursache für die Bewegung des Blutes von der Peripherie zum Herzen erkannt. Das primäre Wirkungsfeld sind die kleinsten Gefäße, die Kapillaren. Wie bei jeder Kreisbewegung sind also zwei gegensätzliche Kräfte erforderlich, um die Bewegung des Blutes zu beeinflussen, nämlich die Zentrifugal- und die Zentripetalkraft. Erstere wirkt auf den arteriellen Druck, der von der linken Herzkammer aufrechterhalten wird, und letztere manifestiert sich als Sog.

Physiologie der Freiheit

Die Behauptung, dass das Blut zirkuliert, ist nicht richtig, vielmehr fließt das Blut in Lemniskaten und imitiert in diesem Sinne die Planetenbewegungen, wie sie von Steiner im Astronomiekurs6 beschrieben werden. Das Herz befindet sich am Kreuzungspunkt zwischen dem Körper- und Lungenkreislauf und kann wie die Sonne als dynamischer Drehpunkt gesehen werden.7

Die Aussage ‹das Herz ist keine Pumpe› ist ebenfalls falsch, denn ein hydraulischer Widder, mit dem das physikalische Prinzip der Herztätigkeit verglichen werden kann, ist eine Art Pumpe, die durch die Schwerkraft des fließenden Wassers angetrieben wird. Das Herz wird also durch das Blut ‹aktiviert› und seine rhythmische Bewegung ist Ausdruck makrokosmischer, seelisch-geistiger Kräfte, die uns über die Sinne erreichen, und ‹irdischer› Kräfte, die aus dem Bewegungs-Stoffwechsel-System zum Herzen strömen.

Es ist bekannt, dass das Herz nur etwa 15 bis 20 Prozent seines hohen Energiebedarfs für Kontraktion und Expansion aufwendet, während der Rest (etwa 80 Prozent!) in Wärme umgewandelt wird. Bis heute gibt es keine Erklärung dafür, warum das Herz so viel Wärme erzeugen sollte. Es wurde sogar behauptet, dass das Herz eine ‹ineffiziente Pumpe› ist. Zum Vergleich: Der Wirkungsgrad8 eines Verbrennungsmotors liegt bei 35 Prozent und damit deutlich höher als der des Herzens. Die Antwort auf dieses Rätsel kann nur die okkulte Physiologie geben, nämlich dass die Wärme des Herzens als Brücke9 zwischen der seelisch-geistigen und der ätherisch-physischen Konstitution des Menschen dient. Es ist die Pforte, durch die Sinneseindrücke sowie Erinnerungen, Urteile und karmische Impulse mit unserem Ich verbunden zu ‹unserem Eigenen› gemacht werden.

Endlich ist das Herz von einer Aufgabe befreit, die es nicht erfüllt, die ihm nur durch mechanistisches Denken aufgebürdet wurde und die physikalisch unmöglich ist. Wie kann man sich vorstellen, dass ein Organ von der Größe einer Faust das Blut, eine relativ zähflüssige Flüssigkeit (zwei- bis dreimal zähflüssiger als Wasser), durch 50 000 Kilometer lange Blutgefäße befördern kann, die größtenteils aus Kapillaren bestehen, von denen viele einen Durchmesser haben, der kleiner ist als der der roten Blutkörperchen! Es wird noch einige Zeit dauern, bis die Physiologinnen und Physiologen entdecken, dass das Herz auch das Organ der Seele und der Vermittler des Schicksals ist. Diese Betrachtung ist ein wesentlicher Beitrag zu einer menschlicheren Physiologie.


Bild Sofia Lismont

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Footnotes

  1. B. Furst, José González-Alonso, ‹The heart, a secondary organ in the control of blood circulation›; open access unter: doi:10.1113/EP091387
  2. Ein einfacher Beweis dafür, dass Flüssigkeiten ‹ätherische Kräfte› besitzen, ist das Phänomen des Auftriebs. Der Auftrieb eines in eine Flüssigkeit eingetauchten Objekts ist gleich dem Gewicht der verdrängten Flüssigkeit (Archimedes-Prinzip).
  3. Goethes ‹Faust›, Teil I
  4. Aristoteles vertrat, dass die kreisförmige Bewegung die primäre Form der Bewegung im Kosmos ist. Sie wird im Kosmos durch den ‹primären Beweger› und in den sich selbst bewegenden Organismen durch ‹Entelechie› verursacht und durch ‹innere Wärme› vermittelt (Physik, Bücher 7 und 8).
  5. Siehe z. B. Vortrag vom 24. April 1920, GA 201.
  6. Vortrag vom 17. Januar 1921, GA 323.
  7. Vortrag vom 23. März 1911, GA 128.
  8. Der ‹Wirkungsgrad› bezieht sich auf den Anteil der verbrauchten Energie, der in physische Arbeit umgewandelt werden kann.
  9. Vorlesungen vom 17. bis 20. Dez. 1920, GA 202.

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