Die diesjährige Welterziehertagung, die von 15. bis 19. April am Goetheanum stattfinden wird, ist schon seit November ausverkauft. Was sagt uns dieses große Interesse? Wie stehen die Kleinkinderzieherinnen und -erzieher in der Gesellschaft und in der Welt? Inwiefern tragen sie auch zum Fortschritt des Sozialorganismus bei?
Kaum eine andere Berufsgruppe hat weniger mit Globalisierung zu tun. Kaum eine andere muss sich in dieser Weise mit ungeteilter Aufmerksamkeit und praktischer Geschicklichkeit ganz dem Hier und Jetzt zuwenden. Bei kaum einer anderen hat Abwesenheit solch gravierende Folgen. Die Kleinkinderzieherinnen, Kindergärtnerinnen, Tagesmütter und ihre wenigen männlichen Kollegen haben das vielleicht noch mit den Landwirten gemein, die in ähnlicher Weise mit dem Feld ihrer Tätigkeit verwachsen sind und kaum Ferien machen können. Anders als diese ernten sie aber nichts: Die Folgen ihrer Arbeit schlummern tief im Unterbewusstsein der Jugendlichen und Erwachsenen, die nicht wissen, welches Wohl- und Unwohlsein, welche Begabungen und Hindernisse mit ihren Erlebnissen in der frühen Kindheit zusammenhängen. Aber wer nicht erntet, dem braucht man auch keinen besonderen Verdienst zuzusprechen, so meint man. Und so werden auch selbst in Waldorfkreisen Krippenerzieher und Kindergärtnerinnen zwar menschlich-intellektuell ihren Kollegen gleichgestellt, die sichtbarere pädagogische Ergebnisse bringen wie zum Beispiel Theaterstücke, Klassenfahrten und Jahresarbeiten. Was aber Arbeitszeiten, Ferien- und Gehaltsregelungen betrifft, gibt es gewisse Unterschiede …
Gerade diese Berufsgruppe trifft sich nun zu einer ‹Welttagung› am Goetheanum (1), die erste der großen Waldorf-100-Tagungen, die in Bangkok, Nairobi, Buenos Aires, Stuttgart und Dornach stattfinden werden.(2)
Bei der Vorbereitung haben die Pädagogische Sektion und IASWECE (International Association for Steiner/ Waldorf Early Childhood Education) sich die Frage gestellt: Wie geht es heute den vielen Menschen, die sich, über die ganze Erde verstreut, für die Ideen der Menschenkunde Steiners interessieren und davon inspiriert ihre tägliche Erziehungspraxis immer neu aufgreifen wollen? Was brauchen sie heute von einer weltweiten Bewegung gerade für ihr ‹Hier› und ‹Jetzt›? Machen wir uns nichts vor: Viele Waldorfkrippen und Kindergärten arbeiten unter äußerst schwierigen finanziellen und personellen Verhältnissen und bräuchten vor allem Geld. Der Geldmangel kann aber neben der oben zitierten globalen sozialen Ungerechtigkeit auch andere Ursachen haben. Zum Beispiel kann er zu tun haben mit einem Mangel an Dynamik, an freudiger Ausstrahlungskraft und Motivation der Menschen, die die jeweilige Einrichtung tragen. Helfen die Formen der Zusammenarbeit, diese Dynamik zu stärken? Oder verhindern sie persönliche Initiative? Hilft die soziale Struktur, dass sich der «Egoismus nicht austoben kann»? (3) Hilft sie jeder Erzieherin, mindestens einmal am Tag genau etwas diesem oder jenem Kind Angemessenes zu tun, das heißt, den ‹Geist zu finden›? Findet jeder in sich die Kraft, die die Gemeinschaft lebendig und dynamisch macht?
‹Innere Freiheit – soziale Verantwortung: Wege finden in eine menschliche Zukunft› lautet der Titel der Tagung, die diese Fragen der Zusammenarbeit auch bis ins ganz konkrete Leben weiterverfolgen will. Wie kommen wir zu einer Vereinbarung über das Gehalt, die sich nicht an Diplomen und sturem Arbeitsstundenzählen orientiert? Wie können wir selbst als Angestellte eines Schul- oder Kindergartenvereins als Pädagogen voll verantwortlich die Einrichtung managen? Damit 100 Jahre später Dreigliederung nicht nur etwas ist, über das man redet, sondern etwas, das man einfach tut. Zum Beispiel, indem man diese ganz einfache Anregung aus dem Vorwort der ‹Kernpunkte› realisiert: Jede Erzieherin könnte ein bis zwei Stunden weniger bei den Kindern sein und ein paar Verwaltungs- und PR-Aufgaben übernehmen. Das würde, so Steiner, die pädagogischen Fähigkeiten der Erzieher stärken und wäre Garant für eine effiziente Verwaltung!
Seit Mitte November 2018 ist die Tagung ausverkauft. Das zeigt vielleicht, dass die Vorbereitungsgruppe mit dem Thema nicht ganz danebenliegt. Es knüpft an ein Motiv an, das Helmut von Kügelgen (4) am Herzen lag, der in unzähligen Vorträgen vom «Vertrauen als dem kostbarsten Gut der Menschheit» gesprochen hat und der mit der vor 50 Jahren gegründeten Internationalen Vereinigung der Waldorfkindergärten das soziale Ideal der Waldorfpädagogik im Auge hatte: einer Organisation sozialer Zusammenhänge, die nicht auf Hierarchie, Kontrolle und Belohnung basiert, sondern auf Motivation jedes Einzelnen für seine Arbeit sowie auf gegenseitigem Interesse und Wertschätzung. Eine Organisation, die dem Einzelnen Freiraum für seine Initiativen gibt und in der der Einzelne aus freien Stücken sich bemüht, das Ganze im Bewusstsein zu behalten. (5)
«Das im gemeinsamen Ziel und Streben begründete Vertrauen und die auf allen Gebieten des sozialen Lebens verwirklichte Zusammenarbeit sind das hohe Gut der Internationalen Vereinigung der Waldorfkindergärten, das erhalten, geschützt und gepflegt werden soll.» (6)
(1) Vollständiges Programm auf www.iaswece.org
(2) Programme auf www.paedagogik-goetheanum.ch
(3) Bemerkung von Michaela Glöckler bei der Pfingsttagung 2018 in Hannover.
(4) Waldorflehrer, langjähriger Redakteur der Zeitschrift ‹Erziehungskunst› und eine der tragenden Persönlichkeiten der anthroposophischen Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mit Clara Hattermann und Freya Jaffke einer der Gründer der Internationalen Vereinigung der Waldorfkindergärten.
(5) In der Präambel der Vereinigung der Waldorfkindergärten heißt es hierzu: «Nie darf die gesamte Pädagogische Bewegung vergessen, dass sie in diesem Sinne nicht nur Pionier in den Erziehungsfragen ist, sondern auch auf dem umfassenden Gebiet der sozialen Erneuerungsbewegung ‹Dreigliederung des sozialen Organismus›.»
(6) Die Zitate sind der Prämbel von IASWECE entnommen: www.www.iaswece.org/unsere-ziele-und-ideale/unsere-ziele/
Foto: Charlotte Fischer