In der Volksrepublik China gibt es keinen Privatbesitz an Grund und Boden. Damit ist eine wesentliche Forderung, die sich aus einer dreigegliederten Auffassung des Sozialen ergibt, erfüllt. Das könnte sich in Zukunft als ein Standortvorteil erweisen.
`Wir haben eine ‹Scheinmarktwirtschaft›, so der Titel eines Buches von Udo Herrmannstorfer (1), denn die drei Faktoren Grund und Boden, Arbeitskraft und Kapital werden wie Waren behandelt. Waren sind aber nur Produkte aus menschlicher Arbeit, Produkte, an deren Entstehen menschlicher Geist beteiligt war. So richtig ein freier Markt für Waren ist, so falsch ist es, das Kaufen und Verkaufen dieser drei Faktoren dem Markt zu überlassen. In diesem Sinne sollte der Umgang mit Grund und Boden durch das Rechtsleben geregelt werden, ebenso auch der Arbeitseinsatz und der Umgang mit dem Kapital. Die sogenannte ‹freie Marktwirtschaft› führt eben nicht für alle zur Freiheit, sondern nur für jene, die es sich leisten können. Die Versuche, durch staatliche Eingriffe korrigierend einzugreifen, zum Beispiel durch Rahmengesetze für Grund und Boden, durch Kontrollen des Kapitalverkehrs usw., sind wenig zielführend. Grund und Boden ist ein knappes Gut, daher steigen die Preise in Verbindung mit der Geldschöpfung unaufhaltsam.
In China ist das anders. Laut Artikel 10 der Verfassung von 1982 ist der Boden in den Städten Staatseigentum (und der auf dem Lande und in den Vororten der Städte ist Kollektiveigentum). Ein Verfassungszusatz vom 12. April 1988 wurde in Absatz 4 noch deutlicher: «Weder eine Organisation noch ein Individuum darf Grund und Boden in Besitz nehmen, kaufen oder verkaufen oder auf andere Weise gesetzeswidrig andern überlassen.»
Indem durch die Verfassung Grund und Boden seines Warencharakters entkleidet wurde, hat die Volksrepublik an diesem Punkt Wirtschaft und Recht auseinandergegliedert. Damit hat China etwas eingeführt, das sich in Zukunft als ein Standortvorteil für die Wirtschaft der Volksrepublik erweisen könnte, und zwar aus folgendem Grund: Auf dem Weltmarkt stehen die Staaten in Konkurrenz und einer der wichtigsten Kostenfaktoren sind die Löhne der Mitarbeiter. Irgendwo müssen die Menschen wohnen, entweder zur Miete oder im Eigentum. Während früher die Ausgaben für Nahrungsmittel die Höhe der Löhne entscheidend beeinflussten, sind es heute die Kosten für das Wohnen, in die die Grundstückspreise ja mit einfließen. Das gilt besonders in den großen Städten, wo die Preise besonders hoch sind. In London muss man zum Beispiel etwa 40 Prozent des Einkommens für das Wohnen berappen. Der Grundstücksanteil an den Wohnungskosten erreicht manchenorts bereits Größenordnungen von 30 bis 50 Prozent.
Das Problem zeigt sich in China nicht in der Weise, denn es gibt keine private Bodenrente, die ein leistungsloses Einkommen erlaubt. In China bekommt man den Boden durch Nutzungsrechte (in der Regel für 50 Jahre), wobei die Einnahmen für die Pacht des Bodens dem Staat und damit der Allgemeinheit zufallen (sofern nicht Korruption im Spiel ist).
Für die Industrialisierung des Westens war es entscheidend, dass man Grund und Boden kreditieren, das heißt, als Sicherheit für einen Kredit beleihen konnte. Interessant ist, dass es China gelungen ist, ohne diesen Prozess der Kreditierung von Grund und Boden das Land zu industrialisieren.
Es könnte gut sein, das in Zukunft unser bestehendes Bodenrecht zu einem Hemmschuh wird. Der Bodenpreis hat sich in den letzten Jahrzehnten vervielfacht. Wären nicht die immensen Subventionen – von Mietbeihilfen, Baukostenzuschüssen, Zinssubventionen bis zu Steuervergünstigungen –, so käme jeder Wohnungsbau ganz zum Erliegen. Dennoch sind Neubauwohnungen für Normalverdiener unerschwinglich geworden. Auch in der Landwirtschaft ist es überhaupt unmöglich geworden, den Kaufpreis aus den landwirtschaftlichen Erträgen zu verzinsen oder zu amortisieren. Ein weiteres Problem: Die hohen Bodenpreise machen es den Gemeinden und Städten immer schwerer, kommunale Aufgaben zu erfüllen, da die Entschädigungswerte, die sich in Deutschland am Verkehrswert orientieren, jedes Vorhaben gewaltig verteuern.
Es gibt noch einen weiteren Punkt, der sich in Zukunft für China als Standortvorteil erweisen könnte: In diesem Land gibt es fast nur Staatsbanken, die das Kapital günstig an Staatsunternehmen leihen können. Zurzeit meldet die Presse öfters alarmiert, dass manche der großen staatlichen chinesischen Unternehmen eigentlich pleite sind. Innerhalb dieses Systems ist das aber nicht schlimm: Solange der Staat die Hand über die Banken hält, kann er Schulden erlassen und zur Not weitere Gelder in die Unternehmen einschießen. Der Schaden hätte kein solches Ausmaß wie im westlichen Wirtschaftssystem.
Während im eigenen Land Grund und Boden nicht dem Markt unterworfen ist, haben chinesische Unternehmen gleichzeitig massiv in Grund und Boden in anderen Ländern investiert, insbesondere in Afrika. Dort haben sich die Investitionen in den letzten Jahren verzehnfacht. Howard W. French, Journalist der ‹New York Times›, hat in dem Buch ‹China’s Second Continent› (2) ausführlich geschildert, wie Afrika langsam in die Hände der Chinesen gerät. Oft sind es Tauschgeschäfte, die getätigt werden: Rohstoffe gegen den Aufbau der Infrastruktur. Die chinesischen Unternehmen bauen Straßen, Eisenbahnstrecken, Flughäfen, Regierungsgebäude und Ausbildungszentren in der Regel mit ihren eigenen Arbeitern, was zugleich etwas Druck vom Bevölkerungswachstum im eigenen Land nimmt.
China, noch vor Jahrzehnten ein armes, von schlimmen Hungersnöten geplagtes Land, hat es geschafft, in wenigen Jahrzehnten unter großen Wirren den ‹großen Sprung nach vorne› (so die von Mao Zedong initiierte Kampagne) zu schaffen. Es ist zu hoffen, dass auch die Chinesen erkennen, welchen Vorteil sie damit haben, dass Grund und Boden dem Handel entzogen ist, obwohl viele ihrer Studenten an US-amerikanischen Universitäten studieren und dort auf ein anderes Gedankengut stoßen.
(1) Udo Herrmannstorfer, Scheinmarktwirtschaft, Arbeit, Boden, Kapital und die Globalisierung der Wirtschaft. Verlag Freies Geistesleben, 1997
(2) Howard W. French, China’s Second Continent: How a Million Migrants Are Building a New Empire in Africa. Knopf, 2014
Foto: Olha Zaika