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Boden behalten – Stadt gestalten

Wohnen wird in den Städten immer teurer. Zugleich zieht es immer mehr Menschen ins Urbane. So kommen in Charlottenburg/Berlin über 800 Bewerber auf eine 50-m2-Wohnung. Nun hat eine Berliner Bürgerinitiative mehr als 20 000 Stimmen gesammelt, um eine Enteignung der Vermietkon­zerne zu erzwingen. Gleichzeitig – der Termin könnte nicht passender sein – erscheint das Buch zur Bodenfrage ‹Boden behalten – Stadt gestalten›. Ein Gespräch mit Ulrich Kriese (Stiftung Edith Maryon), Mitherausgeber des Buches.


Das Problem hat alle größeren Städte und Gemeinden erreicht: Der Wohnraum ist zu teuer geworden. Ulrich Kriese nennt die Ursachen: Die Gemeinden und Städte hätten sich in der früheren Vergangenheit für den Wohnungsbau engagiert. Sie hätten selbst gebaut oder Genossenschaften Grundstücke übertragen. Mit den neoliberalen Gedanken, beginnend in den 90er-Jahren, wurden diese Wohnungsbestände mehr und mehr an Investoren verkauft. Dummerweise wurden die Wohnungen gerade zu dem Zeitpunkt verkauft, als der Preis im Keller war. Die Gemeinden verloren, so Kriese, die Flexibilität und Verfügungsgewalt, um auf die Bedürfnisse der Bürger reagieren zu können. Für einkommensschwache Menschen, die es auf dem Wohnungsmarkt schwer haben, gibt es immer weniger Wohnungen. Nach Schätzungen des deutschen Mieterbundes hätte die Hälfte aller Deutschen Anspruch auf eine Sozialwohnung, aber nur für jeden siebten stehe eine solche Wohnung zur Verfügung. Vor zehn Jahren habe dann die Finanzkrise und der Rückgang von Zinsen und Renditen das Problem verschärft. Immobilien und Grund wurden als Wertanlage immer attraktiver. Kapital, das früher in Aktien und Staatsanleihen floss, strömte nun in den Wohnungssektor.

Die Rechnung ist schrecklich einfach, betont Kriese: Boden ist eine begrenzte Ressource, die Bevölkerung wächst, die Städte werden als kultureller Arbeits- und Lebensraum attraktiver, das Land unattraktiver, also folgen die Boden- und Wohnungspreise dem Gesetz des Marktes und es steigt ihr Preis. Und er ergänzt: «Wenn wir alle enger zusammenrücken würden, hätten wir kein Problem. Aber das Bedürfnis nach Wohnfläche sowie die Vereinzelung der Haushalte steigt ebenfalls. Nicht zu vergessen der durch Konsum und Mobilität induzierte Landverbrauch, der teils weit über die Landesgrenzen hinaus reicht. Ein Land wie die Schweiz, so Kriese, habe dabei einen höheren Landbedarf oder -verbrauch, als es die 41 000 km2 nutzbare Fläche hergeben. Da werden Ackerland und Weiden in Brasilien genutzt. Das Umweltbundesamt in Deutschland bezifferte 2011 den Landfußabdruck Deutschlands und stellte fest, dass mehr als das Doppelte der Fläche verbraucht wird, die im Inland zur Verfügung steht. Unser heutiger Konsum in Europa sei darauf angewiesen, dass man Flächen in anderen Kontinenten beansprucht.

Welche Perspektiven gibt es?

Einen Anfang machte die sogenannte Bodeninitiative, die in Basel vor drei Jahren unter dem Motto «Boden behalten – Basel gestalten» mit großer Mehrheit per Volksabstimmung durchgesetzt wurde. Der Kanton Basel-Stadt darf seither Boden nur noch im Baurrecht abgeben, aber kein Land verkaufen. Diese Initiative fand in verschiedenen Schweizer Städten wie Luzern und Winterthur Nachahmer und auch in Deutschland weckte sie Interesse. Die Initianten für ethisches Bodenrecht, zu denen auch die Stiftung Edith Maryon gehört, bekamen deshalb häufig Anfragen über das Wie und Was der Initiative. So sei die Idee eines Buches zum Thema geboren worden, sagt Ulrich Kriese. Um das Thema breiter einzubetten, konnten die beiden Herausgeber, Brigitta Gerber und Ulrich Kriese, viele Mitautorinnen und -autoren gewinnen. Versammelt wurden Beiträge über schweizweit und auch international erfolgreiche Initiativen, auch historische, die zeigen, dass man mit dem Boden auch nicht kommerziell umgehen könne. Für die Beiträge konnten sie auf ihr Netzwerk verschiedener Bodenaktivisten zurückgreifen. «Heribert Prantl von der ‹Süddeutschen Zeitung› hatte in Berlin einen eindrucksvollen Vortrag über Erbbaurecht gehalten. Da haben wir ihn um einen Beitrag gebeten und er sagte erfreulicherweise zu», so Kriese. Mit dem nun erscheinenden Buch wollen die Herausgeber Bewusstsein für das Problem und auch für Perspektiven schaffen. Der Alltagsgebrauch des Begriffs ‹Grundstück› umfasst Boden und Gebäude. Das wird dann vermischt. Um hier weiterzukommen, müsse man beides trennen. Boden ist, anders als das Gebäude, das ich aufstocken kann, die begrenzte Ressource. Kriese: «Wir zeigen im Buch, wie Städte wie Hongkong oder Singapur anders umgehen mit Boden. Auch Initiativen in München, Basel oder Berlin zeigen, dass man das Steuer positiv herumdrehen kann. Es gibt Lösungen. Dazu gehört, dass mehr Land in der öffentlichen Hand bleibt.»

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Privates Grundeigentum gibt es ja erst seit wenigen Jahrhunderten. Es war damals ein Erfolg, denn Privateigentum befreite Bauern aus dem Fron- und Feudaldienst. Heute sieht das anders aus, weil sich das Grundvermögen in immer weniger Händen konzentriert.

Hier wird oft das Erbbaurecht vorgeschlagen, welchen Vorteil hat das? Kriese: «Es ist nicht alleine die Lösung. Wenn jemand ohne Einschränkung über ein Grundstück über Jahrzehnte im Erbbaurecht verfügt, dann kann er wie ein Besitzer damit machen, was er will. Um günstigen Wohnraum zu erhalten, müssen die Kommunen den Erbbauvertrag entsprechend fassen, dass Mietwucher und Spekulation verhindert werden.» Oder müssen wir grundsätzlicher werden und sagen, Boden kann ähnlich wie die Luft zum Atmen überhaupt kein Eigentum sein? «Privates Grundeigentum gibt es ja erst seit wenigen Jahrhunderten. Es war damals ein Erfolg, denn Privateigentum befreite Bauern aus dem Fron- und Feudaldienst. Heute sieht das anders aus, weil sich das Grundvermögen in immer weniger Händen konzentriert. Dabei geht es nicht um die Einfamilienhäuser, sondern um Grundbesitzungen, ganze Straßenzüge in den Innenstädten. Hieraus entstehen riesige leistungslose Einkommen, die Privaten nicht zustehen. Diese Werte stehen der Gemeinschaft zu, denn sie sorgt mit all dem, was eine Stadt leistet, von Bibliothek über Schwimmbad bis zur öffentlichen Mobilität, dafür, dass das Grundstück so wertvoll ist.» Am Schluss erwähnt Kriese, dass die Aufgaben, die aus dem Umgang mit dem Klimawandel auf uns zukommen, von neu angepflanzten Wäldern bis zu Feuchtgebieten, große Mengen an Grund benötigen werden. Umso wichtiger ist, dass wir anfangen, Besitz und Verfügung von Grund und Boden menschlicher zu gestalten.


Buch Brigitta Gerber und Ulrich Kriese (Hg.), Boden behalten – Stadt gestalten. Verlag rüffer & rub, Zürich. Im Buchhandel ab dem 20. Mai 2019.

Bild Ulrich Kriese, Foto: Wolfgang Held

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