Die Co-Leiterin der Naturwissenschaftlichen Sektion Vesna Forštnerič Lesjak macht mit dieser Publikation eine Vorgabe für die von ihr favorisierte Forschungs- und Lehrmethode.
Der Untertitel ‹Ein goetheanistisch-anthroposophischer Erkenntnisweg zur Entwicklung neuer Heilmittel› macht deutlich, dass es bei diesem Forschungsbericht um mehr geht als ‹nur› um eine Dokumentation eines Forschungsprojektes im Bereich anthroposophischer Heilpflanzen- und Heilmittelforschung. Angestrebt wird vielmehr, eine methodische Wegleitung für einen goetheanistisch-anthroposophischen Erkenntnisweg zur Kreierung neuer Heilpräparate vorzulegen – und das anhand des konkreten Beispiels der Wilden Karde und ihrer Heilpotenz bei Borreliose! Der Bericht ist Ergebnis eines Studienprojektes der berufsbegleitenden Ausbildung in goetheanistisch-anthroposophischer Naturwissenschaft an der Naturwissenschaftlichen Sektion, das die Co-Autorin Patricija Šenekar unter der Mentorenschaft der Sektionsleiterin durchgeführt hat.
Das konkrete Beispiel
Ihr Vorgehen führen die beiden Autorinnen an einem konkreten Beispiel vor: Die Wilde Karde wird im Vergleich mit drei weiteren Kardenarten nach goetheanistischer Methode als Prozessgestalt im Verlauf ihres zweijährigen Wachstumszyklus vom Keimen bis zum Blühen und Fruchten detailliert verfolgt und geschildert – und zwar so, dass man lernt, die Pflanze selbstständig nachzudenken, zu empfinden und in ihrer Wuchsgestalt zu verstehen. Zu Beginn des Berichtes wird Rudolf Steiner zitiert: Der Arzt vormaliger Zeiten «nahm aber wirklich seine Weisheit über die Heilmittel aus dem unmittelbaren Umgang mit der Natur, der aber nur dann zum medizinischen Wissen führt, wenn man die Natur auch in ihren Einzelheiten lieben lernt.» (Vortrag vom 4. Januar 1924, GA 316) Eine solche liebevolle und geduldige Beobachtung ist das eine Standbein. Das andere sind Hinschau- und damit bereits Lesehilfen, die aus der anthroposophisch-goetheanistischen Forschungstradition hervorgegangen sind: Standort, Wurzelwachstum, Blattreihen, Elemente (Erde, Wasser, Feuer, Luft), Wachstums- und Blühimpuls, Dreigliederung der Pflanze etc. Die beiden Forscherinnen ergänzen in ihrem Projekt außerdem noch die bildschaffende Methode der Steigbilder.
Zweifacher Brückenschlag
Der Bericht beginnt mit einer ausführlichen Darstellung der Borreliose-Krankheit aus dem Blickwinkel der heutigen physiologisch und biochemisch dominierten Medizinforschung. Unter einem entsprechenden Blickwinkel werden auch die Inhaltsstoffe der Wilden Karde betrachtet. Hiermit verortet sich der Bericht in die heutige Wissenschaftswelt – um diese aber um eine erweiternde Betrachtungsweise zu ergänzen. Ebenso wird an das Feld einer mehr intuitiven Forschung angedockt, indem auf die Wegbereitung der Wilden Karde als Heilmittel für Borreliose durch Wolf-Dieter Storl hingewiesen wird. Spannend ist hierbei die These Storls, dass es sich bei der Borreliose um eine Art Metamorphose der Syphilis-Krankheit handeln könne.
Licht und Intuition
Die im vorliegenden Bericht dokumentierte Methode einer goetheanistischen Heilpflanzen- und Heilmittelbetrachtung bringt Licht in die Fülle der durch die aktuelle Medizinforschung vorliegenden biochemisch-physiologischen Fakten. Der Bericht bringt auch Besonnenheit, das heißt Bewusstseinsklarheit, in einen Bereich der Naturforschung, der in die übersinnlichen Wesensbereiche vordringen will. Denn das heilende Prinzip ist zunächst nicht originär der materielle Stoffanteil, sondern die dem Stoff innewohnende geistige Wesenssubstanz. Diese muss in ihrer Strukturierung im Detail erfasst werden, um daraus auch ein Heilmittel herstellen zu können, wie dies die beiden Autorinnen erfolgreich angestrebt haben. Dadurch kommen sie am Ende des Berichtes zu folgendem Ergebnis: Das von ihnen aus der Wilden Karde hergestellte Heilpräparat spiegelt gemäß dem Simile-Prinzip den Erkrankten einerseits das Abbild der Borreliose-Krankheit und andererseits gibt es auch ein Vorbild für die Überwindung derselben aus den Kräften der Ich-Organisation heraus.
Um zu der Entwicklung eines solchen Heilmittels zu kommen, bedarf es letztlich immer eines gewissen Vertrauens auf die eigene Intuition. Nach der detaillierten, liebevollen, jahrelangen Zuwendung zu einer Pflanze und ihrer möglichen Heilwirkung gesellt sich endlich eine kreative Freiheit, die dann auch beispielsweise die Signaturenlehre heranzieht (etwa im Vergleich der Wanderröte mit der Blühabfolge der Wilden Karde) und ins entwickelte Heilpflanzenbild einzuordnen weiß.
Es zählt die Tat
Die von einem deutlich raphaelischen Impuls getragene Publikation beeindruckt durch die Tat: Nicht nur, dass die beiden Forscherinnen die Liebe zur Detailbeobachtung im Jahreslauf aufgebracht haben; nicht nur, dass sie ihre Forschung bis hin zur Entwicklung eines Heilmittels durchgetragen haben, sondern die beiden slowenischen Autorinnen haben sich auch der Mühe unterzogen, den bilderreichen Bericht in deutscher Sprache zu verfassen – dafür gilt besonderer Dank!
Buch Vesna Forštnerič Lesjak und Patricija Šenekar, Wilde Karde und Borreliose – ein Brückenschlag, Verlag NID Sapientia, Vitomarci (SI) 2024