In ruhiger Fahrt, um die steigenden Fahrradfahrer und -fahrerinnen nicht zu stören, fuhren wir auf dem Motorrad die geschwungene Straße hinauf zum Gipfel des Mont Ventoux, dem Berg der Winde.
Den Namen trägt er zu Recht, denn, oben angekommen, vermag man sich kaum auf den Beinen zu halten, so stark pfeift der Mistral um die kegelförmige Bergspitze. ‹Gigant der Provence› ist ein anderer Name des bei den Kelten als Heiligtum verehrten Berges. Am Vorabend der Auffahrt las Nikolai Fuchs aus der Reisebeschreibung des Mönches Francesco Petrarca (1301–1374). Petrarca bestieg mit seinem Bruder am 26. April 1336 den gewaltigen Berg. Größer als diese physische Leistung ist wohl das, was sich dann, auf dem Gipfel angekommen, in seinem Geist ereignete und zu einem der Zündfunken der modernen Seelenverfassung wurde, die Rudolf Steiner ‹Bewusstseinsseele› nennt. Angesichts des erhabenen Naturschauspiels lenkte der Mönch seinen Blick in seine eigene Seele und erlebte deren Landschaft nicht weniger als Äußeres wie die Landschaft, die sich vom Gipfel des Berges aus unter ihm aufspannte. Er notierte in einem Brief:
«Dann aber, sattsam zufrieden, den Berg gesehen zu haben, wandte ich den innern Blick in mich selber zurück. Wie oft hab’ ich an jenem Tage talabwärts steigend und rückwärts gewendet den Gipfel des Berges betrachtet, aber seine Höhe schien mir kaum mehr die Höhe einer Stube, verglichen mit der Höhe menschlicher Kontemplation, wenn dieselbe nicht in den Schmutz irdischer Niedrigkeit getaucht ist. Das auch fiel mir bei jedem Schritte ein: Wenn es uns nicht verdrießt, so viel Schweiß und Mühsal zu ertragen, um den Körper dem Himmel ein weniges näher zu bringen: welches Kreuz, welcher Stachel darf eine Seele schrecken, die sich Gott nähern will …! … Unter solchen Erregungen des Herzens kam ich ohne ein Gefühl des steinigen Fußpfades wieder bei jener gastlichen Hütte des Hirten an; vor Tagesanbruch waren wir von dort aufgebrochen.»
Foto W. Held
Zu dem Artikel Berg der Winde von WH: „um die steigenden Fahrradfahrer und -fahrerinnen nicht zu stören, fuhren wir auf dem Motorrad…“
Nun sind es aber hauptsächlich die Motorradfahrer und Motorradfahrerinnen Die, gerade auf Berg Straßen, so sehr stören, durch ihre Fahrweise und die Lautstärke der Motoren. Häufig sind es Stunden, die man mit dem Fahrrad benötigt, um auf so einen Berg zu gelangen Was geschieht während dieser Fahrt mit dem Fahrrad alles? Das Finden des so genannten eigenen Rhythmus, in Einklang mit dem Herzrhythmus zu gelangen, in irgendeiner Art und Weise, die Atmung zu beruhigen, sich einstellen auf wechselnde Luftverhältnisse, dazu die Sicht, die möglicherweise, je nach Witterung, immer weiter wird, dieses Hhineingleiten in eine intensive Aufmerksamkeit, die, wird man nicht gestört, fast in eine Meditation gleiten kann. Es ist ja eben nicht (nur) der Gipfel oder der Pass, den man erreichen will. Zu sagen, der Weg ist das Ziel, scheint mir ein wenig zu abgedroschen zu sein, aber es ist ein entscheidender Aspekt, wenn man mit dem Fahrrad solche Bergetappen fährt. Ich spreche hier nicht von einem sportlichen Wettkampf, sondern hier geht es um ganz andere Erfahrungen.
Gruß
Lothar Flachmann
Lieber Lothar Flachmann!
Ja, mag sein, aber es leben ca 8 Milliarden Menschen auf der Erde, die möchten da auch mal gerne gucken, nicht nur Sie.
Die anderen Menschen haben ebenso «Erfahrungen», eine «intensive Aufmerksamkeit» oder gleiten «fast in eine Meditation». Nur machen die meisten Menschen, nicht einmal im kirchlichen Bereich, solch ein Theater darum.
Herzlichen Dank für Ihre interessanten Beobachtungen und für Ihre Bereitschaft, Ihre seelischen beziehungsweise innerweltlichen oder organischen Erlebnisse mit Ihrer Umwelt zu teilen. Noch schöner wäre es aber, Sie würden solche «sozial erwünschten Narrative» nicht nur dem Goetheanum erzählen (wir kennen das bereits) sondern auch dort, wo sie vielleicht weniger sozial erwünscht sind.
Und Herrn Nikolai Fuchs besorgen wir dann noch eine bessere Ausgabe des Petrarca-Textes, der arme Bub hat wohl zum falschen Buch gegriffen. Diese Textkürzungen sind ja entsetzlich, man benötigt das Buch doch wohl in voller Länge und unzensiert.
Mit freundlichen Grüssen,
Torsten Ebersbacher