Baue selbst am sozialen Vertrauen

Gebrochene Vereinbarungen, unsichere Sozialethik, gespaltene Gemeinschaften und beschädigtes Vertrauen durchdringen heute unser soziales Leben. Das lässt eine Führung fast unmöglich werden. Die innere Freiheit des Einzelnen und die persönlichen Beziehungen sind zeitgleich grundlegend für unser Wohlbefinden. Um neue Führungsansätze zu entwickeln, ist es notwendig, unsere stillschweigenden, gesprochenen und geschriebenen Vereinbarungen anzuschauen. Ein wandelndes Sozialfeld ruft nach neuer Art von Führung.


Wenn wir erkennen, wie sehr wir voneinander abhängig sind – voneinander, von der spirituellen Welt und von uns selbst –, überwiegt die Bescheidenheit die Hybris. Zugegeben, persönliche Belange und Bedürfnisse nehmen einen erheblichen Teil unserer Zeit und unseres ‹Kopfraums› in Anspruch, aber ohne die Welt um uns herum wären wir im Grunde verlorene Seelen, die zwar körperlich überleben, aber ohne Ziel. Die Welt formt uns und verwirklicht uns. Die Welt ist auch unser Spiegel, ein Instrument der Verantwortlichkeit und das Feld, in dem und durch das wir unsere Schicksalswege finden. Vereinbarungen und Führung sind darin komplementäre Wege zu sozialen, gemeinschaftlichen und organisatorischen Schicksalen.

Jeder von uns hat eine körperliche Grenze. Unsere Wärme, Gefühle und Gedanken kennen keine solchen Grenzen, sondern sind energetisch ausstrahlend. Unsere Sinne vermitteln uns die Wechselseitigkeit zwischen Selbst und Welt. Wenn wir diese Wechselseitigkeit erweitern, setzen wir uns unweigerlich mit ihrer gemeinsamen Interaktion auseinander. Durch diesen Prozess können wir ihr Einssein erkennen und die Fähigkeit entwickeln, uns frei in ihnen und zwischen ihnen zu bewegen.

Diese Freiheit, dieses ‹Freisein›, ist ein Raum der freien Aktivität im Herzen des sozialen Lebens. Können wir atmen zwischen der Freiheit, etwas für uns selbst zu wissen, und der Erkenntnis, dass dies für jeden Einzelnen gilt? Richten wir unsere eigene Freiheit darauf aus, wahrzunehmen, was in einem anderen Menschen entsteht, schaffen wir einen sich ständig verändernden ‹Herzraum›. Er gedeiht über die Zeit. Der Ausgleich von ‹Kopfraum› und ‹Herzraum› trägt zur Ganzheit unseres sozialen Seins bei.

Hat dieses soziale Wesen Relevanz für unser Agieren in geerbten oder gewählten Gruppen, gilt es, die Art, wie eine Gemeinschaft ihre Führung findet, und das, was historisch unter ‹Führung› bezeichnet wurde, neu zu überdenken. Welches sind die Merkmale, die es einer Führung, einem Steuern sozialer Prozesse ermöglichen, auch zukünftig zu dienen?

Vertrauen und vereinbaren

Diese Frage ruft zunächst nach Selbsterkenntnis. Wenn wir einen Weg der Selbsterkenntnis finden und beschreiten, können wir uns frei und kreativ bewegen und uns in den Dienst dessen stellen, was aus der Welt auf uns zukommt. Wenn wir uns selbst nicht führen können, wie können wir dann andere führen? Wie üben wir unsere innere Freiheit so, dass wir bewusst und wirksam führen können? Führung erwächst aus den realen Umständen und Bedürfnissen, der gemeinsamen Wahrnehmung dieser Bedürfnisse und der Anerkennung individueller oder gruppenspezifischer Fähigkeiten, die diesen Umständen entsprechen. Können wir diesen Umständen wirksam begegnen aus Vertrauen und auf Grundlage von Vereinbarungen, die umfassende Werte beinhalten?

Vereinbarungen sind wesentlich für das soziale Miteinander. Sie geben Auskünfte über und regeln die Räume zwischen uns. Sie formen und erhalten auch alles, was wir gemeinsam schaffen. Sie sich bewusst zu machen und sie bewusst zu praktizieren, ist ein Weg, wie kompliziert er auch sein mag, unser soziales Leben zu heilen. Vereinbarungen entstehen in dem Moment, in dem sich Menschen gegenseitig erkennen. Selbst die Erlaubnis, zu erkennen und erkannt zu werden, ist eine Übung des gegenseitigen Einverständnisses. Einvernehmen ist kein ‹Opfer› der Freiheit, sondern eine Verwirklichung der Freiheit, die sich als Vertrauen in und Liebe zu anderen ausdrückt. Führung für eine sozialere menschliche Zukunft setzt die Fähigkeit voraus, gemeinsam Vereinbarungen zu schaffen und zu pflegen. Es ist ein Prozess der gegenseitigen Anerkennung und nicht der Machtausübung.

Verantwortungsvolles Üben unserer je individuellen Freiheit, während wir zusammen leben und arbeiten, erfordert Aufmerksamkeit für die Interessen anderer und das allgemeine Wohlergehen des sozialen Kontextes. Diese Aufmerksamkeit wird durch diszipliniertes spirituelles Bewusstsein unterstützt, das Selbsterkenntnis in Echtzeit, Empathie für andere in Echtzeit und das Zusammenkommen von Kopf, Herz und Zeit in Echtzeit umfasst.

Autorität und Macht

Die Beziehung zu und zwischen Autorität und Macht braucht heute eine Aktualisierung. Historisch gesehen liegt folgende Annahme zugrunde: Wenn ich das eine habe, habe ich auch zu Recht das andere. Die Logik dieses Verhältnisses zwischen Autorität und Macht wird jedoch durch Eigeninteresse erzeugt und aufrechterhalten. Man verkennt die Ursprünge der Autorität. Sie ergibt sich eigentlich aus der menschlichen Kreativität als einem lebendigen Prozess, der von der Vorstellungskraft zum Handeln in der Welt führt. Wenn ich einen Roman schreibe, dann gehe ich davon aus, dass das Recht zu handeln auch die Macht einschließt, andere zu beeinflussen. Ich gehe vom Privaten zum Öffentlichen über, vom persönlichen Ethos zum öffentlichen Ethos. Es ist auch möglich, dass andere meine Autorität aufgrund meiner Fähigkeiten anerkennen und mir dann die Befugnis erteilen, sie als Macht auszuüben. Gleichzeitig könnte ich auch Macht über andere ausüben, ohne dass mir Autorität verliehen wurde. Die Anmaßung solcher Autorität und Macht, etwa durch rohe Gewalt, verletzt die Freiheit des anderen und ist damit entmündigend und entmenschlichend.

Als Alternative zur Behauptung, dass die Verbindung zwischen Macht und Autorität unvermeidlich ist, kann ich Autorität beanspruchen, aber auf die damit verbundene Macht verzichten. Diese Autorität stelle ich in den Dienst der Bedürfnisse einer Gruppe oder Gemeinschaft. ‹Führung› erfordert also in Zukunft ein inneres Wissen über die eigene Beziehung zu Autorität und Macht. Und die Fähigkeit, zu erkennen, wann sie zusammen und wann sie getrennt sein sollten. Dies ist weder ein Verzicht auf Autorität noch auf Macht. Es erlaubt, dass sie zwei getrennte Funktionen sind. Jede mit ihren Gaben und Notwendigkeiten im richtigen Denken und Handeln.

Wohlergehen und Verbundenheit

Im größeren sozialen Kontext dienen Vereinbarungen als Grundlage des Rechtssystems. Gesetze gehen aus den Praktiken der Gemeinschaft hervor und sind auch Ausdruck einer gewählten Ethik. Aus dieser Perspektive erhalten unsere entstandenen Gesetze ihre Autorität durch Gemeinschaftsvereinbarungen. Die Befugnis zur Verwaltung des Gesetzeskorpus (und der Gemeinschaftsvereinbarungen) liegt ebenfalls bei der Gemeinschaft, die das Gesetz verfasst hat. Das heißt, die Gemeinschaft kann auswählen, wer am besten geeignet ist, ihre Gesetze zu verwalten. Da sich das Recht auf unsere täglichen Aktivitäten bezieht, regiert es uns auch. Daher besteht eine wesentliche Aufgabe der Führung darin, Vereinbarungen aufrechtzuerhalten und das zugrunde liegende Vertrauen zu kultivieren, das diese Vereinbarungen legitim macht. Die treibende Motivation ist das Gemeinschaftsinteresse und der Zusammenhalt der Gemeinschaft – eine Art Gesellschaftsvertrag, der auf die Verbundenheit und das Wohlergehen aller abzielt.

Im Gegensatz dazu wird eine von Eigeninteresse getriebene Macht unweigerlich versuchen, die Vereinbarungen, den Gesellschaftsvertrag oder das Gesetz des Landes zu manipulieren. Sie wird sich nicht auf einen transparenten sozialen Prozess einlassen, der die natürliche Dynamik zwischen Eigen- und Gemeinschaftsinteresse wieder ins Gleichgewicht bringt. Aus dieser eigennützigen Motivation heraus werden Handlungen in der Regel im Hinblick auf die Konsolidierung der Macht gerechtfertigt. Die Macht konzentriert sich mehr auf die Individuen, die das System betreiben, ungeachtet ihrer wahren Autorität, und weniger auf die Individuen, die das Ganze der Gemeinschaft tragen. Die derzeitige politische Landschaft, insbesondere in den USA, bewegt sich beispielsweise in einem Macht- und Autoritätsgefüge, das die innere Freiheit missachtet und wenig Rücksicht auf eine gemeinsame Grundlage der Wahrheit nimmt. Ein derartiges Eigeninteresse steht im Gegensatz zu einem freien assoziativen Prozess. Ein solcher Prozess würde eine ethische Grundlage für die Führung und die Gemeinschaft bilden, für die eine Führung verantwortlich ist und der sie Rechenschaft ablegen muss.

Neuer Gesellschaftsvertrag

Gegen die Konsolidierung der Macht müssen wir unsere Fähigkeit zu sozialen Beziehungen jenseits der von uns gewählten Kreise Schritt für Schritt reformieren. Und zwar so, wie sich die Aufrichtigkeit aus den ersten zaghaften Schritten eines Kleinkindes in die Fähigkeit zu laufen entwickelt. Jede neue soziale Begegnung ist ein Prozess der Suche nach innerem Gleichgewicht und nach Stabilität. Ohne dieses grundlegende Verständnis ist es fast unmöglich, sich voll und ganz auf den anderen einzulassen. Ist der Beziehungsprozess erst einmal geerdet, ist er in der Tat durch das gleichzeitige Interesse an der inneren Ausrichtung und der äußeren Welt motiviert. Führung erfordert die Anerkennung dieser Notwendigkeit der Beziehungserneuerung. Führung braucht ein Bewusstsein dafür, wie man Vertrauen und lebendige Vereinbarungen kultivieren kann, die Engagement als Entdeckung und nicht als Wettbewerb unterstützen.

Dieser Ansatz für eine Führungsrolle ist sehr anspruchsvoll, und unsere Kultur bereitet die Menschen kaum darauf vor. Es gibt wenig Unterstützung für Investitionen in das soziale Kapital und die informierte Bürgerschaft. Sie sind jedoch notwendig, um eine solche Führung und solche Vereinbarungen in die Tat umzusetzen. Der Aufbau einer sozialen Zukunft, die von einer gesunden Dynamik zwischen der Freiheit des Einzelnen und der Gesamtheit der Vereinbarungen lebt, die die Gleichheit der Gemeinschaft anerkennt, ist sowohl idealistisch als auch machbar. Wir müssen uns Zeit nehmen für vertrauensvolle Beziehungen, die Individuen freisetzen, die mit, für und durch das Ganze stehen können. Kein Wunder, dass es schwer ist, willige Führungspersönlichkeiten zu finden, die verstehen, dass Weisheit von der ganzen Gemeinschaft ausgeht. Führen ist die Fähigkeit, diese Weisheit zu erkennen und zu ihr beizutragen. Könnte dies ein neuer Gesellschaftsvertrag sein, der den Prozess der Führung verfasst und an seiner Macht teilhat?


Foto Jose Martin Ramirez Carrasco

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