Die anthroposophische Ärzteschaft.
In der Hörsaalruine des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité präsentierte der Schwabe-Verlag den ersten Band ‹Anthroposophie und Nationalsozialismus› zur Geschichte der anthroposophischen Ärzteschaft während der Zeit des Nationalsozialismus. Das Buch mit dem Titel ‹Die anthroposophische Ärzteschaft› beleuchtet die komplexen Dynamiken, mit denen die Ärzteschaft im nationalsozialistischen Regime konfrontiert war.
Verfasst wurde dieses Werk nach acht Jahren Forschung von Peter Selg, der Historikerin Susanne H. Gross und dem Historiker Matthias Mochner. Es bietet eine detaillierte, auf Quellen basierende Analyse, auch auf der Auswertung von Hunderten von Akten aus Dutzenden Archiven. Die Recherche erfolgte mit Beratung und Begleitung von zwei Medizinhistorikern der Charité. Das Buch zeigt die Vorgeschichte der Anthroposophischen Medizin ab 1920 sowie die Reaktionen der anthroposophischen Bewegung auf die Machtübernahme der Nationalsozialisten auf. Es wirft einen Blick auf das Verhalten des NS-Regimes gegenüber der Anthroposophischen Gesellschaft, einzelnen Berufsgruppen und Institutionen. Insbesondere wird das Verhalten der anthroposophischen Ärzteschaft in Deutschland untersucht, einschließlich ihrer Eingliederung in die Reichsarbeitsgemeinschaft für eine Neue Deutsche Heilkunde. Interessantes Ergebnis: Die Prozentraten der Mitgliedschaften in NS-Organisationen lagen für die anthroposophische Ärzteschaft weit unter dem Durchschnitt der deutschen Ärztinnen und Ärzte. Für die NSDAP zum Beispiel betrug sie 10 Prozent, hingegen waren in der allgemeinen deutschen Ärzteschaft über 40 Prozent NSDAP-Mitglieder. Aber auch in dieser kleinen Gruppe kam es zu schwerwiegenden Verfehlungen, die beschrieben werden.
Die Betrachtung der Jahre 1933 bis 1945 zeigt alle Schattierungen zwischen Kollaboration und Widerstand auf. Am Ende der Studie geht es um die dramatischen Fluchtwege anthroposophischer Ärzte und Ärztinnen jüdischer Herkunft. ‹Anthroposophie und Nationalsozialismus – Die anthroposophische Ärzteschaft› bietet eine aufschlussreiche Analyse, die die Komplexität der historischen Realität einfängt. Es ist ein wichtiges Werk für Historikerinnen, Mediziner und all jene, die sich für die Geschichte der Medizin und Ethik interessieren.
Bei der Präsentation des Buches am 23. Mai beschrieb Peter Selg die Methodik und die Ergebnisse der Studie. Es folgte ein Gespräch mit Thomas Beddies (Charité), Astrid Ley (Gedenkstätte Sachsenhausen) und Florian Bruns (Institut für Geschichte der Medizin, Universität Dresden). Die Mahle-Stiftung, die Software-AG-Stiftung, die Christophorus-Stiftung, die Hauschka-Stiftung, der Rudolf-Steiner-Fonds für wissenschaftliche Forschung sowie eine Einzelperson trugen dazu bei, die Studie und die Publikation des Werkes zu finanzieren.
Foto Schwabe-Verlag