Leserbrief zum Interview mit Jost Schieren ‹Die Anthroposophie und ihre Kritiker›, Goetheanum Nr. 48, 29.11.2019
Die für mich wichtigste Erkenntnis auf meinem Lebensweg mit der Anthroposophie war vor einigen Jahren, dass Anthroposophie grundsätzlich nichts Ausschließendes hat. Mit Anthroposophie kann ich alles umfassen, was den Menschen, die Welt und die Entwicklung des Menschen mit der Welt ausmacht: alles seit der Schöpfung, alles zwischen Luzifer und Ahriman und noch weit darüber hinaus und alles in der Gegenwart bis alles in der Zukunft.
Dem widerspricht nicht, dass ich als individueller Mensch mit Anthroposophie als Erkenntnisweg Dinge oder Verhältnisse für mich begründet (temporär) ausschließen kann, weil ich sage, ich will diese (gerade) nicht oder ich will diese so nicht. Ich kann das qua Übereinkunft bedarfsweise auch in einer Gruppe für das Miteinander in dieser Gemeinschaft so vereinbaren – aber auch dieses nur temporär und mit immer wieder erforderlicher Überprüfung der Entwicklung.
Achtsam zu sein, wie ich Dinge für mich ein- oder ausschließe, ist dabei eine wichtige Herausforderung. Die Metamorphose der Idee lässt sich so aufzählen: Idee (kommt an mich heran) – Ideal (und wird zu meinem Leitbild) – Ideologie (das ich projiziere auf Welt und Mensch) – Dogmatismus (und schließlich für mich und andere als verbindlich erkläre) – Fanatismus (und die Verbindlichkeit absolutistisch und totalitär durchzusetzen versuche).
Das ist in der Anthroposophie so nicht veranlagt. Aber für den Menschen, an den sie als Idee herantritt, kann sich das Verständnis für Anthroposophie so entwickeln und er läuft Gefahr, zumindest temporär, so damit umzugehen. (Ich weiß, wovon ich hier schreibe!)
In diesem Sinne wünsche ich der Arbeit für die ‹Steiner Studies› und dem Miteinander im Beirat viel Erfolg.
Das Interview mit Jost Schieren können Sie hier lesen.