Dass der materialistische Reduktionismus wissenschaftlich unhaltbar ist, muss nicht mehr nachgewiesen werden. Wie es zum Beispiel der Nobelpreisträger Robert B. Laughlin erklärt, hat die Physik des 20. Jahrhunderts feststellen können, dass die Gesetzmäßigkeiten der Partikel der Materie die sichtbare Wirklichkeit nicht erklären können. Es müssen noch andere Gesetze – die sogenannte ‹Emergenz› oder Selbstorganisationsprinzipien – angenommen werden, die die Welt gestalten. Denn das Ganze ist mehr als die Summe der Teile – das ist jetzt bewiesen.
Auf philosophischer Ebene haben auch bedeutsame Stimmen gezeigt, wie der materialistische Reduktionismus als Weltanschauung abgelehnt werden muss. Akademiker wie Thomas Nagel oder Mario Beauregard zeigen, wie sich materialistische Erklärungsmuster als ungültig erweisen. Selbst Karl Popper, der mit seinen Kriterien der Wissenschaftlichkeit (der sogenannten Falsifizierbarkeit) weltweit als Referenz gilt, bekämpfte den Materialismus und die damit verbundene Idee, dass der Mensch eine Maschine sei. Wir leben in einer Zeit, wo auf der einen Seite der Materialismus theoretisch überwunden ist, aber auf der anderen Seite die aus ihm entstandenen Technologien die Zivilisation erobert haben.
Vor diesem Hintergrund werden zwei Fragen besonders akut: Wie kann eine Wissenschaft des Nicht-Mechanischen praktiziert werden? Und: Wie kann der menschliche Geist sich davor hüten, von der mechanisierten Welt verschlungen zu werden? Zwei Fragen, die vielleicht nur eine sind. Wenn die anthroposophische Arbeit diese Situation ernsthaft berücksichtigt, wird sie sich weniger darum kümmern, eine besondere Weltanschauung zu verteidigen, sondern sich vielmehr dafür interessieren, besondere Orte der geistigen Fähigkeitsbildung zu erschaffen, um diesen Problemen entgegenzutreten.
Titelbild: Léonard Veuthey, Sceptique, Tusche auf Papier, 2018