Vesna Forštnerič Lesjak und Matjaž Turinek erzählen, was sie mit Hoforganismus meinen und wie sie ihn in der Praxis verwirklichen.
Matjaž Turinek Ein Hof ist unabhängig, selbstständig, interaktiv mit den Kunden, der Umwelt, dem Kosmos, den Pflanzen und Tieren. Jeder biodynamische Hof ist anders darin und damit. Das Leben eines Hoforganismus gleicht den Lebensphasen des Menschen. Er hat eine Geburt, eine Jugend, ein Erwachsensein, aber auch ein Ende. Vesna, wie viele Inkarnationen hat dein Hof schon durchgemacht?
Vesna Forštnerič Lesjak Ich komme von einem Hof, auf dem unsere Vorfahren schon im 16. Jahrhundert lebten, immer selbstständig und unabhängig. In der Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie waren wir der sogenannte ‹Freie Hof›, frei von Kirche und Adel, und der Hof wurde immer an die Frauen übertragen. Meine Fragen heute sind: Wie kann man den Hof als lebendigen Organismus begreifen und was bedeutet das eigentlich? Er soll auch noch eine Individualität sein, sagte Steiner. Diese zwei Begriffe (Organismus und Individualität) sind nicht einfach da, sondern werden gestaltet und verwirklicht durch Menschen. Ein Organismus ist ein integratives, biologisches System. Die Struktur des Ganzen bestimmt die Tätigkeit einzelner Teile und ist viel mehr als nur die Summe einzelner Teile. Das zweite Merkmal eines Organismus ist die Interdependenz, die gegenseitigen oder wechselseitigen Abhängigkeiten. Das heißt, alles ist zugleich Ursache und Wirkung für etwas anderes. Alle biochemischen Prozesse sind Kreisläufe, alles ist Wechselwirkung. Das hat Bedeutung für die Individualisierung des Hofes. Das dritte Merkmal eines Lebewesens ist Entwicklung, als Wachstum, Fortpflanzung und Tod. Damit hängen die Verjüngungsprozesse am Hof zusammen, wofür zum Beispiel der Komposthaufen steht. Durch Kreisläufe werden also diese Hoforganismusfunktionen aufrechterhalten. Dann gibt es eine Zeitautonomie und Handhabung von Energie als zwei weitere Merkmale eines lebendigen Organismus, dazu noch Sensibilität und Anpassungsfähigkeit. Jedes Lebewesen bleibt im Austausch mit der Umgebung, so wie unsere Haut, die permeabel ist. Ein Lebewesen kann auch seine inneren Zustände wahrnehmen, ist sensitiv für Reize der Außenwelt. So emanzipiert sich der Organismus auf einer Seite und verbindet sich gleichzeitig mit der Umwelt auf der anderen Seite. Das tut ein Hof auch, deshalb ist er ein Organismus. Man kann ihn am besten schützen durch Vielfalt. Evolution ist weit mehr als nur Entwicklung. Sie kann auch Vernichtungsprozesse beinhalten, wo etwas ganz Neues entsteht, was sich vorher nicht erahnen lässt. Wie steht es mit den Inkarnationsprozessen auf deinem Hof, Matjaž?
Matjaž Unser Hof hat erst vor 17 Jahren begonnen, als Idee und mit der Frage, was wir anbauen würden. Das ist gereift bis zur Geburt des Hofes. Begonnen als CSA (solidarische Landwirtschaft) mit drei Kunden, haben wir heute nach 12 Jahren 150 Kunden und 18 Hektar Land. Intensive Arbeit gehört dazu, um den Geist auf die Erde zu bringen. Als Bauer muss man Geduld haben. Man muss Vertrauen haben, sich dem Hof hingeben und gleichzeitig die Hoffnung beibehalten, man muss positiv darauf schauen, obwohl es manchmal schwierig ist. Im sozialen Organismus des Hofes hat Gemeinschaftsbildung viele Ebenen, sei es mit Freunden, Kunden, Kollegen oder geistigen Wesenheiten, die mit dem Hof verbunden sind. Wichtig ist es, offen und ehrlich miteinander zu kommunizieren, ohne versteckte Agenda im Hinterkopf. Wir fragen uns auch immer wieder: Sind wir Sklaven des Hoforganismus oder Mitgestalter, Auszubildende, Lehrlinge oder gar Langzeitfreiwillige? Beobachten und Staunen haben wir zur Verfügung. Wir tun, was in unserer Macht steht. Den Rest überlassen wir der Schöpfung. Immer wieder beobachten wir, stellen zusammen Fragen, tauschen uns aus, reflektieren. Immer aufs Neue, wie in einer Spirale. Es ist wichtig, dass man sich Menschen sucht, die andere Blickwinkel schaffen können. Wichtig ist es auch, dankbar zu sein: für die Menschen, die helfen, den Hof zu gestalten, zu pflegen, weiterzuentwickeln und damit zukunftsfähig zu machen. Das Essenzielle für mich ist, dass wir Beziehungen schaffen, nicht nur zwischenmenschliche Beziehungen, aber auch solche mit dem Hoforganismus.
Titelbild Vesna Forštnerič Lesjak, Foto: Xue Li