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Flankengott

Wer bei der diesjährigen Fußballweltmeisterschaft an der Menschheit verzweifelt, dürfte dort immerhin staunen über ein Ritual: Ein Stürmer, der einen sozusagen lieb gemeinten Pass bekommen hat, der dann doch unerreichbar war, streckt dem Kollegen sofort den hochgereckten Daumen hin: Danke, dass du es versucht hast! Auch wenn ich damit nichts anfangen konnte, ich wusste es zu schätzen!


Eine Flanke ging meilenweit ins Aus, doch das Feedback, das der Flankengott erhält, ist ein dickes Lob. Bei Stürmern, die auf gute Bälle in die Tiefe angewiesen sind, ist Loben ein empathischer Reflex, auch wenn sie, wie es im Fachjargon heißt, umsonst geschickt wurden. Was ist der wahre Grund für den Gefällt-mir-Daumen? Nun, ständig wird man beobachtet und von Besserwissern kommentiert. Nicht nur dem Trainerurteil ist man ausgeliefert, nein, Millionen von Christen vor dem Bildschirm sehen deinen missratenen Schuss in die Wolken. Eine solidarische Sensibilität durchglüht jeden Kicker, er versetzt sich in den Nächsten hinein, er will positiv sein: Ich würdige die Intention! Dass ich den Ball nicht verwertet habe, ist kein Vorwurf an dich! Ihr Zeugen im Netz, haltet mich nicht für moralisch fragwürdig!

Gewiss haftet der Empathie daher auch etwas Populistisches an. Ist der Daumen eine dekadente kultische Geste? Das Gegenbild zum sterbenden Schwan, der zur Aufführung kommt, wenn ein Spieler nur kurz berührt worden ist, sich aber gleich theatralisch fallen lässt und einen Strafstoß erschwindeln will? Wir verstehen sofort die theologische Dimension. Der am Trikotärmel gezupfte Angreifer wird in Versuchung geführt! Der fußballkompetente Papst schlug ja seinerzeit vor, das Vaterunser neu zu übersetzen. Er wurde zurückgepfiffen. Denn insofern auch der satanischste Schiedsrichter Gott diene, könne Gott sehr wohl durch Unterlassung in Versuchung führen, Videobeweis hin oder her, abgesehen davon, dass er es prinzipiell schon tat, wie bei Abraham. Das wahre Problem ist indes: An esoterische Wortlaute kann man nicht philologisch herangehen. Sind denn die konkreten Textvorschläge dieser Ein-Mann-AFD, der päpstlichen Alternative pro Dominus, überzeugend? Wir rufen Franziskus empathisch zu: Deine Initiative zielt ins Aus, aber wir würdigen die Intention!


Bild: Abigail Keenan, Unsplash

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