Begegnungen mit Sterbenden und der scheinbar begrenzten Möglichkeit, sich um deren Seele zu sorgen.
Was ist nach langen, leidgeprüften Lebensläufen leicht zu erinnern? Und was drängt zur Oberfläche und kommt nur unter Schmerzen ans Licht? Wer viel mit Todkranken sprechen konnte, der kennt die wunderbar frei strömenden Berichte voller Dankbarkeit und produktiver Resignation ebenso wie bedrückende Sprachlosigkeiten.
Der langjährige Krankenaus- und Hospizseelsorger Hans Bartosch zeichnet mit leichter Hand eine Fülle von Episoden und Dialogen am Krankenbett auf. Seinen beträchtlichen Erfahrungsreichtum stellt er in diesem Mosaik kein bisschen zur Schau. Im Gegenteil: Er verhehlt nicht, wo er einmal aus fehlender Geistesgegenwart scheitert.
In diesen (in Details verfremdeten) Gesprächsaufzeichnungen kommen erschütternde Kriegs- und Kindheitstraumata ebenso vor wie die Folgen der deutschen Teilung und der Wende von 1989 (Bartosch arbeitet im Magdeburger Raum).
Der Autor ist wohl kein Anthroposoph, auch wenn er die anthroposophische Sozialtherapie kennt. Seine eigenen Vorstellungen, welche Schritte dem Menschen nach dem letzten Atemzug bevorstehen, zeichnen sich ebenfalls kaum ab.
Er schreibt: «Donnerstag, 28. August 2014 Ja, aller Reichtum aller Seelen … Manchmal verlockt es mich, zum Ende eines zwei- bis dreistündigen Rundganges im Krankenhaus mir eine innere Schnur zu spannen zwischen den Orten, den Professionen und den Themen derjenigen Menschen, die ich soeben besucht habe. Eigentlich werden es dann jeweils drei Schnüre: Orte. Berufe. Themen. Aller Reichtum aller Seelen. Seelsorge kann ihn Tag für Tag für einen Zentimeter heben und lupfen.»
Den anthroposophischen Rezensenten beglückt es, mit welcher Klarheit, aber auch freilassender Toleranz dieser Seelsorger Sterbenden hilft, ihre eigene Rückschau so weit vorzubereiten, wie es jeweils möglich ist, und sich mit diesem ‹Möglichen› zu bescheiden. ‹Was noch erzählt werden muss› spiegelt als Titel das drängende Gefühl Sterbender, aber keinen moralischen Zwang.
Rudolf Steiner schildert die innere Gesetzmäßigkeit der Schritte, die nach dem Tode bevorstehen, und dies kann sehr trösten. Doch in der letzten Phase des Erdenlebens werden solche Gesetze oft nicht so deutlich, sondern man steht vor der verwirrend individuellen Lage eines Menschen, der von unaufgelösten Schicksalen und einem völlig anderen Zeiterleben geprägt wird. Wer da all seine Ruhe und Geduld zusammennimmt, um dem Sterbenden seine Nähe nicht zu verweigern (‹helfen› wird da oft als zu großes Wort empfunden), der tut mehr Gutes, als er vielleicht aktuell bemerkt.
Dieses Buch lässt den Leser im schönsten Sinne ‹ratlos› zurück, indem es keinen Leitfaden gibt, aber zu Begegnungen ermutigt.
Hans Bartosch, Was noch erzählt werden muss – Zeitgeschichte am Krankenbett. Info3-Verlag Frankfurt/Main 2018
Titelbild: Aus dem Buchcover