Eine Rezension des Buches ‹«Nichts ist, wie es scheint» – Über Verschwörungstheorien› von Michael Butter.
Es ist ein Ritterschlag der besonderen Art, wenn ein Buch von der Bundeszentrale für politische Bildung als Sonderausgabe angeboten wird. Just in dem Moment, als diese Rezension fertig war, wurde Michael Butters Arbeit mit dieser Auszeichnung bedacht. Die Studie will ein breiteres Bild von einem Phänomen zeigen, das unsere Gesellschaft im Allgemeinen wie die anthroposophische Landschaft im Speziellen aktuell bewegt. Man darf hoffen, dass sie Verbreitung finden wird.
Michael Butter ist ein junger Literatur- und Kulturwissenschaftler und lehrt an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen. Er leitet ein europäisches Forschungsprojekt zu Verschwörungstheorien. Es ist anzunehmen, dass eine Gleichschaltung dieses Projektes durch irgendeine Verschwörung von offizieller oder inoffizieller Seite doch immer noch zu erheblichen Aufständen in der akademischen Welt führen müsste. Es dient dem Bestreben, ein Licht der Objektivität in die Sache zu werfen, und das gelingt ganz unspektakulär und meist sogar noch sehr unterhaltsam.
Michael Butter nimmt jeden der Beteiligten ernst und kommt völlig ohne demagogische Seitenhiebe aus, anders als so mancher der Protagonisten der von ihm untersuchten Szene. Er bleibt immer nüchtern, ergebnisoffen und hoffnungsvoll, selbst wo er am Ende warnen muss vor den Gefahren, die von Verschwörungstheorien ausgehen. Er sieht in ihnen ein Symptom für eine tiefer liegende Krise der demokratischen Gesellschaften, nicht zuletzt durch die Spaltungstendenzen in ihrem Gefolge, die nicht unbedingt politisch-ideologischen Linien folgen, sondern eher in einer völlig unterschiedlichen Annahme darüber urständen, wie Geschichte und Gesellschaft funktionieren. Ein eher simplizistisches Bild der Welterklärung begegnet einer zunehmenden Ratlosigkeit, die sich in einer immer komplexer werdenden Gesellschaft breitmacht und letztlich damit zu tun hat, dass wir immer besser durchschauen, wie wenig wir durchschauen – und dass es viele Ebenen gibt, auf denen sich Wirklichkeit ausbildet. Nicht immer sind es die bewussten Willensimpulse der Menschen, die das Schicksal der Welt lenken. Als Anthroposoph könnte man sagen, das Denken der Verstandesseele, in der es immer um Ursache und Wirkung geht, wird abgelöst von einer ins Seelenleben drängenden Wirklichkeit der Bewusstseinsseele, in der wir realisieren müssen, wie vielschichtig die Prozesse sind, die unsere Lebensrealität formen. Hier könnte man die Anführungszeichen im Titel des Buches getrost weglassen, denn tatsächlich ist nichts, wie es scheint! Butter philosophiert daher schon am Ausgangspunkt des Buches darüber, dass es am besten wäre, wenn die Anführungszeichen periodisch erscheinen und verschwinden würden … Ein großartiges Beispiel des ‹Sowohl-als-auch› des Zeitalters der Bewusstseinsseele!
In fünf Kapiteln und einem Schlusswort beschreibt Butter den Stand der Forschung zu verschiedenen Fragen: Was ist eine Verschwörungstheorie? (Es gibt sie tatsächlich, obwohl das Wort mitunter auch als Totschlagargument, als Delegitimation, benutzt wird. Von innen oder außen, unten oder oben, im Großen oder Kleinen …) Wie argumentieren Verschwörungstheoretiker? (Sie erzählen die Geschichte vom Ende her, das sie oft selbst einseitig interpretieren: Derjenige, der profitiert, muss notwendigerweise der Urheber eines Kausalzusammenhangs sein.) Warum glauben Menschen an Verschwörungstheorien? (Das wohl interessanteste Kapitel – kurz gesagt: Man fühlt sich besser, wenn man weiß, warum etwas geschieht und wer ‹schuld› ist, kann sich selbst davon abgrenzen und sich zu den ‹Guten› gehörig fühlen, den ‹Wissenden›, den ‹Eingeweihten›.) Wie haben sich Verschwörungstheorien historisch entwickelt? (Früher waren sie Staatsräson, erst nach dem Zweiten Weltkrieg setzt die Entmystifizierung und Stigmatisierung ein, in jüngster Zeit feiern sie dank der Filterblasen des Internets fröhliche Urstände, was dann auch das Thema des fünften Kapitels ist: Was geschieht zurzeit?). Eingeschoben sind Fallstudien zu einzelnen sehr unterschiedlich eingeordneten Verschwörungstheoretikern, -ideologien, -gerüchten – Eva Herman, Daniele Ganser, Alex Jones, der Mythos von der jüdischen Weltverschwörung und Donald Trump. Aufgeräumt wird mit dem Mythos, Verschwörungstheorien wären nur etwas für Verlierer. Thema ist auch der Zusammenhang mit Propaganda und Kommerz. Auch die Frage der ‹echten Verschwörungen› (die es ohne Zweifel auch gab und gibt) und ihr Verhältnis zu den daraus entstandenen Verschwörungsmythen spielt immer wieder eine Rolle. Am Schluss geht es um die Frage, was geschehen kann und wie man den Gefahren begegnet, die von Verschwörungsideologien ausgehen.
Entstanden ist diese Studie u. a. in der entsprechenden Arbeit in der Sommerakademie der Studienstiftung des deutschen Volkes, während der Studierende, die sich als exzellente und kreative Denker hervorgetan haben, immer weiter fragen. Sie würden sich vermutlich, wie viele junge Leute, nicht zufrieden geben mit einfachen Erklärungen. Rudolf Steiner hätte das vielleicht gefallen, auch wenn er wohl noch einen Schritt weiter gegangen wäre als der nüchterne Wissenschaftler. War er selbst ein Verschwörungstheoretiker? Steiner kommt dankenswerterweise in dem Buch gar nicht vor, denn das Vorurteil haftet ihm zu Unrecht an und begünstigt bis heute, dass auch so manche Menschen aus anthroposophischen Kreisen empfänglich sind für Verschwörungstheorien. Dabei spricht er von ganz anderen Ebenen der Geschichtsbildung als die heutigen Protagonisten, aber dafür müsste man noch etwas tiefer schürfen, als eine akademische Studie es leisten kann. Die äußerlich fassbare Ebene – historisch, politisch, anthropologisch, psychologisch– beschreibt Michael Butter sehr verdienstvoll. Das Weitere bleibt allerdings auch bei ihm ‹Zufall›, unerklärbar, zu komplex, als dass es verständlich wäre. Aber ist es nicht vielleicht gerade der Drang, tiefergehende Erklärungen zu finden, der so manchen auf den Holzweg des einfach gestrickten Weltbilds der Verschwörungstheoretiker führt? Warum ist der Anhänger der Verschwörungsideologien dann so leicht zufriedenzustellen? In Wirklichkeit ist es doch noch einmal ganz anders, als es scheint. Weder finstere Mächte auf Erden noch im Himmel allein können alles erklären, denn der Mensch, die Menschen, alle Menschen gehören mit ihrem Verhalten, ihren Gesinnungen, ihren Gedanken zur heutigen Wirklichkeit unabdingbar dazu, haben Anteil an dem, was in den Hierarchien entsteht. Auch ich und du. Nichts ist, wie es scheint, es ist noch vielfältiger, noch schwerer zu verstehen, aber doch nicht nur zufällig. Die schwer auszuhaltende Komplexität der Bewusstseinsseele ist eine Herausforderung dazu, im geistig-seelischen Bereich aktiv zu werden, statt in Schwarz-Weiß-Denken zu verfallen. Michael Butter macht Mut, dort weiterzumachen, wo er aufhört!
Wer heute immer noch nicht verstanden hat, dass die in den letzten Jahren als „Verschwörungstheoretiker“ beschimpften Menschen sehr oft recht hatten und haben, weil deren Aussagen wahr sind und wurden, hat spätestens aus der unsäglichen Pandemiepolitik nicht viel gelernt und verstanden.
Herr Daniele Ganser beispielsweise hält sich an Fakten, die den veröffentlichten Narrativen widersprechen. Letztere reagieren mit den üblichen Beschimpfungen (Querdenker, Rechtsradikaler, Antisemit, Verschwörungstheoretiker, Schwurbler…) und ihren bezahlten gelenkten Faktenfüchsen und Faktencheckern, die nicht mit Fakten glänzen.
Bevor man jene Menschen kritisiert und sie in Schubläden steckt, sollte man sich zumindest einmal mit den Fakten ihrer Aussagen auseinander gesetzt haben. Das aber tun die wenigsten, sie vertrauen der veröffentlichten Meinung der Leitmedien und meinen, eine Erkenntnis zu haben und mitsprechen zu können. Erkennen nicht, dass die Leitmedien es heute sind, die einseitige unwahre Propaganda täglich verbreiten.
Nichts ist wie es scheint. Ja, so ist es.