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Aus der Kraft des Scheiterns

Auf der Suche nach einem neuen Menschenbild: Francis Bacon und Alberto Giacometti in der Fondation Beyeler. Beide Künstler verkörpern in ihrem Leben und Werk, wenn auch auf verschiedene Weise, grundlegende Aspekte des Menschseins.


Im Winter 2016/17 war in Frankfurt die Ausstellung ‹Giacometti – Nauman› zu sehen, in der zwei Künstler, die sich nie begegnet sind und sich auch nicht aufeinander bezogen haben, auf produktive Weise miteinander konfrontiert wurden. (1) Bei Francis Bacon (1909–1992) und Alberto Giacometti (1901–1966), die gerade zusammen in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel gezeigt werden, ist es anders: Sie sind sich spätestens 1962 in London anlässlich von Bacons Ausstellung in der Tate Gallery nähergekommen, und 1965, als Giacometti dort ausstellte, wurde diese Begegnung vertieft. Ernst Beyeler war mit beiden bekannt, hat als Galerist viele ihrer Werke vermittelt, und auch in seiner eigenen Sammlung sind beide Künstler prominent vertreten.

Auch die gegenwärtige Gegenüberstellung ist in beide Richtungen erhellend, verkörpern beide Künstler doch, wenn auch auf verschiedene Weise, grundlegende Aspekte des Menschseins in ihrem Leben und Werk, getrieben von einer grenzgängerischen Obsession. Währenddessen ist Bruce Nauman ganz in der Nähe anwesend − mit der großen Retrospektive im Münchensteiner Schaulager (bis 26.8.2018).


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Im Eingangsbereich zur Ausstellung empfangen den Besucher großformatige ausdrucksstarke Fotos von Graham Keen aus dem Jahr 1965, die die Künstler miteinander im Gespräch zeigen: Giacometti gleicht mit seinem hageren, scharf geschnittenen Profil durchaus manchen der plastischen Köpfe, wie er sie vor allem von seinem Bruder Diego modelliert hat. Auch Bacons dagegen kindlich voll wirkendes Gesicht scheint dessen Bildern entstiegen zu sein. Beide wirken auf ihre Weise irgendwie zeitlos – ewig alt und ewig jung zugleich.

Beider Werk dreht sich um die menschliche Gestalt und das menschliche Antlitz – was in der Nachkriegszeit, unter dem Einfluss vor allem des abstrakten Expressionismus, keineswegs selbstverständlich war. Giacomettis Gestalten sitzen, stehen oder schreiten, während Bacons voluminöse Figuren oft auch liegen. Dabei verbindet sie ein gemeinsames Modell: Giacometti lernte die englische Künstlerin Isabel Nicholas (später Raws­thorne) 1935 kennen und formte 1937/38 nach ihr zwei plastische Köpfe und einige Porträtzeichnungen. Für Bacon wird sie in den 60er- und 70er-Jahren zu einer seiner engsten Freundinnen, die er mehrfach porträtiert. Sie ist es wohl auch, die die beiden näher zusammengebracht hat. Darüber hinaus gibt es weitere Persönlichkeiten, die mit beiden sehr verbunden waren.

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Die Gestalten von Bacon wirken auf mich, als wenn sich in ihnen die Seele durch den sie dominierenden Leibesrumpf kämpft, dem sie sich, ihn dabei verdrehend und verzerrend, zu entwinden sucht.

In beider Leben spielt der Tod eine existenzielle Rolle: Während Giacometti der Tod schon in jungen Jahren leibhaftig begegnet ist – er hat dieses prägende Erlebnis 1946 in dem Schlüsseltext ‹Der Traum, die Sphinx und der Tod von T.› eindrucksvoll beschrieben –, ist Bacon, der zeit seines Lebens an chronischem Asthma litt, mit dem Tod zweier seiner Lebensgefährten konfrontiert. Den Suizid von George Dyer hat er u. a. in dem in der Ausstellung gezeigten Triptychon ‹In Memory of George Dyer› (1971) verarbeitet.

So unterschiedlich ihre Auffassung vom menschlichen Leib auch ist, so ist sie bei jedem von diesen Grenzerfahrungen geprägt. Ja, aus beider Werken scheint ein ewiges Scheitern zu sprechen, eine Art Todessehnsucht, die sich auch in ihrer obsessiven Art und Weise, zu leben, zu lieben und zu arbeiten, zeigt, immer schonungslos gegen sich selbst. In nächtlichen Gesprächen haben sie sich über ihre künstlerische Praxis und ihre Überzeugungen ausgetauscht, während «Bacon unmäßig viel trank und Giacometti unmäßig viel rauchte» (2).

Doch während der Lebemann Bacon ganz auf Spontaneität setzte und – meist von Fotos ausgehend – seine Leiber willkürlich erscheinenden Metamorphosen unterzog, war Giacometti, ein ausdauernder Zeichner, noch im plastischen Arbeiten getrieben von der Suche nach Wahrheit, die ihn das konkret in endlosen Sitzungen vor ihm sitzende Modell manchmal vergessen ließ. Bacons Bilder sind oft von einer grellen Farbigkeit, während Giacometti die Grauvariationen meisterlich beherrschte.

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In Giacomettis Werken, so mein Eindruck, verliert der Leib durch die ihn buchstäblich tief prägende Formung von außen zunehmend seine Innerlichkeit und gerinnt dabei zum Konzentrationspunkt einer den Leib umschließenden unsichtbaren, aber raumwirksamen Aura.

 Die Gestalten von Bacon wirken auf mich, als wenn sich in ihnen die Seele durch den sie dominierenden Leibesrumpf kämpft, dem sie sich, ihn dabei verdrehend und verzerrend, zu entwinden sucht. Dabei blitzt in den Augen immer wieder eine Wachheit auf, die das Tier im Menschen zu durchschauen scheint und den Leib zum sich verselbstständigenden Doppelgänger werden lässt.– In Giacomettis Werken, so mein Eindruck, verliert der Leib durch die ihn buchstäblich tief prägende Formung von außen zunehmend seine Innerlichkeit und gerinnt dabei zum Konzentrationspunkt einer den Leib umschließenden unsichtbaren, aber raumwirksamen Aura. Was in die äußere Erscheinung tritt, scheint im Wesentlichen Kopf zu sein, so klein dieser manchmal auch auf den überlangen Rümpfen sitzt.

Trotz dieser Gegensätzlichkeiten finden sich auch auffallende Übereinstimmungen: Beide (insbesondere aber Giacometti) ursprünglich dem Surrealismus verpflichteten Künstler binden ihre Figuren immer wieder in käfigartige Strukturen ein, wobei Bacon diesen Kunstgriff offenbar von Giacometti übernommen hat. Zwar sprengt bei ihm gelegentlich die Form diesen Rahmen, doch der Schrei der von Velázquez entlehnten Papst-Figur, zum Beispiel, scheint mir nicht über diesen herauszudringen. Für Giacomettis Figuren dient der Rahmen dagegen als Mittel zur Konzentration, die wie in einer Gegenbewegung den umgebenden Raum erfahrbar werden lässt. Nicht nur die lange Nase durchstößt demonstrativ den Käfig, sondern auch der Blick der durch zigfache Überzeichnung unkenntlich gewordenen Augen der von ihm Porträtierten richtet sich in unbestimmte Weiten.

So werden zwei unterschiedliche Formen von Stille erfahrbar, die die beiden Schwellen des Lebens berühren. Und zur Todessehnsucht gesellt sich stets auch ein Geburtsschmerz. In der Zusammenschau beider Werke wird ein Drittes erahnbar: der neue Mensch.


(1) Vgl. Stephan Stockmar: ‹Eine Plastik ist kein Objekt, sie ist eine Fragestellung. Alberto Giacometti und Bruce Nauman. Zur Produktivität einer Konfrontation in der Frankfurter Schirn›, in: ‹die Drei›, 12/2016.
(2) Michael Peppiatt: ‹Francis Bacon und Alberto Giacometti: Parallele Sichtweisen einer schrecklichen Wahrheit›, im Katalog zur Ausstellung ‹Bacon – Giacometti› in der Fondation Beyeler, 2018, S. 168—175.

Bacon – Giacometti bis 2. September 2018 in der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel; der aufschlussreiche Katalog ist in der Ausstellung erhältlich. www.fondationbeyeler.ch

Foto: Alberto Giacometti und Francis Bacon, 1965, Graham Keen, Alberto Giacometti Estate, Pro Litteris in Switzerland.

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