An Michaeli zieht die Sonne durch das Bild der Jungfrau. Dieses Jahr stellen sich Merkur, Venus und Mars ihr zur Seite. Mit diesen drei Planeten entfalten sich die michaelischen Tugenden von Güte, Stärke und Weisheit in dem Tierkreisbild.
Was uns Menschen zum Menschen macht? Der anthroposophische Biologe Ernst-Michael Kranich antwortete darauf in seinem Buch ‹Der innere Mensch und sein Bau›: das schmale Becken! Es erlaube uns Menschen, bei jedem Schritt in der Mitte der Körperachse zu bleiben. Hätten wir ein breites Becken, wie die Affen, so würden wir wie sie bei jedem Schritt pendeln, um den Körperschwerpunkt über die Standfläche zu heben. Das schmale Becken macht die Geburt zu einem Drama, aber ermöglicht den ruhigen Gang. Das unterscheidet uns vom Tier, dass wir in der Bewegung alle Ruhe der Welt aufrechterhalten können. Umgekehrt fordert das schmale Becken, dass man im Stehen fortwährend das Gleichgewicht ausbalanciert. Während ein breites Becken einen sicheren Stand ermöglicht, führt das schmale Becken zu einem Gleichgewicht, das fortwährend ausgeglichen werden muss. Also nicht nur in der Bewegung ist Ruhe möglich, auch in der Ruhe ist fortwährende Bewegung, ein Pendeln um die Mitte, notwendig. Zum Menschlichen gehört deshalb, dass sich Bewegung und Ruhe – und damit Leben und Geist – fortwährend verbinden können, ja verbinden müssen. Was so in der menschlichen Konstitution sich ereignet, das geschieht auch in der Konstitution des Jahres, den christlichen Jahresfesten.
Leben und Bewusstsein im Jahreskreis
Am zurückliegenden Johannifest hatte die Sonne für einige Wochen die gleiche Höhe inne. Wie auch zu Weihnachten, gehört zu Johanni, dass der Sonnenlauf zur Ruhe kommt. Auf einem Höhepunkt oder einem Tiefpunkt verharrt die Sonne. Es ist, als würde das Leben seinen Atem anhalten. Umgekehrt ist es an Ostern und Michaeli. Zu den Zeiten des Frühlings- und Herbstbeginns stürmt die Sonne empor beziehungsweise fällt dramatisch. Täglich nimmt die Tageslänge um einige Minuten zu und ab. Diese Knotenpunkte des Jahres sind Zeiten großer Veränderung in der Natur und im Sonnenstand. So bildet sich ein Kreuz im Tierkreis: Sommer- und Wintersonnenwende: Stillstand der Sonne, Frühlings- und Herbstanfang: Dynamik und Leben der Sonne. Zu jedem der vier Jahresfeste gehört allerdings das Innehalten, gehört die Besinnung. Wie ist also zu Ostern und Michaeli Besinnung möglich, wenn doch die Sonne und mit ihr die Natur im stürmischen Wandel sich befindet? Die Antwort liegt in den Sternen. Im Frühling läuft die Sonne durch die Fische und im Herbst ist es die Jungfrau. Diese beiden größten Bilder des Tierkreises strahlen in besonderem Maße eine erhabene Ruhe aus. Also darf man sich hinter der zum Herbstanfang dynamisch sinkenden Sonne den Halt der Jungfrau denken. Die Ruhe dieses Bildes verbindet sich mit dem Leben des Sonnenlaufes. So kommen besonders zu Ostern und Michaeli Ruhe und Bewegung, Leben und Bewusstsein zusammen.
Als würden Mars, Venus und Merkur inspirieren
Jetzt, wo es auf Michaeli zugeht, zieht die Sonne allerdings nicht allein in die Jungfrau, denn mit Merkur, Venus und Mars begleiten sie drei Planeten. In der Offenbarung des Johannes wird Michael als in der Sonne stehend und im Kampf mit dem Drachen beschrieben. Neben diesem Ausdruck der Stärke sind es vor allem Güte und Weisheit, die als seine Attribute vorgestellt werden. Dazu gehören die Insignien von Waage und Schwert, von wägen und scheiden, wie an vielen Westfassaden der Kathetralen zu sehen ist. Bei diesen umfassenden Tugenden überrascht es nicht, dass unter den Wandelsternen die Sonne als planetarischer Repräsentant Michaels vorgestellt wird, denn sie repräsentiert in ihrer Lichtfülle die Weisheit, in ihrer Wärme die Güte und in ihrer Macht, das Leben zu schenken, die Stärke. Was in der Sonne so vereint ist, das entfaltet sich im Sonnensystem in den einzelnen Planeten. So repräsentiert Mars, der unweit rechts der Sonne steht, die Stärke. Die Marsstürme, aber auch die extreme Topografie des Planeten sowie sein dynamischer Lauf zeigen, dass ‹Stärke› sowohl mythologisch als auch astronomisch für den Roten Planeten gilt. Wie anders erscheint Venus. Sie zeichnet in acht Jahren ein vollkommen regelmäßiges Pentagramm an den Himmel, eine kosmische Rose. Sie ist als einziger Planet tatsächlich rund und zieht auf einer tatsächlichen Kreisbahn. Auch hier gilt, dass Schönheit und Güte nicht nur mythische Metaphern sind, sondern sich bis in die physische Gestalt des Erdnachbarn niederschlagen. Der Dritte im Bund ist Merkur. Er ist als Planet der Musiker unter den Planeten, zu allen übrigen steht er in mathematisch-harmonischen Proportionen. Dass allein die Achse von Merkur senkrecht steht, sodass der Planet sein Verhältnis zur Sonne nicht individualisiert und keine eigentlichen Jahreszeiten hat, kennzeichnet ihn als Planet von Beziehung und Harmonie.
So wie das Licht in den Farben erlebbar und greifbar wird, der Klang in den einzelnen Tönen, so entfalten die Planeten das Universelle der Sonne. Die Seele wird Dolmetscher, wird zum Boden des Geistigen. Merkur, Venus und Mars lassen sich so lesen als die Interpreten des diesjähigen Jungfrau-Sonnen-Geistes.
Vor 20 Jahren berührte die Umweltaktivistin Julia Hill, als sie zwei Jahre in 60 Metern Höhe auf einem Küstenmammutbaum ausharrte, um das Abholzen dieser Bäume zu verhindern. Jetzt sind es die Retterin Geflüchteter Carola Rackete und die Klimaaktivistin Greta Thunberg. Und immer sind es Taten der Stärke und der Schönheit, die weltweit Beziehung stiften, als würden Mars, Merkur und Venus inspirieren.
Zeichnung: Wolfgang Held