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Auf der Frankfurter Buchmesse

Vom 10. bis 14. Oktober fand die diesjährige Frankfurter Buchmesse statt. Sie ist mit über 7 100 Ausstellern und beinahe 300 000 Besuchenden die größte Schau gedruckten Wortes. Wolfgang Held im Gespräch mit dem Leiter des Verlags Freies Geistesleben Jean-Claude Lin.


Wie geht es den Verlagen Freies Geistesleben und Urachhaus?

Jean Claude Lin Dieses Jahr haben wir mit unseren beiden Verlagen einen höheren Umsatz als im vergangenen Jahr erzielt. Das freut uns natürlich und ist gegenwärtig nicht selbstverständlich. Dennoch haben wir mit Blick auf unsere aktuellen Titel mit guten Verkaufszahlen gerechnet. Diese Erwartung hat sich nun bestätigt und gibt uns eine beruhigte Ausgangslage. Zum fünften Mal in Folge sind wir mit einem Buch zum Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert worden, in diesem Jahr mit dem Kinderbuch ‹Der Riesentöter› von Iain Lawrence. Das Zugpferd ist dieses Jahr das Buch von Iris Paxino ‹Brücken zwischen Leben und Tod – Begegnungen mit Verstorbenen›. Die ersten Reaktionen der Buchhändler waren gar nicht so positiv, aber nun ist die zweite Auflage bereits verkauft und wir bereiten eine dritte Auflage vor.

Iris Paxino hat bisher kaum publiziert?

Es ist ihr zweites Buch. Zum 60. Geburtstag des Verlages haben wir eine Vortragsreihe veranstaltet und daraus ein Buch gemacht: ‹Das Leben mit dem Leben›. Darin hat sie über das Leben mit dem Schmerz geschrieben. Wir haben daraus in unserer Falter-Reihe einen Band gemacht. Dann habe ich sie gefragt, ob sie nicht etwas über den Umgang mit Verstorbenen schreiben könnte. Es war ein zehnjähriger Prozess, an dessen Ende nun das Buch vorliegt.

Man braucht als Verleger einen langen Atem?

Ja, und wir sind natürlich glücklich, wenn am Schluss tatsächlich ein Buch auf dem Tisch liegt. Das ist ja nicht immer so.

Hier gilt aber nun wohl, dass Iris Paxino den Nerv getroffen hat. Denn von unseren Thementaschenbüchern ist ebenfalls der Band ‹Leben nach dem Tod› der meistverkaufte. Sie hat außerdem eine wundervolle Art zu schreiben. In der Einleitung referiert sie Rudolf Steiners Beobachtungen und Erkenntnisse über den Umgang mit Verstorbenen, doch dann schildert sie eigene Erfahrungen. Es sind spirituelle Erfahrungen. Das ist, was ich ‹gelebte Spiritualität› nenne. Oft hat Anthroposophie eher etwas Philologisches, erscheint in ihren Gedankenformen, jemand schildert begeistert, verfügt aber nicht über eigene Erfahrungen. Heute scheinen die Leserinnen und Leser eine direkte Erzählung von heutigen Menschen zu suchen.

Der Reichtum dieses Buches ist, dass es originäre Erfahrungen sind. Eine Stuttgarter Buchhändlerin erzählte mir, dass manche Kunden gleich fünf Exemplare nehmen für Bekannte und Verwandte. So ist es im engeren anthroposophischen Feld. Jetzt kommt es darauf an, ob das Buch auch in den größeren Handel kommt. Dazu haben wir in der Novemberausgabe von ‹a tempo› und ‹alverde› einen Artikel zum Buch geplant. Im Verlag sind wir gespannt, ob das Buch in der größeren Bevölkerung auch wahrgenommen wird.

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Heute scheinen die Leserinnen und Leser eine direkte Erzählung von heutigen Menschen zu suchen.

Zur Buchmesse: Was ist ihr Zweck?

Ursprünglich war sie für Buchhändler gedacht, damit sie sich ein Bild darüber machen können, was die Verlage in ihren Programmen haben. Heute haben wir aber ein dichtes Netz an Verlagsvertretern, die die Buchhandlungen aufsuchen, also hat sich das erübrigt. Dafür wird es immer wichtiger, bei den vielen ausländischen Verlagen zu schauen, was sich für eine Lizenzausgabe eignen könnte. So fand ich dieses Jahr ein Buch über die sieben kulinarischen Weltwunder. Leben, Welt und Geist kommen da zusammen. Deshalb hat die Messe heute eine andere Aufgabe. Es geht darum, ins Gespräch zu kommen. Sie erfüllt soziale und gesellschaftliche Aufgaben, vor allem an den Publikumstagen. Mit unserem doch recht zentralen und großen Stand können wir dabei ein großes Publikum erreichen.

Wie sieht das konkret aus?

Zum Beispiel so: Ein Ehepaar kommt am Stand vorbei und berichtet, dass sie bisher vergebens ein Buch für die Familie suchen. Also erzähle ich von dem Kinderbuch ‹Winterhaus› von Ben Guterson, das wir verlegt haben. Es geht um ein Hotel im Winter, eine geheimnisvolle Geschichte mit Sprachrätseln. Da leuchten die Augen der Frau und sie fragt, was denn für ihre Schwester passen könnte. Da bringe ich das Buch ‹Keine Form, in die ich passe› von Erna Sassen vor. Eine 16-Jährige sucht ihre Identität, verliebt sich in ihren Lehrer, der verheiratet ist. Das sperrige Mädchen ist unglücklich und sehr originell beschrieben. «Das scheint mir ein Buch für meine Schwester zu sein», antwortet die Frau. Dann kommt der Mann an die Reihe. Ich schildere den Inder Nek Chand, der aus Schrott und Abfall einen künstlerischen Garten kreiert hat. Die Behörden waren empört und forderten die Räumung, doch dann protestierte die Bevölkerung. Nach dem Tadsch Mahal ist die Kunstwelt von Chand der meistbesuchte Garten in Indien geworden. Es ist die Geschichte, was ein Einzelner vermag, wenn er Ausdauer und Beharrungsvermögen besitzt. So fand sich für alle drei ein Buch. So etwas sind Glanzmomente.

Wie entwickelt sich die Messe?

Dieses Jahr war es meine 33. Buchmesse in Frankfurt. Es ist viel internationaler geworden. Immer mehr ausländische Verlage kommen an die Messe. Für uns anthroposophische Verlage ist das nächste Jahr interessant, wenn wir 100 Jahre Waldorfpädagogik feiern. Wir haben dann ähnlich wie zum 150. Geburtstag von Rudolf Steiner wieder einen Leuchtturm an unserem Stand, sodass wir von Weitem zu sehen sein werden. Der Ort bleibt gleich, denn im gleichen Gang mit der ‹Zeit› und der ‹FAZ› fühlen wir uns ganz wohl.


Bild: Der kanadische Autor Iain Lawrence im Gespräch mit Jugendlichen des Pankower Leseclubs (Berlin). Foto: Verlag

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