Mitte werden

Eine Kirche ist ein Ort mit Energie. Dabei entfaltet sich dort im Gebäude die höchste Kraft, wo gerade nichts gebaut ist, in der Vierung, der Mitte der Kirche. Der Architekt Lothar Bracht wies in Vorträgen darauf hin. Die Mitte ist frei, Ort der Freiheit, Ort der Entfaltung. Übertragen auf die Seele bedeutet das, das Gefühl in den Blick zu nehmen, denn das Gefühl hält zwischen Gedanken und Willen die Mitte, so wie das Herz zwischen Kopf und Fuß die Mitte ist. Das Gefühl wäre keine Mitte, wenn es nicht in die Pole ragen würde, und tatsächlich, das tut es! Es gehört zu unserer Zeit, dass dies mittlerweile zum Einmaleins, zum Verständnis der Persönlichkeitsentwicklung gehört. War vor hundert Jahren Rudolf Steiner noch recht allein damit, zu erklären, dass sich die Gefühle aus Vorstellungen bilden, ist es heute allgemeine Auffassung. In der Technik des Manifestierens kommt es zum Ausdruck. ‹So wie du denkst, so fühlst du.› Im Denken, im menschlichen Geist haben die Gefühle deshalb ihre Quelle. In ihrem Buch ‹Gefühle und Emotionen – Eine Gebrauchsanweisung› beschreibt Vivian Dittmar, dass die Gefühle auch im Körper zu Hause sind. All das, was wir nicht zu fühlen vermögen, weil es zu schmerzvoll ist, lagere da, und diese Altlast schieße durch Trigger unversehens als Emotion in die Mitte. Die Gefühle zu kultivieren, ruft deshalb danach, die Gedanken mit dem Willen zu ergreifen, sodass gewollte Vorstellungen gewollte Gefühle hervorbringen. Die Gefühle zu kultivieren, ruft gleichermaßen danach, sich mit dem Geist, der inneren Wahrnehmung in den Körper zu senken, um die dort geborgenen Gefühle in die Mitte zu bringen und befreien zu können. So wirst du als ganzer Mensch Mitte.


Bild Barbara Schnetzler, ‹Ohne Worte›, Kohle auf Japanpapier, 60 × 30, 2025.

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