Glanz- und andere Lichter

Reisebericht durch die Mitgliederversammlung der Anthroposophischen Gesellschaft.


Im Vorfeld der diesjährigen Mitgliederversammlung gab es nach der Hoffnung weckenden letzten Mitgliederversammlung 2023 eine Enttäuschung. Anstatt der erhofften möglichst wenigen Anträge trat das Gegenteil ein: Ein Geflecht aus Anträgen, Gegenanträgen und Feststellungsanträgen wurde für die Vorbereitenden der Versammlung zur Herausforderung. Immerhin war unter den Antragstellenden Gesprächsbereitschaft da, so konnten mehr als die Hälfte der Anträge – teilweise in letzter Minute, d. h. am Rednerpult – in Anliegen oder Initiativen umgewandelt werden. Eine Mitgliederversammlung hat ihre Eigendynamik: Wenn es zu kompliziert wird, hagelt es Ordnungsanträge, auf einzelne Anträge nicht einzugehen. Dadurch sind wichtige Themen unter den Tisch gefegt worden. So kehrte – immerhin nur für den zweiten Tag – die befürchtete Mitgliederversammlungs(miss)stimmung zurück.

Glanzlichter

Uwe Werner zielte mit seinen Anträgen (Nr. 6) auf einen Paradigmenwechsel: Weg von Entweder-oder-Entscheidungen erzwingenden Abstimmungen hin zu (beratenden) Konsultativabstimmungen. Das scheint zunächst nur eine Formalie zu sein. In meinem Bericht (Nr. 11) über die Arbeit in unserer Arbeitsgruppe ‹Transparente Kommunikation› hatte ich angefragt, ob wir nicht das Modell Macht/Abwehr ersetzen könnten durch Initiative/Resonanz, und hatte geschildert, wie in Momenten der Unklarheit oder gedämpften Bewusstseins solche Einflüsterungen von Macht/Abwehr parat stehen. Während das Verhältnis von Initiative/Resonanz in eine Zusammenarbeit führen kann, in der unerwartet Perspektiven auftauchen. Solch ein Paradigmenwechsel ist aber nicht durch einen Entschluss herbeizuführen. Aber auch sein Antrag wurde Opfer von Ordnungsanträgen.

Jonathan Neisecke begründete seinen Antrag (Nr. 14) für einen Beirat der Allgemeinen Antroposophischen Gesellschaft (AAG) für die Weleda so sachlich und Herbert Holliger schilderte die Kurzbiografien der vorgeschlagenen Beiratsmitglieder so anschaulich, dass dieses Geschäft angenommen wurde.

Dem Feststellungsantrag (Nr. 0), der sicherstellen wollte, dass die Arbeit an einer neuen Konstitution fortgesetzt werden kann, wurde entgegengehalten, dass da ein Konvent (Vorschlag, das lieber ‹Konstitutionsrat› oder ‹Arbeitsgruppe› zu nennen) von oben herab gebildet werden könnte, anstatt die in der Arbeit schon Beteiligten einzubeziehen. Die Formulierung des Antrags wurde mehrfach geändert. Daraufhin ordnete Versammlungsleiter Ueli Hurter an, dass eine endgültige Fassung vorgelegt werde und erst nach der Pause mit dieser ein Entschluss zu fassen sei. Damit nahm er den Druck aus den Verhandlungen, sodass er anschließend in Ruhe beschlossen werden konnte.

Von den Rückblicken und Dankesworten möchte ich ein Bild von Matthias Rang herausheben1: Er wies darauf hin, dass wir, wenn wir im Badezimmer in den Spiegel blicken, uns selber und den Raum, in dem wir sind, sehen (Mondenkarma). Dem stellte er ein Fenster gegenüber, das den Blick in die Welt ermöglicht, also in einen Raum, in dem wir nicht sind. Dann erweiterte sich das Bild um eine Tür, durch die wir in diese Welt eintreten können (Sonnenkarma).

Zwielichter

In dem Antrag (Nr. 5) aus Ungarn sollten die Mitglieder beschließen, dass sie ab heute die AAG mit dem Michaelimpuls verbinden. Wenn das denn so einfach wäre, dass das durch Beschluss geschehen könnte! Hier war die Gruppe, die für die Koordination der Anträge verantwortlich war, zu lieb: Die Ungarn waren nicht anwesend und so wollte man nicht in deren Abwesenheit deren Antrag wegen seiner Unsinnigkeit von vornherein in ein Anliegen umwandeln. Er wurde dann durch einen Ordnungsantrag erledigt.

Da war die Initiative (Nr. 18) schon vorsichtiger formuliert: «Bitte um Selbstverpflichtung im folgenden Sinne: ‹Möchtest Du Dich mit einer von Dir gewählten oder noch zu wählenden Initiative am selbstverständlichen Umgang mit übersinnlicher Wahrnehmung und Geistesforschung beteiligen?›» Obwohl ich das Anliegen, aktuelle Geistesforschung gesellschaftsfähig zu machen, sehr begrüße und durch eigene Initiativen auch unterstütze2, halte ich den Versuch für untauglich, die Mitgliederversammlung mithilfe der Anliegen-Struktur zu instrumentalisieren, um auf dieses Desiderat hinzuweisen. Hier wird deutlich, dass die in Anliegen umgewandelten Anträge von Manfred Plewka (Nr. 12) – Mitteilungsblatt (AWW) wieder alle zwei Wochen versenden – und Thomas Heck (Nr. 13) – monatliche, unzensierte Beilage im Mitteilungsblatt – nach intensiverem Austausch rufen. Eine Konsultativumfrage zeigte allerdings, dass das Bedürfnis, noch mehr zu lesen, begrenzt ist.

Schwarzlicht

Gemäß Antrag 8 sollte die Goetheanum-Leitung in die Gesellschaftsorgane eingebunden werden. Die Goetheanum-Leitung versteht sich aber als eine Kooperation von Hochschulleitung als einem Organ des Geisteslebens, Goetheanum-Administration als einem Organ des Wirtschaftslebens und Vorstand als einem Organ des Rechtslebens. Deshalb gab es einen Gegenantrag vonseiten der Goetheanum-Leitung und einen Antrag auf Nichteintreten von Uwe Werner.

Mark Desaules stellte nun einen Ordnungsantrag, auf das ganze Geschäft nicht einzutreten. Da spürte ich: Das geht jetzt zu weit! Anstatt aufzuspringen: «Wir finden uns gerade zwischen Macht/Abwehr und Initiative/Resonanz. Bitte lehnen Sie diesen Ordnungsantrag ab! Wir haben schon einen Antrag von Uwe Werner, mit dem wir eine Abstimmung vermeiden können, aber wir sollten nicht der Fragestellung ausweichen: Wie ist das Verhältnis von Hochschule und Gesellschaft? Lassen Sie uns an einem Resonanzraum arbeiten, der dieser Fragestellung würdig ist.» – blieb ich sitzen. Das enttäuschte Echo nach der Versammlung war dann eine schrille Resonanz auf den Ordnungsantrag.

Spo(t)tlight

Manchmal gibt es auch paradoxe Kommunikation, etwa wenn jemand mit erhobenem Zeigefinger darüber spricht, dass die AAG ein Verein ohne Vereinsmäßiges sei, um dann mit scharfer Stimme darin zu gipfeln, dass es in der AAG kein Dogma gebe. Er wurde ‹ausgeklatscht›.

Nachdem der Prozessbegleiter Harald Jäckel Eckehart Dönges (Antrag Nr. 7) wegen der Benennung verschiedener Ethnien («schwarz», «weiß», «rot», «gelb») gebeten hatte, das anders auszudrücken, verblüffte Andreas Worel mit einem Zwischenruf, in dem er auf das «Gender-Ungleichgewicht» des zu verabschiedenden Textes hinwies. Im Text war ein Schreibfehler («jedermann»). Statt eines befreienden Lächelns zog er sich den Ärger der Versammelten zu. Die Stimmung war für ein solches Lächeln schon zu angespannt.

Schlusslicht

Obwohl drei Tage für die Besprechungen zur Verfügung standen, führte Zeitstress zu unüberschauten Handlungen (Ordnungsanträge), die Klärungen unterbanden. Gleichwohl fand ich Anfang (1. Tag) und Ende (3. Tag) würdig. Tag 2 hatte noch viel Luft nach oben …

Print Friendly, PDF & Email

Footnotes

  1. Er sprach zum Thema: ­‹Was ruft uns aus der Zukunft?› Dieses Bild lässt sich gut nutzen, um die Schwierigkeiten, die mit dem Anliegen von Tischgruppe 2 der Foren zusammenhängen, bewusst zu machen. Bei den – zunächst zarten – übersinnlichen Wahrnehmungen muss der Wahrnehmende immer klären, ob er wirklich aus dem Fenster blickt oder ob er nicht möglicherweise doch in den Badezimmerspiegel blickt und dort ein Badezimmerfenster entdeckt, aber noch nicht in der Lage ist, das eigene Bild vom Bild des vom Fenster Vermittelten zu unterscheiden. So hält er Projektionen für geistige Außenwahrnehmungen und bemerkt nicht, dass er gerade seinen Doppelgänger untersucht.
  2. Der Goetheanum-Zweig wird am 2.11.2024 ein Kolloquium zur ‹Übersinnlichen Wahrnehmung› durchführen. Dort soll es um das Verhältnis von Wahrnehmung und (Geistes-)Wissenschaft gehen

Letzte Kommentare