Medienecho zur Inszenierung des ‹Parsifal› von Jasmin Solfaghari am Goetheanum. Zusammengestellt von Wolfgang Held.
Björn Florian Fuchs vom Deutschlandfunk sieht in der Inszenierung weder Deutung noch Botschaft, sondern vielmehr ein «Ernstnehmen der Weihe, der sakralen Atmosphäre des Stücks». Die «Auslagerung» der Requisiten, so Fuchs, könne man als «ästhetischen Genuss wahrnehmen». Die Musik der Philharmonie Baden-Baden unter Roland Fister «mache es extrem gut». Das gelte auch für die Chöre. Es sei ein Gesamtkunstwerk gelungen, «das von der Regisseurin Jasmin Solfaghari wesentlich befeuert, animiert und energetisiert wird». Die Besetzung, so Fuchs, sei gut, mit kleinen Energieproblemen im dritten Aufzug. «Wenn man sich auf den fünfstündigen Abend einlässt, nimmt man sehr, sehr viel mit und es ist horizonterweiternd nicht nur für Wagnerianer, weil die Eurythmie und die Theaterästhetik von Rudolf Steiner einfach jenseits von allem religiösen, metaphysischen, auch ein kulturelles Phänomen sind und wir so ein Stück Kulturgeschichte erleben.» (Deutschlandfunk, 3.4.2023)
«Die Inszenierung von Jasmin Solfaghari, die Eurhythmie-Regie von Stefan Hasler und die Ausstattung von Walter Schütze wirkten erstaunlich rund und lieferten sinnfällige Denkanstöße. Aus der Besetzung ragten Ivonne Fuchs als sensationelle Kundry und Alejandro Marco-Buhrmester als Amfortas heraus», schreibt Roland Dippel in der ‹Neuen Musikzeitung›. Er beschreibt, dass sich Eurythmie-Ensemble und die Opernprofis gegenseitig inspirierten: «Eine so kunstfertige Lichtkonzeption wie hier auf die von Adophe Appia inspirierten Quader und Stufenelemente hat es auf der Goetheanum-Bühne bisher wohl nie gegeben. Umgekehrt opponieren die Ideale der Anthroposophie gegen zentrale ‹Parsifal›-Probleme». Die Eurythmie schaffe «Sinnbrücken» und es komme zu «starken Theaterwirkungen». Ivonne Fuchs als Kundry nennt Dippel die «sängerische Entdeckung des Abends». Die Kostümierung von Walter Schütze empfindet Dippel als Spiel zwischen Bilderbuch-Mittelalter und Reformbewegung im 20. Jahrhundert. Er attestiert Orchester und Chor einen «breiten, offenen Gesamtklang» und gibt Alejandro Marco-Buhrmester als Amfortas als souverän wie eindringlich und Andreas Hörl als Gurnemanz «starke Kantabilität». Dippel schließt damit, dass die Inszenierung «ein gar nicht so unwesentlicher Diskurs-Anstoß über die Relevanz von (Musik-)Theater und die Zielgruppen der Zukunft» sei. (Neue Musikzeitung, 8.4.2023)
Bernhard Doppler (MDR-Klassik) wundert sich wie viele andere, dass Wagners ‹Parsifal› erst hundert Jahre nach Fertigstellung des Goetheanum hier gespielt wird. Dabei entstünden mit der Eurythmie «dramatische Konfrontationen und pathetische Erzählungen, die gegenüber dem Tanz durchaus eine theatralische Dynamik entfalten». Doppler vermisst in der Inszenierung «eine kritisch-intellektuelle – vielleicht sogar ironisierende – Interpretation von Wagners Gedankengebäude», hebt dafür aber die musikalische Leistung hervor: «Und vor allem beeindruckt in Dornach die professionelle musikalische Leistung. Vielleicht ist das Orchester zu groß, vielleicht ist Wagners Musik ja auch immer wieder zu gewalttätig für den Waldorf-Geist. Andererseits umflutet sie die Zuschauer immer wieder – auch von rückwärts kommend – als Gemeinschaftserlebnis. Roland Fister leitet effektvoll das Philharmonische Orchester, die Sängerinnen und Sänger bewältigen mühelos ihre monströsen Partien, zeigen ihre Wunden und lassen uns mitleiden.» Doppler sieht in der Inszenierung den Versuch, «Seelisches zu erkunden und erlebbar zu machen». Deshalb sei sie eine Alternative zum traditionellen Opernbetrieb. (MDR-Klassik, 4.4.2023)
Fabian Kristmann von der ‹Basler Zeitung›, bestätigt Jasmin Solfagharis Inszenierungsstil eine stringende Personenführung, hätte sich aber mehr Theatralisches gewünscht: «[…] die Verführungszene Kundry-Parsifal bewegte sich an der Grenze zum Konzertanten». «Manche Male nahm Kundry eine Erzählhaltung ein.» Gleichzeitig lobt er ihre Textverständlichkeit und Intonation. Bei Gurnemanz hörte Kristmann ein «sattes, kerniges Timbre». Der «satte Wagnersound» von Roland Fister, so die Besprechung, ging stellenweise auf Kosten der Differenzierung. Die Eurythmie erlebte Kristmann als «emotionale oder thematische Aura», die manchmal als Doppelung wirke. Demgegenüber betont er, dass die eurythmische Darstellung von Gral, Speer und Schwan der Inszenierung «zusätzlichen, unmittelbar erfahrbaren Gehalt» schenke. Das Goetheanum, so schließt Kristmann, habe mit der Inszenierung einen nicht uninteressanten Beitrag geliefert. (BAZ, 3.4.2023)
«Wenn das Bühnenweihefestspiel außerhalb des Bayreuther Operntempels stimmig gewirkt hat, dann hier», so beginnt Christian Wildhagen mit Blick auf die exklusive Lage des Goetheanum seine Rezension in der NZZ und sieht in der Inszenierung keine ‹Anthroposophie›: «Wer erwartet hatte, es gehe bei diesem ‹Parsifal› um eine Vereinnahmung oder Umdeutung des ‹Parsifals›, lag falsch.» Die eurythmische Darstellung der Requisiten beschreibt Wildhagen als «klugen Schachzug» und sieht darin einen Verweis an Rudolf Steiners Postulat einer inmateriellen Welt. «Naturalistisch, klar und textnah» nennt er Jasmin Solfagharis Inszenierungsstil. Das Orchster unter Roland Fister sei über sich hinausgewachsen und klinge ähnlich suggestiv wie in Bayreuth, wobei man «eine derart packende Auseinandersetzung von Parsifal und Kundry selbst dort nicht alle Tage höre». (NZZ, 6.4.2023)
Wildhagen sieht in der Inszenierung einen «Schwebezustand, der in jedem Moment daran erinnert, dass die metaphysischen Inhalte in diesem Weihespiel durchweg eine zweite Ebene über der konkreten Handlung bilden.» Das zeige, so der Autor, gerade der Schluss: dann «verschmelzen die Darsteller von Gral und Speer zu einer symbolischen Blüte, aus der ein Lichtstrahl emporwächst.»
Foto François Croissant