Wenn man Menschen fragt, was ihnen heilig ist, antworten sie nach einigem Suchen mit Familie, Ruhe, Freiheit, Frieden und vielem anderen, je individuell geprägt, manchmal sogar mit ‹mein Fußballclub› oder auch mit ‹das Werk Rudolf Steiners›.
Aber was das Heilige selbst ist, ist schwer zu fassen. Der rumänische Religionsphilosoph Mircea Eliade hatte sich beholfen, indem er Erscheinungsformen des Heiligen (Hierophanien) in der Religionsgeschichte der Menschheit aufspürte. Vom Schamanismus bis zur modernen Kunst macht das Heilige selbst eine Evolution durch. Und erschien bis dato in dafür vorgesehenen (inneren oder äußeren) sakralen Räumen. Das Profane hingegen wohnte woanders.
Auf die deutsche Sprache geschaut, zeigt sich vielleicht eine neue, eine weitere Erscheinungsform. Heilig und heilend sind sich verwandt. Manche Menschen sprechen sowieso konsequent vom heilenden Geist. Auch im Französischen klingen da Ähnlichkeiten an: Saint (der, die, das Heilige), sain (gesund). Ist das Heilige also vielleicht etwas, was gesund macht? Um etwas heil zu machen, muss man hineingefühlt haben, muss wissen, was es braucht. Das ist, wie wenn das Christkind sagt: ‹Ich bin du.› Ist es also eine Hierophanie unserer heutigen Zeit, wenn wir Menschen uns oder die Welt miteinander heilen? Zumindest würde sich dort das verwandelte Licht eines in der stillen Nacht geborenen Kindes zeigen.
Bild Miriam Wahl, Aquarell auf Papier, 2022