Die erste feministische Revolution, die Frauen wie Männer möglich machen: So wird der nicht enden wollende Aufstand im Iran genannt. Johanna Faust unterstützt ihn in Bern und Berlin und erzählt von der Hoffnung für den Iran.
«Wir alle haben einen Traum. In diesem Traum werden Gefangene nicht in drei Minuten zum Tode verurteilt. In diesem Traum legen Henker Schriftstellern und Dichtern keine Schlingen um den Hals. In diesem Traum wagt es niemand, Minderheiten zu unterdrücken. Niemand wagt es, einen Arbeiter zu bestrafen, zu inhaftieren oder zu foltern und zu töten, weil er bloggt oder seine Meinung sagt. In unseren Träumen feuert niemand Tränengas in die Klassenräume der Mädchen, stößt niemand Mädchen vom Dach oder ihre Köpfe gegen Bordsteine und niemand wird mit einer Pistole auf ihren Hinterkopf zielen. In unseren Träumen wird endlich der Wind der Freiheit durch die Haare der Frauen wehen.»
Hamed Esmaeilion, am 22. Oktober 2022 in Berlin.
Tausende Menschen gehen seit der Ermordung der 22-jährigen Jina Mahsa Amini am 16. September täglich auf die Straßen und riskieren dabei ihr Leben. Hunderte haben bereits ihr Leben verloren, Tausende wurden entführt und gefangen genommen im Kampf für Selbstbestimmung: «Jin, Jiyan, Azadî – Frau, Leben, Freiheit», rufen sie.
Der in den USA lebende Exil-Iraner Shoja Azari schreibt:
«Amini war eine junge Frau, aber auch eine sunnitische Kurdin. Das Regime unterdrückt nicht nur die Frauen, sondern auch Kurden, Sunniten und alle nationalen Minderheiten im Iran auf brutale Weise. Die Sympathie für die junge Frau, die bei ihrem Besuch in der Hauptstadt Teheran wegen eines angeblichen Verstoßes gegen die Kleiderordnung ermordet wurde, hat die ethnische Kluft sofort aufgeweicht. Die kurdische Parole ‹Frau, Leben, Freiheit› wurde sofort als Nationalhymne der Revolution angenommen. Sie weckte nicht nur die Jugend auf, sondern schuf auch ein wichtiges Symbol, das dazu beitrug, im ganzen Iran ein Gefühl der Einheit zu schaffen.»
2019 lernte ich am ‹Zürich Film Festival› eine iranische Filmemacherin kennen. Ihr Spielfilm handelt wie mein Dokumentarfilm ‹I’ll Be Your Mirror› von Mutterschaft und Selbstbestimmung. Wir haben uns direkt ins Herz geschlossen und entschieden, gemeinsam einen Dokumentarfilm im Iran zu realisieren. Die Protagonistin ist eine 80-jährige Frau, die ihr Leben lang singen wollte und immer wieder dafür bestraft wurde. Zuletzt, indem sie mit einem Mann verheiratet wurde, der taub ist. Der Kampf der Iranerinnen und Iraner gegen die Unterdrückung durch den religiösen Fundamentalismus der Islamischen Republik Iran berührte mich zutiefst.
Mein erster Besuch bei der Filmemacherin war bereits geplant. Die Proteste im Jahr 2019 machten unsere Pläne jedoch unmöglich. Wir trafen uns stattdessen in Wien und schmiedeten Pläne für die Zukunft. Durch unseren Kontakt auf Social Media wurde ich auf den grausamen Tod von Mahsa Amini und die darauffolgenden Proteste aufmerksam. Seither gehen im Iran Schülerinnen, Gymnasiasten und Studentinnen auf die Straße. Ich habe mich gefragt, was ich tun kann, wie ich helfen kann. Meine Freundin berichtete mir, dass das Regime bei Protesten jeweils das Internet drosselt. Aber die Geschehnisse müssen die Weltöffentlichkeit erreichen. VPN-Dienstprogramme, die wir auf unseren Computern installieren, können die Blockade des Regimes umgehen und im Iran den Internetzugang ermöglichen. So können meine Freundin und andere die Berichte über die Geschehnisse auf Social Media teilen und wir können ihre Stimmen verstärken. Es ist wichtig, dass die Protestierenden wissen, dass sie gesehen und gehört werden.
Mir wurde die Dimension des Ganzen noch klarer, als ich in Berlin an der bisher größten Iran-Demonstration in Europa war, wo über 80 000 Menschen, vorwiegend Iranerinnen und Iraner der Diaspora, ihrer Solidarität Ausdruck verliehen. Wir müssen alle für die Frauen im Iran einstehen. Denn auch im sogenannten Westen kämpfen wir noch für die Selbstbestimmung der Frauen, für ihr Recht zu wählen, welches Leben sie führen möchten, für die Freiheit. Den Protesten im Iran haben sich Menschen aus allen Gesellschaftsschichten angeschlossen. Lehrende, Angestellte des öffentlichen Verkehrs, Arbeiterinnen und Arbeiter der Ölindustrie und die Händlerinnen und Händler der berühmten iranischen Märkte streiken. Alle ethnischen Gruppen im Land sind gemeinsam für einen Sturz des Mullah-Regimes. Sie glauben nicht mehr an eine Reform eines Regimes, das Frauen missachtet, foltert, vergewaltigt und tötet.
Wenn wir uns entscheiden, nicht an ihrer Seite für die Rechte der Frauen im Iran, in Kurdistan, in Afghanistan einzustehen, wer wird dann uns unterstützen, wenn es einmal uns betrifft? Auch in den USA, in Europa und der Schweiz ist die Gleichstellung der Frauen keine Selbstverständlichkeit. Minoritäten wie LGBTQ+ haben nicht die gleichen Rechte oder verlieren sie wieder und unsere ‹westlichen› Gesellschaften sind von einem systemischen Rassismus geprägt. Wo bleibt unsere Menschlichkeit, wenn wir uns ‹Women, Life, Freedom› nicht anschließen?
Die offizielle Schweiz versteckt sich einmal mehr hinter ihrer Neutralität und macht sich so zur Komplizin der Autokratie, von der sie profitiert. Demokratische, progressive und feministische Bewegungen müssen sich mit der Revolution im Iran verbünden. Viele scheinen aber ins Stocken zu geraten. Die Stille ist für mich unerträglich. Ich will schreien, wie es Big Zis, die Zürcher Rapperin, letzten Samstag auf dem Bundesplatz getan hat: «Die Revolution wird feministisch sein oder es ist keine Revolution! Und der Feminismus ist intersektional und international oder es ist kein Feminismus!» Diese Hoffnung, der Glaube und der Mut, für eine gerechtere Welt einzustehen, sind das Mindeste, was wir den Menschen schulden, die für ihre – und ich behaupte – auch für unsere Freiheit kämpfen und ihr Leben hingeben. Lukas Bärfuss schloss seine Rede in Bern mit einem Aufruf, dem ich mich anschließe: «Der Mut ist die erste Tugend der Demokratie.»
Bild Sofia Lismont
Hey , ich heiße Fariba, seit ca. 30 Jahren wohne in Deutschland.
Danke für ihre nette Unterstützung von iranische Bewegung.
Genau, ich denke mir auch , demokeratie im Westen ist nicht wahre Demokerasie sondern Schein oder parlementarische demokerati.
Ich finde direktdemokratie auf dem Basis Bildung, Empathie, Schöpfung, Gerechtigkeit gegenüber Vereinte Gesetzt und Wahrheitsuchen um Individuelle angemessene Leben zu führen, lösung ist. In diesem Rahmen, um zu verwirklichen bin ich breit mitzumachen.
Ich hatte mir ueberlegt Das Goetheanum zu abonnieren, wenn ich aber sehe, dass sie Artikel wie den von Johanna Faust veroeffentlichen, werde ich es mir nochmals gut ueberlegen.
Ich bin sehr interessiert an den Geschehnissen im Iran, dann moechte ich aber einen Artikel von einer fachlich kompetenten Person lesen, einer Person mit tieferen Kenntissen der Lage und Geschichte.
Es drängt mich, dir zu widersprechen!
Johanna Faust verbindet aus meiner Sicht berechtigte Emotionen mit der Faktenlage. Mich hat insbesondere die Bemerkung «Die offizielle Schweiz versteckt sich einmal mehr hinter ihrer Neutralität und macht sich so zur Komplizin der Autokratie, von der sie profitiert» sehr berührt. Das ist auch in Bezug auf andere Geschehnisse, wie z.B. der Krieg gegen die Ukraine, absolut treffend formuliert, wo unsere «Neutralität» letztendlich absolut unneutral dem Putin-System zudient. Dieser Umstand lässt mich an der viel gepriesenen Humanität meines Vaterlandes beschämt zweifeln!
Auch möchte ich gerne den Aufruf am Ende des Artikels den Vertretern unserer „Neutralitätspolitik“ zur Verinnerlichung weitergeben: «Diese Hoffnung, der Glaube und der Mut, für eine gerechtere Welt einzustehen, sind das Mindeste, was wir den Menschen schulden, die für ihre – und ich behaupte – auch für unsere Freiheit kämpfen und ihr Leben hingeben.»
Auch den Aufruf von Lukas Bärfuss «Der Mut ist die erste Tugend der Demokratie.» beschreibt den Umstand treffend: Eine mutlose, nach innen gerichtete und profitorientierte Gesellschaft kann man kaum als Demokratie, welche die Garantie der Grundrechte miteinschliesst, bezeichnen.
Frau Faust hat bekannterweise selber eine ethisch schwierige Vergangenheit. Das ausnutzen Schwächerer für Aufmerksamkeit und selbst-bereichernde Zwecke ist dabei ein starker roter Faden. Ob sie die richtige ist über ethische Fragen zu urteilen ist schwer zu bezweifeln.