Befreit aus okkulter Gefangenschaft?

Die drei Physik-Nobelpreisträger 2022, John Clauser, Alain Aspect und Anton Zeilinger, haben experimentell gezeigt, dass die Quantenphysik mehr ist als Idee oder Theorie, Materie zu verstehen.


Es gibt wohl nur eine Gelegenheit, bei welcher Rudolf Steiner den Begriff ‹okkulte Gefangenschaft› nicht in einer ‹esoterischen Stunde› mit Bezug auf Helena Blavatsky verwendet hat, und zwar am 31. August 1923 im britischen Penmaenmawr. Dort beschreibt er die Intention ahrimanischer Wesen, die Menschheit mit atomistischen und molekularen Bildern zu umstellen und sie dadurch in eine solche Gefangenschaft zu versetzen. Es ist bemerkenswert, dass gerade zu Rudolf Steiners Lebzeiten die Physiker und Physikerinnen sich anschickten, den naiven ‹Teilchenatomismus› zu überwinden. Ein entscheidender Schritt gelang Werner Heisenberg im Juni 1925 mit dem ersten Entwurf der Quantenphysik, welche in Zusammenarbeit mit Niels Bohr und anderen bedeutenden Physikern in den folgenden Jahren ausgearbeitet wurde.

Einschneidende Neuerungen waren schon bei Heisenberg, dass über das Verhalten von ‹Quantenobjekten› – Teilchen kann man sie nach dieser Entwicklung eigentlich nicht mehr nennen – nur Wahrscheinlichkeitsaussagen möglich sind und ihr Verhalten von der durch das Experiment bestimmten Fragestellung abhängt. Das ging ‹realistisch› gestimmten Kollegen wie Albert Einstein zu weit, es müsse doch eine objektive, vom Menschen unabhängige physikalische Wirklichkeit der Dinge geben, und wenn man nur Wahrscheinlichkeiten angeben könne, so müsse das daran liegen, dass man bestimmte verborgene Variablen eben noch nicht kenne. Die Theorie sei unvollständig. «Gott würfelt nicht», behauptete Einstein. Die zwischen Bohr und Einstein geführte Debatte mündete in Einsteins Publikation zusammen mit Boris Podolsky und Nathan Rosen, das sogenannte EPR-Paradoxon, das ein Experiment als Konsequenz der Quantenphysik beschrieb, die, verkürzt gesagt, der gesunde Menschenverstand für unmöglich halten musste. Dabei nimmt man eine Situation an, in der zwei oder mehr räumlich voneinander entfernte Quantenobjekte (z. B. ‹Photonen›) nach der Quantenphysik ein gemeinsames System bilden, ‹verschränkt› sind, sodass sie in ihren Eigenschaften voneinander abhängig sind, egal wie weit sie voneinander entfernt seien. Die dabei implizierte sofortige Beeinflussung über den Raum hinweg war für Einstein «spukhafte Fernwirkung». Zwanzig Jahre später (1955) gelang es John Bell, diese Situation in eine prinzipiell im Experiment überprüfbare Ungleichung zu formulieren: Wird diese im Experiment verletzt, bedeutet dies, dass die Quantenphysik in diesem Zusammenhang korrekt ist und dass es zumindest keine lokalen verborgenen Variablen geben kann.

Derartige Experimente waren damals technisch nicht möglich. Erst 1972 gelang Stuart Freedman und John Clauser ein erster solcher experimenteller Test. Er fiel zugunsten der Quantenphysik aus. Später wurden solche Experimente verfeinert, um Unsicherheiten auszuschließen, insbesondere durch Alain Aspect, Philippe Granger und Gerard Roger 1982 und in den folgenden Jahren sowie noch später durch Anton Zeilinger und Kollegen, zuletzt 2015. Zeilinger hat seit Jahren mit spektakulären Experimenten auf Merkwürdigkeiten der Quantenphysik hingewiesen, ein Experiment zum EPR-Paradoxon zeigte er auf Einladung auch auf der Documenta in Kassel 2012. All diese Experimente führten zu einer Verletzung der Bell’schen Ungleichung und somit zu einer Bestätigung der Quantenphysik. Lediglich nicht-lokale verborgene Variablen ließen sich bisher nicht ausschließen, mit solchen arbeitet das Konzept von David Bohm.

Fotos von links: John Clauser, Alain Aspect. Quelle: Wikimedia Commons; Anton Zeilinger. Foto: Sepp Dreissinger

Auf eine Besonderheit dieser Experimente sei hingewiesen: Die Ergebnisse zeigen sich nicht als ‹normale› Beobachtung, sondern bestehen im Wesentlichen im Ansprechen von Detektoren und der Frage, ob zwei verschiedene Detektoren gleichzeitig ansprechen oder nicht. Das Ergebnis besteht in Korrelationen oder Antikorrelationen der ‹Ereignisse›. Wenn man überhaupt noch von einem Phänomen sprechen möchte, so handelt es sich allenfalls um ein Phänomen der Logik.

Mit den drei Nobelpreisträgern dieses Jahres, John Clauser, Alain Aspect und Anton Zeilinger (Freedman ist bereits 2012 verstorben und konnte daher nicht ebenfalls geehrt werden), werden also repräsentativ die Physiker geehrt, die experimentell bestätigen konnten, dass, vereinfacht ausgedrückt, mit der Quantenphysik das naiv-realistische Weltbild von Teilchen usw. überwunden wurde. In diesem Sinne kann man vorsichtig sagen, sie öffneten Wege aus der ‹okkulten Gefangenschaft›.

Man kann sich fragen, warum diese Erkenntnisse das heutige materialistische Weltbild so wenig beeinflusst haben. Der gleichzeitig verliehene Chemie-Nobelpreis für die sog. ‹Click-Chemie›, den gezielten Umgang mit Molekülstrukturen etwa, weist in die gegenteilige Richtung. – Ich fragte einmal einen Biologen, warum man etwa bei Untersuchungen der DNA so naiv von Teilchen ausgehe. Seine Antwort: Weil es funktioniert. – Es ist offenbar noch ein langer Weg für die Naturwissenschaft, diese Gefangenschaft wirklich zu überwinden.


Weiterführend ‹The Quantum Challenge› von G. Grenzstein und A. Zajonc, London 2005. Arthur Zajonc, der frühere Generalsekretär der Anthroposophischen Gesellschaft in den usa, hat mit Zeilinger gearbeitet. Aufschlussreich ist der Artikel von O. Passon und J. Grebe-Ellis ‹Was ist eigentlich ein Photon

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