Jede Metanoia, das heißt innere Wandlung, hat etwas Paradoxes an sich: Einerseits will ich Altes überwinden und mit etwas Neuem beginnen – und andererseits sabotiere ich selbst meine Wandlung. Diese Paradoxie ist sehr oft Thema in der Dichtung. Viele Theaterstücke zeigen diesen inneren Widerstreit in aller Dramatik. […]
Für die Metanoia kommt es gerade darauf an, dass ich durch Krisenerlebnisse neuen Mut fasse. Ich brauche Erkenntnismut und Handlungsmut, um mich den von mir selbst geschaffenen unangenehmen Tatsachen zu stellen. Das ist aber das Entscheidende. Zu den von mir geschaffenen Tatsachen gehört mein ‹Doppelgänger›. Er ist die Wirkung meines Denkens, Fühlens und Wollens und meines Tuns, wann immer diese seelischen Tätigkeiten von meinem Selbst nicht durchdrungen und nicht geleitet worden sind. Wie mein Schatten begleitet und verfolgt mich mein Doppelgänger auf Schritt und Tritt und wird mir zur Last. Ich trage ihn wie eine Bürde auf meinem Rücken mit mir und kann mich schwer von ihm trennen. Ich bin es selbst, der diesen zu seinem Leben als geistig-seelische Wirklichkeit erschafft. Und da für mich Reinkarnation und Karma – wie sie Rudolf Steiner in vielen seiner Werke beschrieben hat – zur Erkenntnisgewissheit geworden sind, bin ich mir dessen bewusst, dass mich mein Doppelgänger mit den Wirkungen meines Denkens, Fühlens und Wollens und Tuns meines jetzigen Lebens und meiner vorhergehenden Inkarnationen konfrontiert.
Aus Friedrich Glasl, Konflikt, Krise, Katharsis und die Verwandlung des Doppelgängers. Stuttgart 2007, S. 34.
Grafik Sofia Lismont