Gerda Zieglers Büchlein über die Anthroposophie in Siebenbürgen.
Das 130-jährige Jubiläum von Rudolf Steiners Besuch in Siebenbürgen in der Weihnachtszeit ist ein guter Anlass, sich mit Gerda Zieglers Büchlein ‹… von den schönen Tagen in Hermannstadt› und Rudolf Steiners dortigem Aufenthalt am Jahresende 1889 und dessen Folgen für das siebenbürgische Geistesleben zu beschäftigen. Was der Schrift eine besondere Note gibt, ist die Tatsache, dass die Autorin nicht nur seit Jahrzehnten mit der Anthroposophie verbunden, sondern als Siebenbürger Sächsin auch tief in Geschichte und Kultur dieser deutschen Minderheit in Rumänien verwurzelt ist.
Das Buch beginnt natürlich mit der Schilderung von Rudolf Steiners Besuch in Hermannstadt. Dort lebte sein alter Studienfreund Moritz Zitter, dem es ein Anliegen war, den Wiener Freund mit den siebenbürgischen Kulturträgern bekannt zu machen. Die sächsische Kultur charakterisierte Rudolf Steiner später als eine «Kultur des Herzens, die auch vor allem zum Herzen sprach». (1)
Zitter organisierte einen Vortrag Steiners im Saal des Brukenthal-Gymnasiums zum Thema ‹Die Frau im Lichte von Goethes Weltanschauung. Ein Beitrag zur Frauenfrage›, dessen Einnahmen der evangelischen Krankenanstalt am Ort zugutekamen. Der Vortrag wurde prominent angekündigt und von dem Lehrer und Pfarrer Eugen Filtsch – selbst ein Goethe-Experte – ausführlich besprochen. Ende Januar 1890 übersandte Filtsch dem Wiener Goethe-Forscher das siebenbürgische Herodesspiel und schrieb von seiner Absicht, zusammen mit seinem Freund, Prof. Josef Capesius (der Rudolf Steiner zu der gleichnamigen Gestalt in den Mysteriendramen zumindest mitinspiriert hat) (2), die ‹Grundlagen einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung› zu studieren. – Nach Wien zurückgekehrt, schrieb Rudolf Steiner Ende Januar seinen aus Siebenbürgen stammenden Freunden Amalie und Fritz Breitenstein: «Ich habe euch ja so viel, so viel zu erzählen von den schönen Tagen in Hermannstadt.» (3)
Gerda Ziegler führt in einem zweiten Kapitel auf dem Hintergrund der Goethe-Rezeption sowie dem damaligen Stand der Frauenfrage in Siebenbürgen aus, wie Rudolf Steiners Vortrag mit den damaligen Kulturfragen korrelierte. Ein Blick auf die Rezeption der Werke Rudolf Steiners durch Kulturträger der Region schließt sich an. Weiter beschäftigt sich die Autorin mit dem Echo auf den Waldorfschulimpuls in Siebenbürgen in den Jahren 1920–1932. Herausgehoben werden soll die Einladung Herbert Hahns zum siebenbürgisch-sächsischen Lehrertag 1927 in Kronstadt. Er hielt Vorträge und demonstrierte mithilfe zweier Dornacher Eurythmisten einige eurythmische Elemente.
Die Ausführungen darüber, warum die Waldorfbewegung und die Anthroposophie dort nicht weiter Fuß fassen konnten, geben zugleich einen tiefen Einblick in die siebenbürgisch-rumänische Geschichte. Vor allem spielten hier natürlich der Kommunismus, aber auch die kulturprägende Stellung der evangelischen Kirche eine Rolle. Gerda Ziegler versucht eine «Deutung anhand von Kategorien der Anthroposophie» und kommt unter anderem zu der Überlegung, dass die massenhafte Auswanderung der Siebenbürger Sachsen nach 1989 auch darauf zurückzuführen sei, dass die Rumänen damals «zum vollen Bewusstsein ihrer selbst» erwacht seien und damit die deutschen Kolonisten «ihre menschheitliche Aufgabe» erfüllt hätten.
Anregend sind die biografischen Skizzen von «siebenbürgisch-sächsischen Persönlichkeiten im Umkreis von Anthroposophie und Waldorfpädagogik». So finden sich kurze Kapitel zu Moritz Zitter, Amalie, Fritz und Julius Breitenstein, Konrad Möckel und Alfred Herrmann, den Brüdern Graeser, Emil und Carl Brestowsky sowie Friedrich Benesch. Am Schicksal des Arztes Emil Brestowsky wird in Kürze die Geschichte der Anthroposophischen Gesellschaft in Rumänien aufgezeigt.
Die wichtigsten Aussagen Rudolf Steiners im Zusammenhang mit Siebenbürgen finden sich im Anhang. Eine besondere Erwähnung verdient der Bildteil, der unter anderem als echten Fund eine alte Abbildung des Gasthauses am Bahnhof in Mediaș enthält, in dem Rudolf Steiner 1889 nach einem verpassten Zug zwölf Stunden verbrachte – und an einer Runde Kartenspielern interessante seelische Beobachtungen machte: «Menschen spielten da mit einer Leidenschaftlichkeit, die in Zeiten von einer halben Stunde sich immer überschlug, sodass sie wie in Seelenwolken sich auslebte, die sich über den Tisch erhoben, sich wie Dämonen bekämpften und die Menschen vollständig verschlangen. Welche Verschiedenheit im Leidenschaftlich-Sein offenbarte sich da bei diesen verschiedenen Nationen!»? (4)
(1) GA 28, S. 188.
(2) Siehe dazu: David Wood, Rudolf Steiner und Professor (Josef) Capesius, in ‹Die Drei› 2 u. 3/2011.
(3) GA 38, S. 216.
(4) GA 28, S. 187 f.
Gerda Ziegler, … von den schönen Tagen in Hermannstadt. Rudolf Steiners Aufenthalt in Hermannstadt am Jahresende 1889 und die Folgen für das siebenbürgische Geistesleben. Sibiu 2018. Einige Exemplare hat die Buchhandlung am Goetheanum vorrätig.
Titelbild: Hermannstadt, Kleiner Ring. Quelle: Wikimedia Commons