Es geht um die Mitte

Ein Gespräch mit Yaroslava Black-Terletska, gebürtige Ukrainerin und Priesterin der Christengemeinschaft in Köln, über den Krieg in ihrem Land. Das Gespräch führte Wolfgang Held.


Vor drei Tagen hat Russland seine militärische Invasion in der Ukraine begonnen. Was denken, fühlen Sie?

Yaroslava Black-Terletska Ich bin sehr betroffen. Ich höre häufig, dass die Ukraine ein junges Gebilde sei, in dem sich der Staat noch finden müsse. Das stimmt, wenn man mit dem Verfall der Sowjetunion die Geschichte beginnen lässt. Hebt man den Blick und schaut weiter, dann ist die Ukraine ein uraltes Gebilde. Die Kiewer Rus war ein uraltes Großreich, aus dem später die Ukraine, Russland und Belarus hervorgingen. Es musste sich behaupten gegen die Mongolen, die Tataren, musste gegen alle möglichen Völker sich bewähren, weil es immer wieder angegriffen wurde – auch von seinen Nachbarvölkern wie Polen oder Deutschland. Es hieß zu kämpfen, um sich zu schützen und sich so selbst zu finden. Aber das ist Vergangenheit! Dass jetzt erneut so ein Überfall über unser Land kommt, dass so etwas geschieht, das ist nicht nur menschlich eine Katastrophe, sondern auch historisch. Es ist einfach nicht mehr an der Zeit. Es fühlt sich an, als würde das letzte, das vorletzte Jahrhundert auferstehen. Deswegen fühlen viele Menschen in der Ukraine und nicht nur dort, dass es falsch ist. Ganz falsch ist – unabhängig davon, was man jetzt denkt über Russland, über die Ukraine, über Europa, über die EU, über die NATO. Ganz jenseits all dieser Debatten ist es grundsätzlich falsch. Es gehört nicht in unser Jahrhundert hinein. Ja, so fühlt sich das gerade an.

Ein Vergleich: Von niederländischen Freunden hörte ich, dass der Einfall der deutschen Wehrmacht 1940 in ihr Land so entsetzlich erlebt wurde, weil es der Bruder war, der das Land überfiel. Ist das für die Ukraine ähnlich?

Ja, das Empfinden ist schon ähnlich, denn genauso wie zwischen Deutschland und den Niederlanden gibt es auch zwischen Russland und der Ukraine sprachliche Nähe. Man hat als Nachbarländer nicht nur eine gemeinsame Geschichte, man fühlt sich auch auf der sprachlichen Ebene verbunden. Deshalb ist der Überfall so brutal.

Wie klingt für ukrainische Ohren das russische Narrativ bzw. die Kriegspropaganda, dass die Ukraine zu einem russischen Großreich gehöre und keine eigentliche Nation sei.

Das klingt ganz schlimm für ukrainische Ohren, denn wie schon gesagt, die Geschichte der Ukraine ist über 1000 Jahre alt. Wenn man aus einem Narrativ hier Ansprüche ableiten möchte, dann könnten auch die Norweger sagen, dass sie als Wikinger-Gründer hier das Recht haben, die Ukraine als Teil ihres Landes zu sehen. «Wir haben das einmal erobert und wir haben unsere Fürsten und Könige auf den russischen Thron, den Thron von Rus gesetzt, also gehört das Land uns. Doch den Schweden oder Norwegern kommt das zum Glück nicht in den Sinn, jetzt nach Kiew einzumarschieren. Die Geschichte ist so reich! Viele Völker haben an dem Staat Ukraine mitgebaut, viele Völker haben mitgemischt, im Schlechten wie im Guten. Hätten solche historischen Narrative heute noch Gültigkeit, dann könnte Polen sich die Westukraine nehmen, denn Galizien war auch die Heimat des polnischen König Johann Sobieski und er hatte dieses Gebiet eine Zeit als Polen-Litauen unter sich. Auch Österreich könnte aufstehen und sagen, dass man etwas von der westlichen Ukraine beanspruche, weil in der österreichisch-ungarischen Monarchie unter Kaiser Franz Joseph die Westukraine sehr beliebt war. Unser Kaiser hat mit Eisenbahn und guten Straßen die Westukraine erschlossen, in die Kultur investiert. Ja, wo sollen wir anfangen und wo sollen wir enden?

Jenseits all dieser Debatten ist ein Krieg grundsätzlich falsch. Es gehört nicht in unser Jahrhundert hinein. Ja, so fühlt sich das gerade an.

Was ist die Ukraine? Sie liegt am Rand Europas und in der Mitte zwischen Asien und Europa.

Sie liegt nicht am Rande, sondern tatsächlich im Zentrum zwischen den Völkern, zwischen den Religionen und Kulturen. Diese zentrale Lage ist Segen und Fluch gleichzeitig. Die Ukrainer sind ein Volk, das mitten in Europa lebt, und doch scheint es von außen nicht klar zu sein, wo es hingehört, bzw. die EU getraut sich nicht, dies der Ukraine zuzugestehen.

Die Ukraine ist ein großes Land, in dem sich die Menschen endlich gefunden haben, so wie sie sind, so unterschiedlich, wie sie sind. Da leben Russen wie Krimtataren und Ukrainerinnen und Polinnen, griechisch-orthodoxe, römisch-katholische, russisch-orthodoxe, Muslime und große jüdische Gemeinden. Sie leben alle dort in diesem Land Ukraine und alle versuchen miteinander, jetzt unabhängig davon, welche Sprache sie zu Hause sprechen und in welche Kirche sie gehen, sich gegen den russischen Angriff zu behaupten. Das ist schon alleine die Antwort. Also wer kann heute noch einen Anspruch erheben und mit welchem Argument?

Der aktuelle Krieg ist auch ein Konflikt der Gesellschaftssysteme, zwischen Demokratie und Autokratie. Wie demokratisch ist die Ukraine?

Ukrainer und Ukrainerinnen sind von Natur aus eine Mischung aus Anarchisten und Demokraten. Das ist eine lustige Mischung: Die Menschen der Ukraine lieben es nicht, wenn jemand über sie regiert, über sie als ein Fremder bestimmt. Da nehmen sie lieber mit einem eigenen Präsidenten Vorlieb, und sei er dumm oder korrupt. Wenn so jemand von außen die Spielregeln bestimmen möchte, fühlen sich alle Ukrainer und Ukrainerinnen, egal in welcher Sprache sie zu Hause sind, vereint und leisten Widerstand. So war das seit Bestehen der Kiewer Rus – eine gewisse Sturheit und Widerstand gegenüber jedem, der von außen kommt und das Was und Wie vorgeben möchte. So war es auch mit der Christianisierung. Die Lateiner, so wurden die Christen aus Rom genannt, kamen mit der Absicht, die Religion hier vorzugeben. Da wehrten sich die noch nicht christianisierten, nennen wir sie Bewohner und Bewohnerinnen des Kiewer Rus und sagten Nein, wir wollen selbst wählen. Sie wählten, was ihnen gefiel. Ein schönes Beispiel ist die selbsternannte und demokratisch geführte Kosaken-Republik, als Schutzarmee gegen Türken-Tataren, eine selbst gegründete Brüdergemeinschaft, so eine Art Ritterbund. Auch die Nachbarvölker beanspruchten ihre Dienste. Sie kommen übrigens auch in der ukrainischen Hymne vor. Aber als sie zu stark wurden, hat die russische Fürstin Katherina sie heimtückisch vernichtet. Das war immer so in der Geschichte, selbst wenn es nicht perfekt ist, selbst wenn dieser nicht so gut war oder der Präsident. Aber die Ukrainer möchten, dass sie selbst bestimmen. Und wenn sie spüren, dass da etwas Faules im Spiel ist und jemand ihnen einen Präsidenten vorsetzen möchte, dann wehren sie sich. So war es mit dem korrupten, von Russland bezahlten Janukowitsch der Fall, der sich an unserem Land bereichert und nichts für das Land getan hat. Mögen die Ukrainer und Ukrainerinnen gutmütig und vielleicht phlegmatisch sein, wenn es ihnen aber zu weit geht, dann wehren sie sich.

Aussicht vom Volodymyrska Girka auf Kiew und den Fluss Dnjepr in 2019, Foto: Robert Anasch

Auf den Ursprung der Kiewer Rus erhebt nun Russland ebenfalls Ansprüche.

Ja, so ist es. Die Ansprüche erhebt nicht Russland, sondern der russische Präsident und seine Politiker. Doch sie können das weder geschichtlich noch mythologisch noch sprachlich in Anspruch nehmen, weil sie es ja nicht gegründet haben. Ganz schlicht und einfach. Das waren viele unterschiedliche slawische und nicht nur slawische Stämme. Das waren Skythen auf diesem fruchtbarem Boden: Krieger und Erdbebauer. Und dann kamen im 8. Jahrhundert die Ruriks, die Waräger, die sich einen Weg bis nach Konstantinopel bahnten. Sie siedelten sich in diesen mit vielen kleinen slawischen Stämmen bewohnten Gebieten an. Da geschah eigentlich etwas ganz Wunderbares, etwas, von dem man sagt, es könne nur im slawischen Milieu sich so ereignen: Die fremden Eroberer aus dem Norden wurden hier Fürsten, weil sie in diesem Land selbst aufgingen: in dieser Kultur, die sie vorfanden, und in der Sprache, die sie hörten. Wäre es nicht so gewesen, würden wir heute so eine Art skandinavisch reden. Wie war das möglich? Sie sind in diesem Volk aufgegangen, weil sie es liebten und weil diese Kultur hier stark ist, so scheint mir. Die Vitalität dieser ukrainischen Kultur – oder wie soll man es nennen – führte dazu, dass die Stämme aus dem Norden ihre eigene Identität hineingegeben haben in diese Kultur. Aus Helga wurde Olga, aus Waldemar wurde Wladimir. Übrigens: Moskau gab es da noch nicht.

Es macht keinen Unterschied, ob wir hier Russisch reden oder Jiddisch oder Krim­tatarisch, wir sind frei.

Ist von diesem nordischen Einfluss noch heute etwas zu spüren?

Ja, durchaus. Ganz äußerlich steht dafür ein großes Denkmal im Zentrum von Kiew. Es ist die Skulptur eines großen Schiffes mit den drei Brüdern Kyi (von ihm soll der Name Kiew stammen), Shchek und Khoryv und der Schwester Lybid, die noch im 6. Jahrhundert hier eine Stadt gründeten. Man erinnert sich an Fürst Wladimir I. oder Jaroslaw, den Weisen, der vor 1000 Jahren viele Kirchen baute und eine goldene Zeit begründete, eine Blütezeit der Kiewer Rus. Sie stehen für all die Mythen und Geschichten und Legenden, dich sich um diese nordischen Wurzeln ranken. Die vielen Töchter des Königshauses gingen als Prinzessinnen nach Frankreich, nach Schweden, nach Norwegen, nach Polen und haben die Ukraine weiter mit Westeuropa verwoben.

Liegt in diesem Miteinander von Slawischem und Nordischem der Grund für die Schönheit, die man den Ukrainern und Ukrainerinnen zuspricht?

Schönheit und Kampfwille, ja. Ich erzähle dazu eine Anekdote. 2018 haben wir in der Christengemeinschaft die Gemeinde in Kiew gegründet. Wir waren schon länger tätig, aber die offizielle Gründung geschah erst vor vier Jahren. Für die Feierlichkeiten hatten wir ein großes Gebäude im Zentrum der Stadt gemietet. Viele Freunde kamen aus dem Ausland, auch aus Georgien, zu den Feierlichkeiten. Gerade mit Georgien ist die Ukraine über das Schwarze Meer hinweg, aber auch innerlich eng verbunden. Da traf ich die georgischen Gäste im Zentrum der Stadt, wie sie auf einem Platz saßen und schauten und schauten. Weil es Zeit für das Mittagessen war, fragte ich: «Hey Freunde, wieso sitzt ihr hier und schaut so vor euch hin. Wir gehen doch zum Mittagessen.» Da sagte mir ein georgischer Mann mit einem Seufzer, dass er vom Anblick der Kiewer Frauen schon gesättigt sei. Wir haben so gelacht.

Wie steht es um die Krim. Hier macht ja ebenfalls Russland Ansprüche geltend und hat diese durch die Annexion 2014 durchgesetzt.

Die Krim gehört zum Herzen der Ukraine, es liegt hier aber anders als bei Kiew. Die neue slawische Christianisierung, die haben die Gesandten Kyrill und Method aus Konstantinopel zu uns gebracht. Eine wichtige Station war für diese frühen Christen die Krim. Diese Tatsache schildert auch Markus Osterrieder in seinem Buch ‹Sonnenkreuz und Lebensbaum›. Sie hatten, so erzählt es eine Legende, in der Nacht eine Inspiration. Sie könnten Slawen nur christianisieren, wenn sie für diese eine eigene Schriftsprache entwickeln und ein Vorwort zum Johannesevangelium verfassen würden, sodass sie direkt angesprochen würden mit den Worten: «Höret, o Slawen, was der Geist für euch zu sagen hat.» Dann folgt das Johannesevangelium. Die Inspiration lautete weiter, dass diese neue Schriftsprache aus den drei heiligen Schriftzeichen für Vater, Sohn und Geist, also Kreis, Kreuz und Dreieck bestehen sollte. Aus diesen Zeichen ließen sich dann viele Buchstaben entwickeln. Kyrill war im Altgriechischen zu Hause, sodass es naheliegt, dass eine dem Griechischen so nahe Schrift entstand.

Die Krim als Ursprungsort der kyrillischen Schrift?

Es geht hier nicht um irgendwelche politischen Fragen, es geht auch nicht darum, was Rudolf Steiner zu wem gesagt hat. In dem Augenblick auch nicht über die große russische Seele.

Inwiefern ist die russische Sehnsucht nach der Ukraine verständlich?

Ja, sie ist verständlich. Die Ukraine ist wie ein schöner Garten, vor allem aus russischer Perspektive. Dort kann man sich erholen. Ein Land wie eine große Datscha, die man nicht selbst versorgen muss. Da fährt man schön hin, macht Urlaub und da kochen Menschen gutes Essen. So oder so ähnlich lebt es im kollektiven Gedächtnis aus der sowjetischen Zeit. Die Städte wie Lwiw (Lemberg) oder Tschernowitz haben einen europäischen Charakter, auch Kiew oder Charkiw. Es sind Städte, die auf Kultur gebaut haben, sodass man sich fast in Wien meint. Da fuhren sehr gerne und oft Russen in Urlaub, denn die eigene Sprache wird dort verstanden, man fühlt sich also weiterhin wie zu Hause. Es wird uns etwas weggenommen, wo wir so gerne immer hinfuhren und wo wir so gerne waren, dieses Gefühl ist sicher verbreitet. Man konnte zu Sowjetzeiten auch nach Georgien, ein Land, das ebenso alt und schön ist, aber mit dem Russischen fühlt man sich dort fremd. Das ist etwas ganz anderes. Die Sprache verschafft Nähe. Sie macht aber auch verletzlich.

Es ist ein Mythos. Aus dieser Perspektive ist die Krim etwas Kostbares, eine Art Mysterienort, der als ein Zipfel an der Ukraine hängt. Es ist keine Insel, sondern eine Halbinsel, das spricht eine geografische Sprache. Katharina hat die Halbinsel dann 1783 erobern lassen. Das ist noch nicht so lange her. Später kam dann der Vertrag mit Kruschtschow, der das Eiland wieder der Ukraine gab. Man kann somit nicht guten Gewissen behaupten, die Halbinsel sei schon immer russisch gewesen. Die Krim kann ohne ukrainische Wasserversorgung nicht existieren, deshalb gab es gute Gründe, das Land wieder der Ukraine zu geben, damit man dort Menschen versorgen kann.

Bei allem Schrecken, den diese Katastrophe bedeutet, was gibt Ihnen Hoffnung?

Hoffnung habe ich, wenn ich mir die Berichte und Bilder anschaue und von vielen Freunden lese, was gerade in all der Not geschieht. Da ist so eine große Brüderlichkeit, eine so große Solidarität! Die Menschen helfen einander, alte Frauen machen Kartoffelpuffer und bringen sie den Soldaten auf die Straße, der Bürgermeister Klitschko bastelt mit den Jungs Molotowcocktails. Der Präsident, ohne jegliche Kriegserfahrung, zieht den Helm an und sagt: Ich bin hier. Man will und muss sein Land verteidigen und tut das gemeinsam. Wir werden Kiew nicht aufgeben. Das ist ein Gefühl, das vereint.

Russland müsse die Ukraine von einem Regime befreien, so lautet das Lügennarrativ. Wir wollen nicht befreit werden, wir sind frei. Das ärgert Putin sehr. Die Ukrainer werden sich nicht für das billige Gas unterwerfen. Stalin hat es mit der künstlichen Hungernot gegen die Ukraine auch nicht geschafft. Da starben unter schrecklichsten Umständen vier bis acht Millionen Menschen. Es macht keinen Unterschied, ob wir hier Russisch reden oder Jiddisch oder Krimtatarisch, wir sind frei. So fühlen die Menschen. Da herrscht jetzt eine große Verbundenheit zwischen jüdischen Gemeinschaften, zwischen krimtatarischen Gemeinschaften, russisch sprechend, ukrainisch sprechend, polnisch sprechend. Sogar Roma haben gestern einen russischen Panzer geklaut. Alle helfen, wie sie können. Alle sind versammelt um die Freiheit. Es geht um Freiheit und Selbstbestimmung.

Ich habe mich über Gerald Häfners Interview zur Ukraine gefreut. Er sagte aber auch, dass die Ukraine am Rand sei. Da liegt ein sprachliches Missverständnis. Der Namen ‹Ukraine› in russischer Übersetzung heißt auch tatsächlich ‹Land am Rande› bzw. ‹am Land›. Ja, die Ukraine ist aus einer russischen Perspektive ein Rand: Danach sind die Katholiken und die lateinische Schrift. Nimmt man es in ukrainischer Sprache, dann heißt das Wort ‹Krai› nicht Rand, sondern Land und ‹U› bedeutet ‹im› und nicht ‹am›. Also bedeutet U-Kraine dabei ‹im Land›, ‹in der Landesmitte›. Der ‹Rand› gehört zu den Narrativen, die von der russischen Seite tradiert werden. Etymologisch war das so, dass die Leute, die von Eroberungszügen oder Reisen wieder zurückkehrten, dann sagten, dass sie wieder ‹im Land› seien, wieder ‹Ukraine› seien, also wieder in ihrem Land. So hat sich der Name gebildet und wurde eine Zeitlang parallel mit ‹Rus› gebraucht. Und übrigens, Johann Gottfried Herder in seinem Reisejournal von 1769 spricht sehr zukunftsweisende wahre Worte über die Ukraine. Sie müsste man hier eigentlich zitieren. Aber Putin liest natürlich keinen Herder.

Ob ich Hoffnung habe? Ja, ja, also ja, ich habe große Hoffnung, wenn ich diese Menschen sehe, wenn ich sehe, wie die Städte bombardiert werden, Charkiw, Kiew, Odessa und die Menschen trotzdem ihren Humor nicht verlieren und scherzen. Und die Frauen gebären in der Nacht in der U-Bahn-Station. Und alle feiern die Geburt und sagen: «Jetzt ist das Baby mit Feuer und Wasser getauft.» Welche Brüderlichkeit über das Nationale hinweg dort herrscht! Als ob die Menschen, vielleicht ganz unbewusst, etwas von diesen kostbaren Keimen, von denen Herder sprach, für die Zukunft schützen müssen. Das wünsche ich auch uns hier, unseren, meinen deutschen Freunden, dass sie nicht am Rande der Geschichte untätig bleiben, nicht an der Erklärung des Wortes ‹vom Rande› bleiben, sondern denken, das ist jetzt die Mitte und es geht um die Mitte und da muss man helfen. Denn Menschsein ist heute die Mitte. Und es geht hier nicht um irgendwelche politischen Fragen, es geht auch nicht darum, was Rudolf Steiner zu wem gesagt hat. In dem Augenblick auch nicht über die große russische Seele. Die wird bestehen, keine Sorge, auch sie muss sich wandeln. Aber heute geht es darum, meinem Bruder, der in Not ist, zu helfen, bevor es zu spät ist. Die Ukraine wehrt sich, allein gelassen, gegen den Ungeist des letzten Jahrhunderts, gegen die Lasten der Vergangenheit. Diese Eroberungskriege gehören nicht in unsere Zeit. Wie auch das alte Denken über ‹Einflusssphären›. Das ist Schnee vom gestern. Heute kann eine Beziehung nur aus Freiheit entstehen. Und Menschen in der Ukraine stehen für ihre Freiheit und für unsere Freiheit zugleich. Damit wir aufwachen.

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