Ich lese in einem Buch, dessen Inhalt über 2000 Jahre alt ist.
Woher kommt diese Vertrautheit, diese Intimität, die ich gegenüber dem Text empfinde? Berührender als viele Begegnungen, die ich sonst in meinem Leben erlebe. Beim Lesen trete ich in eine Wesenhaftigkeit ein – da gibt es jemanden. Das Buch wird durchsichtig. Manchmal tauchen große Resonanzen auf: Bücher klingen miteinander durch die Jahrhunderte.
Früher dachte ich, Bücher seien ein Haufen zusammengebundener Papierbögen, mit Zeichen bedeckt, um Informationen zu verschlüsseln. Auch digitale Bücher: nur Sammlungen von Ziffern. Das sind sie auch. Aber nicht nur. Allmählich sind sie auch zu Fenstern geworden, durchsichtig und groß.
Meine Bibliothek ist von edlen Geistern durchzogen, die sich in ihr treffen. Sie hat Strahlen, die sie mit der Erde, den verschiedenen Zeiten der Menschheit und deren Meistern verbinden. Wie eine spirituelle Kreuzung, ein unaufhörliches, stilles Gespräch. Ein Treffpunkt für alte Bekannte und Freundschaften.
Grafik: Fabian Roschka