Als ich die ersten Male die Weihnachtsgeschichte für meinen Sohn erzählte, war er noch so klein, dass es sich immer nur um kurze Ausschnitte aus der Erzählung handelte.
Eine Szene, die ihn seit einem Jahr tief beeindruckt und die er immer wieder hören möchte, ist der Moment, wenn Maria und Josef in Bethlehem ankommen und eine Herberge suchen. Sie sind arm und können nichts zahlen. Es kommt der dramatische Auftritt des Wirtes. Ich erzähle meinem Sohn mit Gebärden vor, was sich abspielt. Das Elternpaar in der Kälte, ihre bittende Haltung – der runde Wirt, der aus einem warmen, geschäftigen Haus tritt und mit verschränkten Armen meint: «Nein, hier ist kein Zimmer frei.» Beim ersten Mal war mein Kind so entsetzt, dass er nur erwiderte: «Wieso?» Dann mussten wir über Wochen wieder und wieder spielen, wie der Wirt – oder, wie der dann von meinem Sohn genannte böse Wirt – den Armen den Zutritt zu seinem Haus verweigert. Nur im letzten Moment gibt er ihnen noch den Stall. Weihnachten ist nicht der beste Moment, um sich zu empören, und überhaupt glaube ich schon lange nicht mehr an die Empörung. Aber es nimmt mich wunder, gerade zu Weihnachten: Ist es wahr, was wir kollektiv vertreten, ist da wirklich kein Zimmer mehr frei? Wie viel braucht man denn, um teilen zu können?
Einige Zeit später verdrängte der Auftritt der drei Könige den des Wirtes aus unserer Aufmerksamkeit. Die Weisen, die etwas von den Sternen, vom Schicksal der Welt wissen, die über weite Räume und Zeiten auf die Bedeutung eines Wesens schauen und mehr wissen, als sie sehen. Die eine weite Reise auf sich nehmen, etwas opfern, mit Geschenken kommen, um ihr Knie vor einem Säugling zu beugen. Mit ihnen klingt das Weihnachtserlebnis aus. Maria, Josef und Jesus werden zu Flüchtlingen im eigenen Land. Im Bogen zwischen dem Wirt und den Weisen liegen 13 Nächte, liegt die ganze Menschlichkeit: der Egoismus, die Angst vor dem Fremden oder dem Verlieren, die Unsicherheit, die Abwehr, das Erbarmen, das Heilige, die Gnade, die Liebe, die Hingabe, der Jubel, das Staunen, die Ehrfurcht, die Anbetung und Demut.