Was meine ich mit Gesprächsfluss?

Im Gespräch wirken mehrere Teilnehmende mit, sodass wir in den klassischen Künsten als Vorbilder die Musik, und zwar als Interpretation, die Schauspielkunst und den Tanz haben. Dabei ist es so, wie wenn man in diesen Künsten improvisieren würde.


Es geht sowohl in einem Musikstück wie im Gespräch darum, das Vorangegangene als bestimmenden Faktor ins Gegenwärtige einzubeziehen. Wir müssen daher das Gespräch als gestaltete Zeit verstehen. Das fließende Wasser ist das Sinnbild für die dahinfließende Zeit und die Sprache selbst weist uns auf einen Zusammenhang des Gesprächs mit dem Wässrigen: Es fließt, es stockt, es strömt oder plätschert dahin. Ein Fluss braucht neuen Stoff von der Quelle. Auch ein Gespräch braucht Substanz in Form von speisenden Beiträgen. Durch das Gefälle bewegt sich das Wasser zur Mündung. Auch ein Gespräch lebt von der Bewegung, es muss fortfließen. Durch die Wechselwirkung von Flussbett, von Stein und Erde mit dem fließenden Wasser entsteht eine Spannung, felsige Hindernisse schaffen Schluchten. Nur wenn eine Spannung vorhanden ist, kommt ein Gespräch in Gang, wie das Erlebnis des Nicht-Wissens und der Hoffnung auf einen wissenden Partner oder wissende Partnerin. Bekanntlich fließt ein Gewässer nie in gerader Richtung; die natürliche Form der Bewegung ist die des Mäanders, wobei das Gewässer aus der Mittelachse auf die eine oder andere Seite ausbuchtet. Auch ein Gespräch hat solch eine Richtung und ein Ziel, dem es zustrebt.


Zusammengestellt aus: Heinz Zimmermann, Sprechen, Zuhören, Verstehen – in Erkenntnis- und Entscheidungsprozessen. Stuttgart 1992.

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