Im Kunstmuseum Basel bilden ‹The Hearth› (Feuerstätte) von 1968 bis 1974 und ‹Feuerstätte II› von 1978 bis 1979 eine zusammenhängende Raumplastik, die einlädt, nicht nur angeschaut, sondern betreten zu werden.
Indem sich die Betrachtenden dieser Raumplastik nähern, nehmen sie an einer offenen Versammlung teil – einer ‹Konferenz› von Kupferstäben und (vereinzelt) Eisenstäben. Die Kupferstäbe mögen an Eurythmiestäbe erinnern, es sind aber keine röhrenartigen, sondern massive, immerhin handliche Objekte von Gewicht, dynamisch gruppiert von links nach rechts gemäß den aufsteigenden Primzahlen 1, 2, 3, 5, 7, 11 (imaginär lässt sich die Reihe ins Unendliche fortsetzen). Die Aufstellung der Kupferstäbe wird links unterbrochen von zwei eisernen Elementen, nämlich einem Stab und einem Stock mit nach unten, also erdwärts gerichteter Krümme. Gegenläufig zur wachsenden Zahl der rings versammelten, an die drei Wände eines Raumes gelehnten Kupferstäbe ist in der Mitte eingefahren ein (nicht von Beuys gezimmertes) Wägelchen, das Sockel ist für einen lang gestreckten, zerteilten, in einer gelängten Krümme endigenden Kupferstab, von Beuys ‹Eurasienstab› genannt. Er verbindet bildlich, um mit Beuys und Steiner zu sprechen, das Ahnen des ‹Ostmenschen› und das Analysieren des ‹Westmenschen› mit dem Ziel, ein voll anschauendes, ein imaginierendes Denken zu erreichen. Vor der Deichsel des Wagens liegt ein mit Filz umwickelter, quasi erwärmter Wanderstock aus Kupfer. Er ist das Gegenstück zum erwähnten eisernen Stock. Wem hat der ‹warme› Stock zum Herkommen (mit Wagen) gedient? Welchem Ich, das nun vom Wir der vielen Stäbe umgeben ist? Der potenziell bewegte Wagen und der abgelegte Wanderstock sind hier angekommen, erwecken aber auch die Frage: Woher? Und: Was folgt?
Ahnung und Analyse verbinden
Dem Grundbild der Versammlung um den jetzt angekommenen Wagen und den Wanderstock herum sind – in einer speziellen Ebene, nämlich an der Wand hoch oben – drei schwarze hölzerne Wandtafeln angefügt. Sie zeugen von einer gewesenen Versammlung, bei welcher Joseph Beuys vor Publikum einen Vortrag gehalten hat. Dabei hat Beuys – wie dies Lehrer in der Schule immer schon gemacht haben, auch Rudolf Steiner tat es zur bildhaften Verdeutlichung seiner Vorträge – während des Redens manche Begriffe und diagrammatische Formen auf die Tafeln aufgeschrieben, sodass aus der Bewegung des Denkens und Redens heraus etwas Geformtes entstanden ist, das Beuys gemäß seinem ‹erweiterten Kunstbegriff› mit der Raumplastik verband. Die ‹Erweiterung› besagt, dass eigentlich jede freie Gestaltung als künstlerische Leistung des Menschen zu verstehen sei. Jedes kreative Denken, Sprechen, Gestalten und Handeln in welchem Feld auch immer sei, so proklamieren die Wandtafelzeichnungen in ‹Feuerstätte›, neben den traditionellen Künsten (Plastik, Malerei, Musik, Tanz, Architektur usw.) als ‹soziale Plastik› zu begreifen (auf der links oben hängenden Tafel hat Beuys diese These schwungvoll notiert). Also ist jeder kreativ denkende und handelnde Mensch ein Künstler; er sollte sich dessen bewusst sein. Als das folgenreichste Gebiet des kreativen Wirkens erkannte Beuys die Formung des ‹Gesellschaftsleibes›. Die Frage ist (so Beuys im Gespräch mit Michael Ende am 8. Februar 1985, ‹Kunst und Politik›, S. 110): «Mit welchem Kunstbegriff kann ich es erreichen, dass der soziale Organismus zu einem Kunstwerk wird oder überhaupt zum Leben kommt, wo er von sich aus hin tendiert […]?»
Die mittlere Wandtafelzeichnung in ‹Feuerstätte› basiert auf Rudolf Steiners Darstellung der Dreigliederung des sozialen Organismus. Darüber sprach Beuys am 10. Mai 1974 in Oxford, in englischer Sprache, so gut es ging und immer mit der weißen Kreide in der Hand. Die Rede und die Aufzeichnungen, die der Spur nach verfolgt werden können, sind in das Kunstwerk namens ‹Feuerstätte› integriert als ein Fenster von der Raumplastik aus in Richtung soziale Gestaltung. ‹Feuerstätte› ist das erste Beuys’sche Werk mit Wandtafelzeichnungen. Weitere Werke folgten, so die aus langen Gesprächen hervorgewachsene Wandtafel-Versammlung mit dem Titel ‹Richtkräfte› (der Begriff ist von Steiner übernommen). In seinen ‹Aktionen› der 60er-Jahre hatte Beuys Wandtafeln bereits einbezogen. Die Steiner’schen Wandtafeln waren ihm bekannt. Beuys wollte Steiner zwar nicht zitieren; wenn man ihn aber auf Steiner ansprach, bestätigte er den Zusammenhang. Er konnte auch mal sagen: Im Grunde sei jeder Mensch nicht nur Künstler, sondern «jeder Mensch ist Anthroposoph» (‹Joseph Beuys im Gespräch mit Knut Fischer und Walter Smerling›, 1989, S. 52). Er meinte: Jeder Mensch müsste sich die Freiheit nehmen und müsste das Bewusstsein haben, Künstler oder Künstlerin, vielleicht auch Anthroposophin oder Anthroposoph zu sein. – Es sei hier angemerkt, dass Beuys im März 1973 in Dornach an einem Gespräch über Rudolf Steiners ‹Kernpunkte der sozialen Frage› teilgenommen hat.
Wärmebildend kooperieren
Auch die links außen platzierte Wandtafel-Zeichnung ist ein Überbleibsel von jener Rede, die Beuys am 10. Mai 1974 in Oxford gehalten hat. Thema waren hier das Eisen (im Unterschied zum Kupfer), der Kelch oder Gral, die Erde im Verhältnis zu den bewegenden geistigen Kräften, die materiell-irdisch sichtbar werden (‹Earth/Matter›, Sender/Empfänger). Die Qualitäten von Eisen (martialisch, männlich) und Kupfer (venerisch, leitfähig, weiblich) müssten wärmebildend kooperieren. In der Mitte von ‹Feuerstätte› liegt in der Kante von Boden und Wand ein langer filzumwickelter Stab aus zusammengeschraubtem Eisen und Kupfer. In ihrer Verbindung generieren die beiden Metalle elektrische Energie – in geringer Menge, jedoch faktisch fassbar und den Bereich der bloßen Symbolik überschreitend.
Die dritte Wandtafelzeichnung, die rechts außen hängt, ist nicht während einer Rede entstanden. Sie zeigt die Landkarte von Nordirland samt den Namen der Parteien, die miteinander im Streit lagen. Beuys schrieb dazu das Wort ‹Feuerstätte›, englisch: ‹Hearth›. Der gewaltsam ausgetragene Kampf der Parteien in Nordirland ergibt das negative Bild einer ‹Feuerstätte›, der die versammelten Kupferstäbe das positive Bild einer ‹permanenten Konferenz› entgegenhalten. Anstelle der Auseinandersetzung mit Waffengewalt müsste der ‹Krieg der Ideen›, auch der ‹Ideenkrieg mit sich selbst› treten. Das ideelle Feuer, so Beuys, «und die permanente Konferenz sollen eine Tabula rasa vorstellen und zugleich einen Neubeginn: Während das Alte noch sei, aber langsam verbrenne, sei durch den Kreis der Beteiligten eine neue Sache in Beratung und würde wohl auch in Erscheinung treten» – so äußerte sich Beuys über das Bild der ‹Feuerstätte› (in einem Gespräch mit Antje von Graevenitz).
‹Feuerstätte II 1978–1979› erscheint als eine Bündelung der Elemente, die in ‹Feuerstätte 1968–1974› offen ausgebreitet sind. Dazu kann man die Geschichte erzählen, die sich an der Basler Fasnacht des Jahres 1978 mit Beuys’ Teilnahme ereignet hat (siehe Mysterien im Fasnachtszug). Im Wechsel zeigen sich bei ‹Feuerstätte› I und II Bewegung (Wagen, Wandtafeln aus dem Fluss der Rede), Aufstellung (als Versammlung), neuerliche Aktion (an der Fasnacht, als die Filzgewandeten die verdoppelten Metallstäbe herumtrugen) und neue Aufstellung im Kontrast (offen/gebündelt).