Ein deutscher Philosoph hat gesagt, das Kind lerne sprechen, im Laufe des Lebens lerne der Mensch aber das Schweigen.
Gemeint ist nicht das Verschweigen, sondern die besonnene Kraft der Zurückhaltung. Mit dem Schweigen beginnt Verantwortung für das, was man sagt. – Was hier geschieht, ist eine Verwandlung, in der die ungeläuterten Seelenkräfte, die bisher mit der Sprache verbunden waren, aus dem Sprechen herausgesondert werden. So kommt die Sprache in Zusammenhang mit höheren Kräften. Das Aussprechen einer geistigen Wahrheit entspringt immer aus der Läuterung der Sprache und einem langen Schweigen. Man bedenkt die Wirkungen dessen, was man anderen mitteilt.
In der mantrischen Meditation erübt der Mensch im Laufe von Monaten und Jahren ein inneres Sprechen. In der frühen Kindheit hat er im Sprechenlernen aus den Kräften der Sprache in den Organen seines noch zarten Leibes die äußere Sprachorganisation gebildet. Sprache hatte hier eine schöpferisch wirkende Kraft. Beim äußeren Sprechen wirkt diese Kraft dann weitgehend unbewusst in den physischen Organen. Im inneren Sprechen werden sie in der Hingabe an die spirituelle Kraft des Mantras aus den Organen herausgelöst. Sie leben dann als übersinnliche Kräfte in der Meditation auf.
Aus: Jean-Claude Lin (Hg.), Die Monatstugenden, Reihe ‹Falter›, Stuttgart 1999.
Foto: Sofia Lismont
