Covid-19: Die Zukunft ins Auge fassen

Zur Frage der Impfung gegen das Coronavirus hat die Medizinische Sektion ein Statement veröffentlicht und eine ausführliche Erklärung publiziert. Georg Soldner geht im Gespräch mit Wolfgang Held näher darauf ein.


Wie ist die Lage aktuell?

Georg Soldner Angesichts der vielen Erkrankten und Verstorbenen müssen wir Mediziner und Medizinerinnen und die politisch Verantwortlichen handeln, auch wenn wir vieles noch nicht wissen – ein in der Medizin übrigens nicht seltener Fall. Dieses Nicht-Wissen und Noch-nicht-Verstehen sollten wir auch in der anthroposophischen Bewegung anerkennen. Da überrascht mich oft die Gewissheit, mit der über Impfstoffe geurteilt wird – eine Sicherheit, die ich, der selbst impft und sich seit Jahrzehnten mit dem Impfen beschäftigt, nicht habe. Wir sind in einem Prozess des Verstehenlernens, wo sowohl Sachverstand als auch Offenheit zählen.

Was bedeutet es, wenn jetzt viele Menschen geimpft sind?

Entscheidend ist, dass schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle sehr viel seltener werden. Diese Hoffnung ist für Geimpfte, vor allem ältere Erwachsene, zunächst begründet. Wir wissen aber nicht, wie lange dieser Schutz anhält. Gegenüber mutierten Viren kann der Schutz schwächer sein. Ökologisch gesehen übt die Impfung selbst Druck auf das Virus aus, zu mutieren. Wir müssen auch die Annahme für wahrscheinlich halten, dass es Geimpfte gibt, die das Virus weitergeben können – auch wenn aktuelle Daten dafür sprechen, dass sie das wesentlich seltener tun als Ungeimpfte. Wir werden mit diesem Virus weltweit lange zu tun haben.

Grafik: Fabian Roschka

Wie sind die Impfreaktionen?

Vektor- und mRNA-Impfstoffe erweisen sich als nicht so gut verträglich. Jüngere Menschen reagieren stärker auf die Impfung, mit Schmerzen, Abgeschlagenheit, Fieber. Der Organismus wird ja dazu angeregt, das Spike-Eiweiß des Coronavirus zu bilden, und das provoziert das Immunsystem zur Gegenreaktion und zur Ausbildung einer Immunität. Diese Reaktion fällt allgemein bei einem jüngeren Organismus heftiger aus. Die Zahlen einer Berliner Klinik, wo das Personal geimpft wurde, lauten: 36 Prozent der Geimpften fühlten sich für mehrere Tage krank, 12 Prozent meldeten sich kurzzeitig arbeitsunfähig. Ähnliches war aus den Studien der Zulassung bekannt. Diese Impfreaktionen sind im Allgemeinen akut, sie verschwinden also wieder nach einigen Tagen. Wenn der Organismus allerdings schon geschwächt ist, können die Impfstoffe ihn auch nachhaltig erschüttern. Vor allem bei sehr alten, gebrechlichen Menschen raten Experten deshalb zur Vorsicht. Die Medizinische Sektion tritt dafür ein, dass man immer prüft, ob man für die Verarbeitung der Impfung ausreichend gesund ist.

Wie geht es weiter mit der Pandemie?

Wir sollten für die Pandemie ein Ziel anstreben und weniger auf die täglichen Zahlen blicken: Den Menschen, für die die Corona-Erkrankung aufgrund ihres Alters oder ihrer Vorerkrankungen ein hohes Risiko bedeutet, bietet der Impfstoff eine wertvolle Perspektive. Wir sollten auch innerhalb der anthroposophischen Bewegung anerkennen, dass wir Menschen im höheren Alter durch die Impfung vor den schweren, ja tödlichen Folgen der Krankheit schützen können. Zentral aber bleibt die Souveränität, die Freiheit und Würde jedes einzelnen Menschen in unserer Gesellschaft, weshalb die Entscheidung zur Impfung frei sein muss und auch nicht durch ein System indirekter Impfpflichten untergraben werden darf. Unser Ziel muss sein, der Krankheit ihre Gefährlichkeit, auch die der Nacherkrankungen, zu nehmen. Dafür sind das Impfen und die gekonnte, integrative Behandlung, auch mit anthroposophischen Heilmitteln, ein wesentlicher Baustein. Wenn uns das gelingt, stellt sich die Pandemie anders dar, ohne überfüllte Intensivstationen und Bilder wie in Bergamo.

Zu den Kindern: Sie kommen mit SARS-CoV-2 praktisch immer gut zurecht. Wenn also die Heranwachsenden die Krankheit meist unbemerkt durchmachen und sich damit immunisieren, haben wir eine weitere Grundlage, um die Pandemie nachhaltig zu überwinden. Wenn Kinder gefährdete Großeltern haben, dann können sich diese impfen lassen. Man sollte hier nicht eine ganze Generation von Heranwachsenden von der natürlichen Immunisierung abhalten, um sie dann als angebliche Gefahr für andere mit einer in ihrer Langzeitsicherheit ungeprüften und schlecht verträglichen Impfung zu immunisieren. Das halte ich für unethisch. Außerdem zeigen Studien, dass Klein- und Grundschulkinder selten Erwachsene anstecken, vermutlich auch, weil sie geringere Dosen an Viren freisetzen. Wir müssen die Kinder aus der Geiselhaft für die Gesundheit der älteren Generation befreien, die sich ja impfen lassen kann. Auf den Philippinen müssen Kleinkinder Masken tragen, Kinder dürfen nicht auf öffentliche Plätze und alle Schulen sind geschlossen. Diesen meist armen Kindern wird ihre Kindheit genommen! Wenn man Menschen zum Gegenstand einer Schutzpolitik macht, die ihnen wesentliche Rechte nimmt, ohne dass sie in ihrer Gesundheit gefährdet sind und ohne den Nachweis, dass sie andere gefährden, dann ist das Unrecht.

Wie sieht das Weiterleben mit der Pandemie aus?

Wir werden weltweit und längerfristig mit dem Virus leben lernen, es wird nicht rasch verschwinden. Die Hauptkrankheitslast der Menschheit aber sind nichtinfektiöse chronische Erkrankungen: 2030 rechnet man mit 55 Millionen US-Bürgern und -Bürgerinnen mit Diabetes, für Indien mit einer Verdoppelung von 72 auf 134 Millionen von 2017 bis 2025. Diese pandemisch zunehmenden chronischen Erkrankungen haben einen gemeinsamen Nenner: Sie hängen von einem an materiellem Konsum orientierten Lebensstil ab und erzeugen eine überbordende Krankheitslast, die die jüngere Generation zu tragen hat. Die Fixierung auf Covid-19 lässt uns die Fülle dieser medizinischen Probleme übersehen, auch die Folgeerkrankungen innerhalb der Pandemie, wie Depressionen bei jungen Menschen. Diese Herausforderung werden wir bewältigen, wenn wir die ökologische Wende auch als eine medizinische Wende begreifen lernen und unseren Lebensstil bewusst an Gesundheit, künstlerischer Kreativität, geistiger Aktivität und sozialem Engagement, also an nicht materiellen Werten, orientieren. Wenn wir die Realität des Geistigen in unseren Mitmenschen und in jedem Lebewesen wahrnehmen und danach handeln. Nur so können wir künftigen Pandemien vorbeugen.

Jede Gesellschaft, die mit dem Virus umgehen will, braucht Gesprächskreise, Bürgerforen, in denen sich die Stimmen der verschiedenen Generationen, der Zivilgesellschaft versammeln.

Was lässt sich zur spirituellen Dimension der Pandemie sagen?

Die spirituelle Qualität zu verstehen, heißt zunächst, bei den Kranken und Verstorbenen zu sein, bei ihrem Leid, ihrem Tod. Daraus resultiert Ernst, aber auch Mut und Vertrauen. Die Botschaft ist, dass es auf unsere Haltung ankommt, unsere praktische Solidarität, unser sorgfältiges Hinhören, was der andere wahrnimmt, und unser Achten darauf, ob wir selbst als hilfreich wahrgenommen werden. Jede Gesellschaft, die mit dem Virus umgehen will, braucht Gesprächskreise, Bürgerforen, in denen sich die Stimmen der verschiedenen Generationen, der Zivilgesellschaft versammeln und so ausführlich beraten, was zu tun ist, bis man dem anderen zu glauben vermag, dass er es gut meint in seinem Engagement. Daraus resultiert Vielfalt statt Einfalt. Die Spiritualität im Umgang mit Covid-19 zeigt sich für mich weniger darin, welche oft gut bekannten geistigen Erklärungen ich gebe, sondern welche moralische Fantasie wir entwickeln, um aus ihr anders herauszukommen, als wir in die Krise hineingeraten sind. Orientieren wir uns doch an denen, für die sich Rudolf Steiner ein Leben lang engagiert hat: an den Kindern. Fördern wir ihre Entwicklung, denken wir konsequent nach, welche Welt wir ihnen übergeben wollen. Wir gefährden die Zukunft unserer Kinder, nicht umgekehrt.


Zum Statement der Sektion: Stellungnahme zur Impfung gegen SARS-CoV-2

Weitere Infos: G. Soldner und D. Martin: Impffragen im Zusammenhang mit COVID-19

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