Ernst machen mit dem Dramatischen Kurs

Ich habe 1979 bis 1983 an der Novalis-Bühne studiert und noch im ersten Ausbildungsjahr bat mich Wilfried Hammacher in sein Empfangszimmer und fragte mich, ob ich mir vorstellen könne, das Gretchen in seiner ‹Faust›-Inszenierung zu spielen.


Ich empfand mich eher als Lady Macbeth denn als Gretchen! Ich musste mich deshalb an die Rolle gewöhnen, doch bald liebte ich sie. 1982 ging die Inszenierung ‹Faust I und II› stark gekürzt dann über die Bühne und es folgten Aufführungen überall im Stuttgarter Umraum. Wie habe ich Hammacher erlebt als Regisseur, als Spielpartner? Zum Schauspiel gehört ja das Spiel von Nähe und Distanz, wobei Hammacher Nähe kaum zulassen konnte. Es gab einen erschütternden Moment, als ich mit ihm im Übraum war. Er beklagte sich nicht, aber es kam seine Einsamkeit, sein Sich-nicht-verstanden-Fühlen für einen Moment zum Vorschein. Warum er es mir zeigte, weiß ich nicht.

Barbara Stuten und Wilfried Hammacher als Gretchen und Faust, z.V. g.

Er führte die Regie, die Schauspielschule, organisierte die Tournee. Gleichzeitig engagierten wir Studentinnen und Studenten uns Tag und Nacht für diese Projekte, sodass manche natürlich ziemliche Fähigkeiten auf dem einen oder anderen Feld entwickelten. Da war es Wilfried Hammacher dann kaum möglich, von der vielen künstlerischen und praktischen Verantwortung, die er trug, etwas zu übertragen. Wenn er etwas übergab, schaute er doch noch einmal, ob alles getan worden war. Das war schade, weil dadurch Einzelne aus dem Ensemble wieder gingen, die gerne selbst mehr Verantwortung übernommen hätten. 2004 schenkte er mir eines seiner Bücher und schrieb als Widmung «Meiner lieben Schülerin und Kollegin». Das war das erste Mal, dass er mich als ‹Kollegin› ansprach.

Wilfried Hammacher hatte den Dramatischen Kurs studiert und trat nun an, etwas anders zu machen als damals, als er am Goetheanum arbeitete. Der Dramatische Kurs spielte da kaum eine Rolle, auch zu Marie Steiners Zeit nicht. Das war aber nun Hammachers großes Anliegen, mit dem Dramatischen Kurs Ernst zu machen, praktisch forschend an diesen Anregungen für das Schauspiel von Steiner heranzugehen. Dafür gab es in Dornach kaum Verständnis. Als wir in München erste Studienversuche des ‹Faust› zeigten, damals zusammen mit dem Eurythmeum von Gillert, da kamen einige der Dornacher Kollegen. Da habe ich Wilfried Hammacher weinen sehen, so massiv war die Ablehnung, die ihm da begegnete. Vielleicht muss man dazu sagen, dass Hammacher den Dramatischen Kurs natürlich noch nicht verarbeitet hatte. Ähnlich wie ich es später gerade bei amerikanischen Vertretern der Anton-Tschechov-Methode erlebte, dass auf der Bühne bei der Aufführung das Üben sich fortsetzt.

Wie habe ich Wilfried Hammacher erlebt als Regisseur, als Spielpartner? Zum Schauspiel gehört ja das Spiel von Nähe und Distanz, wobei Hammacher Nähe kaum zulassen konnte.

Da wird, vielleicht ähnlich wie Hammachers Arbeitsweise, eine großartige Idee 1:1 umgesetzt, ohne schon ganz verdaut worden zu sein. Es war ja ein weiter Bogen, den er verbinden wollte: Er kannte das klassische Schauspiel, hatte Eurythmie studiert, hatte Sprachgestaltung studiert. Jetzt spielen wir den ‹Faust›, spielen die Mysteriendramen: Wenn man da schaut, wer da auf der Bühne steht, so sind es einige, die damals bei Hammacher in die Schule gingen, es sind ein paar, die auch am normalen Theater tätig waren. Es war eine große Tat, die er und seine Frau vollbracht haben.

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