Die aktuelle Ausstellung am Goetheanum beleuchtet ein Werk, das so bisher noch gar nicht in Erscheinung getreten ist. Zwei gleichzeitig erscheinende Publikationen zu der Künstlerin und ihrem Werk unterstreichen das noch.
Elisabeth Wagner-Koch, meistens im Schatten ihres berühmten Mannes erwähnt und gesehen, hat selbst nichts unternommen, ihre eigenen Leistungen in den Fokus zu rücken. Im Gegenteil, es ging ihr stets ums Unpersönliche, um das ganz Große. Um jenes, das sie Malimpuls nennt und das Gerard Wagners Lebenswerk und das malerische Werk Rudolf Steiners in einen einzigen großen Bogen setzt. In dieser Hinsicht hat sie eine starke und klare Vision – in ihren Augen handelt es sich um ein Jahrhundertvermächtnis, das erst in Zukunft volle Würdigung und breite Anwendung finden kann. Sie wird bis heute nicht müde, die außergewöhnliche und bahnbrechende Entdeckung ihres Mannes zu betonen, die in der Möglichkeit liegt, sich ein Erleben der Farbe als formbedingend und formschaffend zu erwerben – ein Schulungsziel freilich, das eine zukünftige und heute nur in Ansätzen fassbare Fähigkeit beschreibt. Dass heute einige Hundert Menschen diese Möglichkeit zu ihrer eigenen Erfahrung zählen dürfen, da seit Jahrzehnten eine Ausbildung dazu existiert, daran hat allerdings Elisabeth Wagner erheblichen Anteil. Man darf vermuten, dass es ohne sie eine solche Ausbildung nie gegeben hätte.
Wesentlich werden
Meine Erinnerungen an Elisabeth Wagner sind stark von der Ausbildungssituation in den 1980er-Jahren geprägt. Ich nahm um sie stets etwas Atmosphärisches wahr, so als ob sie, in ihrer etwas mönchischen, fast alterslosen Erscheinung, einen weiten Kosmos mit sich trüge, gesättigt von Naturwundern und Seelenerlebnissen, die unausgesprochen als lebendige und farbige Stimmung mitzuschwingen schienen. Farben waren in erster Linie seelische Qualitäten. Darin lebte man einfach. Um sie herum ein Aufruf, wesentlich und ernsthaft zu sein.
In ihrer Wohnung konnte man dieses Atmosphärische auch in der Art und Weise antreffen, wie sie Brot schnitt oder Wasser auf dem alten Gasherd aufsetzte. Jede Holzschublade, jedes vergilbte Foto vor dem Bücherregal und das kleine Veilchen auf dem Tisch wirkten liebevoll und mit Wertschätzung gesehen und erzählten an diesem Epos mit. Unvergesslich in Erinnerung stehen die gemeinsamen Bildbetrachtungen mit Gerard Wagner – oft gemeinsam still versunken, fast sprachlos vor den Farboffenbarungen, gelegentlich auch von epischen Erläuterungen seitens seiner Frau begleitet. Die Gespräche entwickelten gelegentlich eine Art Sog, es wurden tiefschürfende Fragen bewegt und dabei Termine verpasst.
Indem Elisabeth Wagner ganz dienend wurde, gleichsam in der großen Aufgabe verschwand, zeigte sie gerade ihr eigentliches Wesen: eine selbstlose, liebevolle und hochbegabte Seele.
Formulierungen des Weltenwortes
In der Ausstellung fallen ihre Studien zu kosmischen Themen besonders auf: Planeten, Tierkreisstudien und Sternkarten. Die Sterne sind ihr nichts Fernes. Sie sind unsere Heimat. Elisabeth Wagner wird in vielen Nuancen ihres Wesens erst verständlich, wenn man begreift, dass sie sich und uns alle als irdischen Ausdruck kosmischer Konstellationen begreift, als Formulierungen des Weltenwortes. Lässt man ihre Bilder auf sich wirken, wird etwas von diesem Himmel spürbar. Manchmal streift mich etwas Entrücktes, dem Irdischen Enthobenes.
Meiner Meinung nach hat sie einen erstaunlich sicheren spirituellen Spürsinn, erfasst intuitiv, wo etwas wesentlich und auch mit dem Herzen verbunden ist. Verschiedenste künstlerische Aufgaben löst sie intuitiv treffend, wie beispielsweise ein Entwurf für das Dornacher Lehrerseminar zeigt, das von einer bemerkenswerten und unerwarteten architektonischen Begabung zeugt.
Eine Seite ihres Wesens kann man in ihren Gedichten erfahren, die eine dezidiert christliche, erddurchlichtende und aufrichtende Sprache sprechen. Sie selbst spricht stets auf eine tief gefühlte, gleichsam in Weltenkräfte tauchende Weise. Anthroposophie ist bei ihr immer bildgewaltig, stets präsent, in tiefen Ernst und echte, religiöse Hingabe getaucht.
Mensch und Werk zeigen eine Gestalt, die in der tief spirituellen Zeit nach Steiners Tod ihre Wurzeln hat und daraus wesentliche Impulse für uns und die Zukunft entwickelte.
Ausstellung und Publikationen wären ohne den aufopferungsvollen Einsatz einiger Menschen nicht möglich gewesen. Insbesondere die außergewöhnlich gründliche und liebevolle jahrelange Vorarbeit von Franz Lohri und Ernst Schuberth, aber auch den Einsatz der Kuratorin Barbara Schnetzler von der Sektion für Bildende Künste möchte ich persönlich dankend hervorheben.
Mehr Das künstlerische Werk von Elisabeth Wagner, 21. November bis 7. März 2021, im Goetheanum