Eurythmie durchs Herz

In der Welt des Herzens ist die Qualität wichtig, nicht die Quantität; es ist Vertiefung wichtig, nicht Vermehrung; Berührung, nicht Vollständigkeit.


In ihrem ersten Buch ‹Wer sich bewegt, kommt zu sich selbst. Eurythmie für jeden Tag› (2013) ist das Üben wesentlich, und bereits in diesem Buch gelang es der Autorin Sivan Karnieli, in ihrer sehr feinen Art, die Basis-Eurythmieübungen so zu beschreiben, dass es Lust macht, sie auszuführen und zu üben.

Das aktuelle Buch ist schon auf der Titelseite als ‹Ein Übungsbuch› ausgewiesen, kein Lesebuch. Das beschreibt treffend das Anliegen. Das Buch trifft ins Zentrum, berührt das Herz. Die Kapitel lauten: Herzzeit, Herzraum, Herzblüten, Herzschlag, Herzwort, Herzensweisheit, Herzaufrichtekraft. In einer quasi meditativen Art führt es zu den Herzkräften durch die Beschreibung der zugehörigen Eurythmieübungen, durch die Verbindung mit Wortmeditationen von Rudolf Steiner, durch das Aufgreifen der ‹Ich bin›-Worte des Evangeliums und durch die Einbeziehung moderner Lyrik von Hilde Domin über Christian Morgenstern bis zu Paul Celan, Rose Ausländer und anderen. Immer gelingt es ihr, die Eurythmie als das Wirksamwerden des Wortes, als sichtbare Sprache unmittelbar in Erscheinung zu bringen.

Ein eigenes Kapitel ist der Basisübung der Eurythmie ‹Ich denke die Rede› gewidmet. Sie nennt diese Übung: ‹Der Herzschlag der Eurythmie›. Es gelingt ihr darin, eine ergreifende Tiefgründigkeit zu erreichen. «Das Herz wird zum Fortpflanzungsorgan: des eigenen Menschseins und damit der Menschheit.» Sie bezieht sich hier auf die von Rudolf Steiner so genannten vier Seelengewohnheiten: die Fähigkeit, in den Gedanken das Wahre von der Erscheinung zu unterscheiden, die Fähigkeit zur Unterscheidung von Wesentlichem und Unwesentlichem und die Liebe zur inneren Freiheit. Die dritte besteht in der Ausübung der sogenannten Nebenübungen: Gedankenkontrolle, Initiative des Handelns, Erhaben sein über Lust und Leid, Positivität, Unbefangenheit, Gleichgewicht aller fünf Tätigkeiten. Bei diesen Ausführungen gelingt es Sivan Karnieli, ins Zentrum, ‹ins Herz› zu treffen davon, was Anthroposophie im praktischen Leben bedeutet und bewirken kann, wenn man sich auf diesen Entwicklungsweg einlässt.

Schön bei diesem wunderbaren Buch ist auch, dass Sivan Karnieli als Anhang eine ‹kleine Alphabet-Gebärdenkunde› anführt sowie die von Rudolf Steiner angegebenen Eurythmiefiguren mit ihren Farben, die die Qualitäten Bewegung, Gefühl und Charakter verbildlichen. Man kann in dieses kostbare Buch hineinblättern und immer wieder neue Anregungen finden, Unbekanntes entdecken, Bekanntes vertiefen.

Es wird unmittelbar erlebbar, was die Autorin im letzten Kapitel unter dem Titel ‹Nachklang› beschreibt: «Den Nachklang […], den ich oftmals habe, wenn ich durch das Herz aktiv schaffend eurythmisiere. Ich bin dann wie tief von einer Ewigkeitskraft durchdrungen, die durch mich hindurch spricht.» Dieses tiefe Durchdrungensein ist auf jeder Seite dieses Buches erlebbar.


Sivan Karnieli, Herzkräfte stärken durch Eurythmie, Aethera, 2020

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